© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000


Gerechtigkeit
von Moritz Schwarz

Abend für Abend ist Tagesthemenmoderator Ulrich Wickert der Polizei eine Nasenlänge voraus. Denn anders als die Behörden weiß er offenbar bereits mit Sicherheit, daß der feige Bombenanschlag von Düsseldorf auf das Konto von rechtsradikalen Terroristen geht. Allabendlich suggerierte er in der vergangenen Woche den Zuschauern, der Polizei fehlten eigentlich – statt eindeutiger Beweise für die Urheberschaft – nur noch die Namen der Täter. Mit dieser "Schuldig bei Verdacht"-Methode setzt sich Wickert auf jeden Fall, selbst wenn er wahrscheinlich recht hat, ins Unrecht.

Das preußische Grundprinzip, "Gerechtigkeit gegen jedermann" zählt aber in der Bundesrepublik offenbar weniger als das Sündenbock-Prinzip. Dabei geht es nicht um Schuld oder Unschuld – denn die ethische Substanz einer Gesellschaft beweist sich im Umgang mit ihren Sündern. So beschloß Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel 1977 zu Recht, daß in seiner Stadt am Grab der RAF-Terroristen aller Haß ein Ende habe. Gleiches galt aber nicht für den Friedhof von Bitburg. Die Untaten der Kommunisten im deutschen Herbst bewogen den Bundespräsidenten, über die Untäter zu sagen, "Mit allem, was sie taten, haben sie uns gemeint". Bundespräsident Thierse dagegen reist in die mitteldeutsche Provinz, um Bürger-Bataillone gegen die eigene, verblendete Jugend zu mobilisieren. Gleichheit im Sinne von Gerechtigkeit aber ist nicht nur der christliche Urtugenden und preußisches Erbe, sie zählt auch zum Dreiklang des europäischen Republikanismus der französischen Revolution.


 
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