© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Geschäftsidee
Karl Heinzen

Der Staat muß nicht schlank sein, um erfolgreich zu arbeiten, er muß nur seine Kräfte auf die wirklich lohnenswerten Ziele lenken. Hans Eichel darf sich daher glücklich schätzen, daß sein Vorgänger Theo Waigel eine Dynamik entfachte, die sich heute auszuzahlen beginnt. Die Zahl der Betriebsprüfungen konnte im Jahr 1999 auf 6,3 Millionen Stück ausgebaut werden, gerade einmal 3,9 Millionen waren es noch 1992 gewesen. Gegenläufig zum Trend in der öffentlichen Verwaltung insgesamt wuchs die Zahl der Beschäftigten in dieser Branche im gleichen Zeitraum um knapp 20 Prozent auf unterdessen etwa 15.000 Mitarbeiter. Gemeinsam erwirtschafteten sie der öffentlichen Hand 1999 einen Umsatz von 27 Milliarden Mark, die die überprüften Unternehmen an Steuern nachzuzahlen hatten. Viele Menschen, die ihren eigenen Status oft wider besseres Wissen als mittelständisch glorifizieren, durften damit für einen Augenblick in dem Gefühl leben, daß ihr Beitrag für unser Gemeinwesen unverzichtbar ist.

Dieser Erfolg ist ein deutliches Signal für eine Hinwendung unseres Gemeinwesens zu unternehmerischem Denken: Der Staat kann, sofern er sich in der komplizierten Welt des 21. Jahrhunderts seine Chance zur Privatisierung erhalten will, nicht umhin, jene Aktivitäten zu favorisieren, die sich für ihn auch rechnen. Auf diejenigen, deren Interessen er eigentlich verteidigen soll, kann er nämlich längst nicht mehr zählen. Die Staatsfeindlichkeit des Kapitals ist nicht mehr nur Ideologie, sondern gelebte Wirklichkeit. Der Grad an Mobilität, der zwischen den internationalen Finanzmärkten erreicht worden ist, erlaubt es, nicht länger Rücksicht auf demokratische Institutionen zu nehmen, die sich immer wieder ja auch legitimiert fühlen könnten, die aktuelle Einkommens- und Vermögensverteilung zur Abstimmung zu stellen.

Es überrascht daher nicht, wenn der von seinem Zweck entbundene Staat das Interesse daran verliert, traditionell mit ihm in Verbindung gebrachte Aufgaben wahrzunehmen. So scheint er in den aus den einstigen DDR-Bezirken zusammengebastelten Bundesländern immer weniger gewillt zu sein, sich zur Prüfung und Durchsetzung finanzieller Forderungen, die Private an andere Private stellen, mißbrauchen zu lassen. Hier geht es gar nicht einmal um Kosten, denn die Refinanzierungsquote der Justiz liegt bei etwa 90 Prozent, sondern um das Prinzip: Wenn die Menschen sich schon allenthalben über den Staat beklagen, dann sollten sie auch in der Lage sein, ihre Streitigkeiten ohne seine Mitwirkung zu schlichten.

Als problematisch ist es allerdings anzusehen, wenn Gläubiger in der Erzwingung des in ihrer Selbstjustiz gesprochenen Rechts auf Gewalt setzen, wie es längst keine Ausnahme mehr zu sein scheint. Hier muß der Staat eifersüchtig darüber wachen, daß ihm keine Konkurrenz erwächst. Das Gewaltmonopol ist schließlich die einzige Geschäftsidee, auf die er noch bauen kann.


 
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