© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Bosnien oder: Die große Schleuse
Carl Gustaf Ströhm

Manchmal beleuchten Aus sprüche politischer Würdenträger die Situation auf eine von ihnen gar nicht erwünschte Weise.

So sagte Paul Klein, Ex-US-General und jetzt uno-Bevollmächtigter für Bosnien-Herzegowina, anläßlich der Übergabe eines Grenzübergangs an die bosnische Polizei, daß die Einrichtung einer bosnischen Grenzkontrolle ein Zeichen dafür sei, wie sich Bosnien den "europäischen Integrationen annähert". Deshalb sei es nötig, daß die bosnische Föderationsregierung in Sarajevo ein "strenges Visum-Regime" einführe.

Nun erinnert man sich noch dunkel, daß dereinst – als der Kommunismus noch regierte – der Westen den damaligen östlichen Machthabern stets die geschlossenen Grenzen, das strenge Kontrollregime, den Stacheldraht und die Isolierung zum Vorwurf machte. Die Folgen bekamen in diesen Tagen jedoch unzählige in- und ausländische Touristen zu spüren, die von den überfüllten kroatischen Stränden zu Tagesausflügen ins benachbarte Bosnien-Herzegowina, zum Beispiel in den katholischen Wallfahrtsort Medjugorje, aufgebrochen waren. Die frisch installierten bosnischen Grenzwächter schickten einige Tausend von ihnen zurück – weil sie kein bosnisches Visum oder nur einen Personalausweis statt eines Reisepasses hatten.

Hinter der neuen Strenge verbirgt sich eine Entwicklung, die den westlichen Administratoren, die wie Kolonialgouverneure partout das "multi-ethnische" Bosnien verwirklichen wollen, sehr unangenehm sein muß. Unter den Augen der westlichen politischen Emissäre und der SFOR-Truppen hat sich Bosnien in einen zentralen europäischen Umschlagplatz für Rauschgift- und Waffenschmuggel sowie für die Durchschleusung illegaler Zuwanderer entwickelt.

Da die maßgeblich von Moslems beeinflußte bosnische Föderationsregierung den Visumzwang für türkische Staatsbürger abgeschafft hat, strömen Tausende von Türken als "Touristen" nach Sarajevo und verschwinden nach der Einreise spurlos in Richtung Östereich und Italien – mit Endziel Deutschland. Ähnlich lösen sich zahlreiche Iraner und Angehörige anderer islamischer Staaten, die relativ leicht bosnische Föderationsvisa erhalten, scheinbar in Luft auf, sobald sie die bosnische Grenze passiert haben. Von 1.600 Iranern, die im Juni mit Paß und Visum in Sarajevo einreisten, haben nur 150 das Land ordnungsgemäß wieder verlassen. Von den anderen fehlt jede Spur. Fünf Iraner ertranken unlängst, als sie versuchten, durch den Grenzfluß Save ans kroatische Ufer zu gelangen. Auch von 35 Bürgern Sri Lankas, die behaupteten, zum katholischen Wallfahrtsort Medjugorje pilgern zu wollen, hat keiner je sein vorgebliches Reiseziel erreicht.

Ein besonderes Problem stellen neuerdings Tausende von Chinesen dar, die durch die bosnische Türspalte in den goldenen (zumeist deutschen) Westen streben. Neulich wurden dreißig Chinesen, die sich auf dem kroatischen Fährschiff "Marco Polo" versteckt hatten, in Dubrovnik von Bord geholt und über die nahe bosnische Grenze abgeschoben. Doch noch am gleichen Tage tauchten die Chinesen wieder auf kroatischem Boden auf – diesmal im Hafen Metkovic an der Mündung des aus Bosnien kommenden Néretva-Flußes.

Vor welchen Problemen Bosnien steht, erläuterte der föderale bosnische Polizeiminister Muhamed Zilic: "Wenn Bosnien-Herzegowina alle Chinesen nach Hause schicken würde, die sich illegal im Lande aufhalten, würden wir nur für die Flugtickets einen Betrag ausgeben, der den gesamten jährlichen Haushaltsmitteln den Innenministers entspricht."


 
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