© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Kino: Hollywoods jüngste Geschichtsfälschung "Der Patriot"
Die Bösen sind immer die anderen
Volker König

Erlebt der historische Abenteuer film sein großes Comeback? Be reits in der ersten Woche nach seinem Start hat "Der Patriot", ein Epos aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, sich an die Spitze der deutschen Charts katapultiert und Wolfgang Petersens "Der Sturm" auf den zweiten Rang verwiesen. Damit stehen zwei Hollywood-Streifen, die von deutschen Regisseuren gedreht wurden, an der Spitze der Beliebtheitsskala, denn auch "Der Patriot" hat einen deutschen Vater: Roland Emmerich ("Independence Day").

Die Geschichte des Films läßt sich rasch erzählen: Man schreibt das Jahr 1776. Der begüterte Farmer Benjamin Martin, dargestellt von Oscar-Preisträger Mel Gibson, lebt mit sieben Kinder in South Carolina. Deren Mutter ist verstorben, und die jüngste Tochter mag nicht sprechen, was der Vater als göttliche Strafe für die Greuel sieht, die er einst als britischer Krieger im Kampf gegen die Franzosen verübte. Diese blutige Vergangenheit läßt er samt einem Tomahawk in einer alten Truhe schlummern – als Vergangenheit, die nicht vergehen will, jedoch vom Idyll des Landlebens übertüncht wird. Vom Krieg der aufsässigen Kolonisten gegen den britischen Landesherrn mag er denn auch wenig wissen: "Lieber ein Tyrann, der 3.000 Meilen entfernt wohnt, als 3.000 Tyrannen, die eine Meile entfernt wohnen." Benjamin Martins ältester Sohn Gabriel sieht das jedoch anders. Er meldet sich zu den Fahnen der Continental Army. Als er eines Abends verwundet als Kurier auf das elterliche Anwesen heimkehrt, versteckt ihn der Vater. In der folgenden Nacht bricht der Krieg in die stille Welt der Farm ein: eine Schlacht tobt auf den Feldern, von den Kindern ängstlich durch die Vorhänge beobachtet. Am Morgen sieht man die britischen und amerikanischen Verwundeten auf der Veranda der Farm, von den Martins und ihrem Personal gepflegt. Da erscheint der englische Colonel Tavington. Er läßt die amerikanischen Verwundeten und einen widersätzlichen Sohn Martins erschießen und das Anwesen in Brand stecken. Benjamin Martin stürzt in das brennende Haus, reißt seine alte Truhe auf und gräbt – im Wortsinne – das Kriegsbeil wieder aus. Der Rest der Handlung des Films besteht aus dem Kampf der bandenartig organisierten Freiwilligenmiliz um Benjamin Martin, die sich in einer alten spanischen Mission inmitten von Sümpfen verborgen hält und von hier aus den britischen Truppen zusetzt. Im entscheidenden Showdown macht Benjamin Martin dann Colonel Tavington, die Inkarnation des Bösen, nieder.

Das Strickmuster ist im Grunde so schlicht wie altbekannt: die tapferen Jungs von America the brave kämpfen gegen die fiesen Mächte der Finsternis. Waren es gestern die bösen Nazi-Deutschen, so sind es nun die reaktionären Imperialisten. Die Einseitigkeit aber, mit der die britischen Soldaten dargestellt werden, entspricht übelster Schwarzweißmalerei. Die Offiziere sind entweder blasierte Schnösel mit Standesdünkel oder blutrünstige Sadisten, die Mannschaften mechanische Roboter, die jeden Befehl blindlings ausführen. Wohl deshalb kennt der Film auch kein Mitleid mit ihnen. Sie fallen reihenweise, um die Schlachtengemälde auf dekorative Weise auszufüllen. Segnet hingegen ein Milizionär das Zeitliche, so sind ihm dramatische Klänge und pathetische Zeitlupen-Einstellungen gewiß. "Ich will auch ein paar Rotröcke abmurksen", prahlt ein rotbäckiger und rotschöpfiger Dreikäsehoch am Musterungstisch der Miliztruppe. Es darf gelacht werden.

Zu Berge stehen dem historisch versierten Zuschauer allerdings die Haare bei einer Szene, in der britische Kolonialtruppen in einem Dorf die Einwohner in die Kirche treiben und diese dann anzünden. Es gibt keinerlei Überlieferung darüber, daß die britische Armee jemals eine solche Barbarei veranstaltete. Wenn es solche Greuel gegeben hat, so dürften sie weniger von Engländern als vielmehr von den Amerikanern selbst während der Ausrottungskriege gegen die Indianer begangen worden sein. Entsprechend entsetzt und wütend fielen die berechtigten Reaktionen der britischen Öffentlichkeit und Presse auf diesen Film aus.

Freilich, das Bild von der zerissenen Familie und dem Kollektivmord im brennenden Gotteshaus ist seit den osteuropäischen SS-Greueln ein unverzichtbares Moment geworden – das Bild nagt an der Seele, und um diesen emotionalen Gewinn zu erzielen, verbiegt man im Film schon einmal die historische Wahrheit. Von daher liegt "Der Patriot" durchaus auf einer Linie mit der neuesten Welle cineastischer Geschichtsklitterung: erst kürzlich wurde in einem anderen US-Leinwandepos die Leistung der Briten, den Enigma-Code der deutschen U-Bootflotte im Zweiten Weltkrieg zu knacken, kurzerhand den Yankees zugesprochen. Ihre Wirkung wird diese Geschichtsverfälschung schon tun, zumal bei einer Generation, die ihre historischen Kenntnis aus den Medien oder Spielfilmen erfährt. Und das heißt auch: der Weltpolizist ist immer der Gute, böse sind die anderen, die Russen, Deutschen, Briten – jeder zu seiner Zeit.

Vom technischen, vor allem aber vom ästhetischen Standpunkt her ist "Der Patriot" dabei ein großer Wurf. Der Film schwelgt in herrlichen Landschaftsaufnahmen in sanften Pastelltönen und weicher aber intensiver Ausleuchtung. Liebhaber historischer Gewände kommen ohnehin voll auf ihre Kosten, und die Kriegsszenen sind wie klassische Schlachtengemälde komponiert, eingefangen mit einer Kamera, die bisweilen in Totalen über das Geschehen gleitet. Was Michael Mann 1992 mit der Neuverfilmung von "Der letzte Mohikaner" auratisch gelang, das vollendet Roland Emmerich in seinem Historiengemälde.

Nicht fehlen dürfte im "Patriot" der Mohr, der als Ex-Sklave in vorderster Freiwilligenfront für die USA kämpfend seine Schuldigkeit zu tun hat. Den Schwarzen oblag es auch, während einer (weißen) Hochzeitsfeier für eine muntere Fete zu sorgen – Multikulti im Sambatakt des Barockzeitalters. Ob so das 18. Jahrhundert aussah? Doch während es nicht an Schwarzen mangelt, taucht sinnigerweise kein einziger Indianer in dem Film auf, vielleicht deshalb, weil es während des Unabhängigkeitskrieges die roten Männer eher mit den Rotröcken hielten, sprich mit den Bösen.

"Es geht um zwei Dinge in diesem Film: um die Familie und die Gewalt. Beide zusammen formen das amerikanische Wesen", heißt es in der Filmbesprechung der FAZ. Der tapfere Kolonist, der noch mit blutigen Händen und Kleidern aus der Schlacht kommend seine Familie umarmt und ein Stoßgebet zum Himmel schickt - so sehen sich die USA offenbar am liebsten. Man kann so etwa Patriotismus nennen. Treffender hieß es Chauvinismus.


 
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