© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/00 18. August 2000 |
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Der ganz normale Rechtsstaat Hamburg: Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) probt die Rückkehr zu Altbewährtem Alexander Barti Die Reaktion der Medien ist mal wieder symptomatisch: sobald aus dem Einheitsbrei der etablierten Parteien ein zartes Pflänzlein gebündelter Volksmeinung hervorsprießt, ein nonkonformes "Unkraut" sozusagen, regnet es herbizide Medienschelte. "Die Angst vorm Schwarzen Mann", "Ein Richter sieht Rot", "Die vorbestraften Hüter des Gesetzes" - so und ähnlich lauten die Überschriften in den meinungsbildenden Presseorganen und erwecken damit bei den Lesern das Gefühl, es handle sich bei der Partei des Hamburger Richters Ronald B. Schill, "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" (PRO), um eine dubiose Vereinigung krimineller Elemente. Bei der Darstellung seiner Laufbahn berichtet man immer wieder über die drei Fälle seiner vermeintlichen richterlichen Übergriffe und Maßlosigkeiten: 1. der Fall mit der asozialen Frau, die in alkoholisiertem Zustand Autos zerkratzt hatte und deswegen von Schill zu zweieinhalb Jahren Knast verurteilt wurde, 2. die Sache mit dem Graffiti-Schmierer "OZ", für den Schill publikumswirksam bis zu 15 Jahre Gefängnis forderte und 3. der Fall mit den zwei Chaoten aus dem linksextremen Spektrum, die er in Gewahrsam nehmen ließ, weil sie sich bei der Urteilsverkündung nicht erhoben hatten; da er den Einspruch der Anwälte nicht gleich bearbeitete, schmorten die Verächter des Rechtsstaates zu lange (es waren drei Tage) in der Zelle. Nun droht Schill die Verurteilung wegen Rechtsbeugung. Noch toller wurde die Medienhatz, als Schill den Verlockungen der bürgerlichen Parteien CDU und FDP eine Absage erteilte und sich anschickte, eine eigene Partei zu gründen. Kaum war dies geschehen, schaute man sich mit Spannung die Führungsriege der Rechtsstaat-Partei an und fand prompt unreine Westen. Franz-Josef Underberg (57), frischgekürtes PRO-Vorstandsmitglied und finanzstarker Sproß der Magenbitter-Dynastie, sollte die Türen zur Wirtschaft öffnen und zahlungswillige Sponsoren anlocken. Das wäre ihm sicherlich auch gelungen, wenn sich nicht herausgestellt hätte, daß er seine Kasse mit Waffenverkäufen in den Irak aufzubessern versucht hatte. Die geschäftlichen Ambitionen kosteten Underberg 1992 eine Geldstrafe von 31.000 DM und letztlich seinen Vorstandssessel bei PRO. Dann gab es noch den PRO-Funktionär und ehemaligen Sportjournalisten Rainer Koppke (54), der wegen seiner Verurteilung (Delikt: "fortgesetzte Untreue") zurücktreten mußte. Der dritte Pechvogel, der von Schill abgeschossen wurde, war der Quoten-Schwarze und plakative Beweis für Xenophilie, der Ghanaer Anthony Rau (41). Er war, ebenso wie sein Parteigenosse Underberg, zu einer Geldstrafe, allerdings wegen Beleidigung, verurteilt worden. Außerdem hatte sich Rau parteischädigend verhalten, indem er einen heiklen Programmpunkt öffentlich kritisierte. Bei der Berichterstattung der Etablierten, die sich genüßlich und mit einer gewissen Häme über die "Verbrecher" im PRO-Vorstand auslassen, fragt sich der unvoreingenommene Leser, was denn daran so schlimm sein soll, wenn man Personen mit Vorstrafen in einer Partei, die explizit für Recht und Ordnung ist, nicht zu Funktionsträgern machen will. Was ist daran so merkwürdig, daß man Personen aus der Partei ausschließt, wenn sie sich parteischädigend verhalten? Daß man rechtskräftig Verurteilte heute in der Parteienlandschaft und damit in der Öffentlichkeit nicht selten antrifft, mag mit dem abhandengekommenen Ehrgefühl und der wachsenden Schamlosigkeit zusammenhängen; aber bei parteischädigendem Verhalten kennen auch die etablierten Volksparteien keine Gnade. Unliebsame Funktionsträger werden rausgeworfen oder weggeekelt. Insofern sollte man nicht spotten, sondern anerkennen, daß Richter Schill auch in Fragen seiner obersten Helfer schnell und kompromißlos handelt: Wer nicht "sauber" ist, fliegt raus! Bei aller Aufregung über die Entwicklungen in der Hansestadt haben die Medien "vergessen", etwas ausführlicher auf das Parteiprogramm einzugehen, was hiermit nachgeholt werden soll. In der Präambel heißt es unter anderem, die "Wiederherstellung und Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit, die Unterbindung des Mißbrauches des Rechtes auf Asyl, die Wiederherstellung einer Wertegesellschaft sowie die Integration von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern" seien die vorrangigen Ziele der Partei. Ebenso der "Schutz der Gemeinschaft vor kriminellen und/oder subversiven sowie autonomen Kräften"; politischer Extremismus dagegen wird "aufs schärfste verurteilt". Schutz der Gemeinschaft Die Parteigrundsätze sind in 11 Artikeln zusammengefaßt, die man sich ebenfalls anschauen sollte. Artikel 2 fordert die Ausrichtung am Gemeinwohl: "Persönliche Interessen sowie die Interessen von Minderheiten bilden keine Grundlage für allgemeingültiges Handeln staatlicher Organe oder von Parteien", gleichwohl sollen die Minderheiten nicht ignoriert werden. Artikel 5 fordert vom Staat, daß er seine Bürger nicht schutzlos dem Verbrechen ausliefern dürfe. Das Recht auf Asyl soll aus dem Grundgesetz genommen und als einfaches Gesetz manifestiert werden (Art. 6). Artikel 8 fordert die Wiederherstellung einer Wertegesellschaft, indem in Familie und Öffentlichkeit entsprechende Werte vorgelebt werden. Die Integration von Ausländern unter Achtung der deutschen Kultur wird ebenso verfochten wie (Artikel 10) ein hartes Vorgehen gegen Extremismus, Gewalt und Ausländerfeindlichkeit. In Artikel 11 (Gewaltenteilung) prangert die Schill-Partei die politische Verfilzung und die persönliche Bereicherung der herrschenden Klasse an. Das vorläufige 22seitige Parteiprogramm liest sich wie eine geballte Anklageschrift gegen die permissive Gesellschaft und ihre Vertreter. Das Herzstück bildet dabei die Wiederherstellung der inneren Sicherheit und ein Umdenken im Strafvollzug. Daß die Jugendkriminalität nichts mehr mit Dummejungenstreichen zu tun hat, belegen eindrucksvolle Zahlen: Bei schwerer Gewaltkriminalität wie räuberische Erpressung, schwere Körperverletzung oder sexuelle Nötigung nahm die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren in den letzten zehn Jahren um 170 Prozent zu. Im gleichen Deliktbereich stieg die Zahl der Unter-14jährigen Tatverdächtigen um 600 Prozent. Beim Raub auf Straßen und Plätzen konnten die Unter-21jährigen um 483 Prozent zulegen, und die unter 14 Jährigen erreichten eine Steigerung, bei der jeder Fondsmanager glänzende Augen bekommt: stolze 937 Prozent sind die "armen Kleinen" heute krimineller als vor 1989. Kommt Roland Schill an die Macht, will er die jugendlichen Intensivgewalttäter in geschlossenen Heime verwaren lassen. Klare Worte gibt es auch bezüglich der Polizei in Kapitel vier des Programms: "Die Polizei ist Hauptfeindbild der in ihrem Marsch durch die Institutionen in Politik und Justiz inzwischen angelangten 68er Generation. Die Polizei ist Inbegriff des von der 68er Generation verhaßten Obrigkeitsstaates. Dementsprechend wurde die Polizei durch Politiker der SPD und der GAL (Grün-Alternative Liste) in dem von diesen so genannten Hamburger Polizeiskandal gezielt diffamiert". Die PRO fordert das Ende der Demoralisierung der Polizeibeamten, eine bessere Ausstattung, die Anhebung der Schichtzulage und anderes mehr. In den Strafanstalten soll "weniger Luxus und mehr Sicherheit" herrschen und die "ausufernde Gnadenpraxis" soll deutlich eingeschränkt werden. Bei dem Ausländerrecht fordert PRO ein "bilaterales Abkommen mit einem Drittland, damit Asylbewerber, die durch das Wegwerfen ihrer Pässe ihr Herkunftsland verschleiern, dorthin verbracht werden können". Anthony Rau hatte angeblich diesen Punkt kritisiert und mußte (auch) deswegen bei der Schill-Partei seinen Platz räumen. Nicht weniger zimperlich will die PRO die Bildungspolitik angehen. "Permanente Schulreform hat mittels Gleichheitsutopie, Lustprinzip und Machbarkeitswahn herkömmliche, funktionstüchtige Schule weitgehend demontiert, um via Schule zu einem Umbau der Gesellschaft im Sinne linker Theorie zu gelangen." Schill will mit einer Erziehung zur Leistung kontern und besonders Begabte fördern. Die Beliebigkeit im Unterricht soll beendet und dafür sachbezogene Lehrinhalte klar strukturiert werden. Ab Überschreitung der Regelstudienzeit sollen Studiengebühren erhoben werden. Im Mittelpunkt steht die Förderung des Mittelstandes Die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik rückt die Förderung des Mittelstandes in den Mittelpunkt. Lehrer, Professoren und Ärzte sollen nicht mehr verbeamtet und die Zwangsmitgliedschaft in Handels-, Handwerks-, Anwalts- und anderen Kammern abgeschafft werden. Bei den Steuern orientiert sich Schill an den Reagonomics in den USA, denn der Spitzensteuersatz soll langfristig auf 20 bis 25 Prozent gesenkt und die steuerliche Gestaltungsmöglichkeit ebenso wie der Solidarzuschlag, abgeschafft werden. Bei der Verkehrspolitik konzentriert sich die PRO mit ihren Forderungen auf das Straßenchaos in Hamburg. Um wieder Ordnung zu haben und um dem wachsenden Verkehr Herr zu werden, soll sich ein geschlossener Autobahnring um die Stadt legen, sollen die Hauptstraßen ausgebaut und die Ampelschaltungen überarbeitet werden. Gleichzeitig fordert man den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, allerdings ohne die Straßenbahn wieder einzuführen. Keimzelle der Gesellschaft ist für die PRO die Familie, die es deswegen besonders zu fördern und zu schützen gilt. Kinder haben außerdem das Recht, für das Leben in der Gemeinschaft erzogen zu werden. "Das beinhaltet die Erfahrung von Lob und Tadel, Belohnung und Bestrafung." Über eine Abtreibung soll die betroffene Frau in den ersten zwölf Wochen selbst entscheiden dürfen, und der erste Abbruch bleibt auch kostenfrei. Eine medizinische Indikation und Vergewaltigung bilden Ausnahmen. Ob Polizei als Hauptfeind der regierenden 68er, lascher Strafvollzug, Ausländerkriminalität, Leistungsprinzip in der Bildung, die Entideologisierung der Verkehrspolitik oder die Forderung nach niedrigeren Steuern die Rechtsstaatliche Offensive hat sich auf die Fahnen geschrieben, was der schweigenden Mehrheit, nicht nur in Hamburg, tatsächlich unter den Nägeln brennt. Dabei fällt auf, daß der Text des Programms präzise und unmißverständlich formuliert ist und daß er Bodenhaftung besitzt. Roland Schill scheint seine ganze bittere Erfahrung als Amstrichter im Strafvollzug der Hamburger Alternativjustiz eingebracht zu haben. Die Nähe zu den Nöten der Hamburger kann man ihm daher wahrlich nicht absprechen. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn die PRO bei Meinungsumfragen zweistellige Prozentzahlen der Zustimmung einheimsen kann. Daß die Politiker der etablierten Parteien etwas nervös auf ihren Sesseln rutschen, kann man ihnen also nicht verübeln. Die oppositionelle CDU mit ihrem Vorsitzenden Ole von Beust fährt in Sachen Roland Schill mal wieder das altbekannte Muster: rechts neben ihr will sie keinen Rivalen dulden. "Aus dieser Partei wird nichts", orakelte von Beust, "nur Schaum vor dem Mund kann Substanz nicht ersetzen". Wer einen Blick in das Parteiprogramm geworfen hat, der wird von Beust mit Leichtigkeit widersprechen können. Insofern ähnelt die Aussage des CDU-Vorsitzenden eher dem Pfeifen eines ängslichen Kindes beim Gang in den finsteren Keller.
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