© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
"Was zu weit geht, geht zu weit!"
Interview: Pfarrer Winfried Pietrek über den Widerstand gegen das Theaterstück "Corpus Christi" und die Repressionen gegen seine Person
Moritz Schwarz

Herr Pfarrer Pietrek, Sie haben den Widerstand gegen das Heilbronner Skandal-Theaterstück "Corpus Christi" organisiert, in dem Jesus Christus und seine Jünger in übelster Weise als homosexuell dargestellt wurden. Nun sind die Aufführungen zu Ende gegangen. Wie ist Ihr Resümee?

Pietrek: Von den etwa dreißig deutschen Aufführungen, die meisten davon in Heilbronn, konnten wir mit unseren Demonstrationen und Flugblättern die in Karlsruhe, Ulm und Pforzheim verhindern helfen. Für uns war das wichtigste, daß wir an all den Orten öffentlich bekundet haben, daß wir als Christen nicht wehr- und hilflos sind, sondern daß wir den Anspruch erheben, den christlichen Glauben mitten ins öffentliche Leben zu stellen.

Was ließ einige Aufführungen platzen?

Pietrek: Das waren verschiedene Gründe. In Pforzheim z. B. war man beeindruckt von den 1.400 christlichen Demonstranten, die sich in Heilbronn zusammengefunden hatten, und der Bürgermeister wollte nicht erst die Schwierigkeiten in seiner Stadt haben. In anderen Orten erhob sich in der Presse eine große Diskussion, und unsere Mitstreiter haben ebenfalls Argumente vorgebracht. Und so wurde dann auch durch die Intendanten die Uraufführung zurückgezogen.

Wieso wurden Sie zur führenden Figur der Proteste und nicht ein Heilbronner Pfarrer?

Pietrek: Als im Herbst 1999 das Stück in Heilbronn anlief, sagte ich mir, die Geistlichen in der Gegend werden sich selber um die Verteidigung der Menschen- und der Christenwürde kümmern. Als ich Anfang März zu meiner Überraschung hörte, daß das Stück immer noch aufgeführt wird, haben mich seelische und körperliche Schmerzen geplagt, und ich habe kurzentschlossen für den 8. April die erste Demonstration in Heilbronn angemeldet.

Fühlen Sie sich von Ihren Kollegen und der Kirche im Stich gelassen?

Pietrek: Nein. Es haben ja zahlreiche Christen an der Demonstration teilgenommen, Christen aller Konfessionen.

An den Protesten haben sich auch viele Muslime beteiligt?

Pietrek: Wir haben schon bei unserer ersten Kundgebung erklärt, daß wir uns davon distanzieren, weil ja der Jesus-Begriff im Koran ein ganz anderer ist als der Jesus-Begriff der Bibel. Dort ist Jesus nur ein Mensch. Der soll angeblich bei seiner Wiederkunft heiraten und alle Kreuze zerstören, alle Schweine töten. Die Muslime haben sich dann auch zurückgehalten. Dagegen haben einige Zeitungen wie die FAZ oder die Pforzheimer Zeitung in ihrer Berichterstattung so getan, als wäre das ein Topf: Islamische und christliche Bombendroher. Als die Hamas in Pforzheim drohte, mit einer Rakete das Stadttheater wegzufegen, rückte die Polizei mit Spürhunden an. Die Besucher wurden mit einem Detektor nach Waffen abgesucht, Beamte in Zivil saßen im Theater, und es fuhren Streifenwagen durch die Städte. Mit all dem haben wir Christen nichts zu tun. Vielleicht haben einzelne falsche Briefe geschrieben, das war dann aber nicht unsere Absicht. Wir haben, im Gegenteil, immer die friedliche Haltung der Bergpredigt betont.

Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut.

Pietrek: Auch die Kunst hat die Menschenwürde zu respektieren. Sonst erhebt sich der Theaterhimmel über den Himmel Gottes.

Auch wenn man kein bekennender Christ ist, gehört die Achtung vor der Religion zu den Bürgertugenden. Hat das deutsche Bürgertum hier versagt?

Pietrek: Das Bürgertum in Deutschland hat weitgehend verlernt, daß Kult und Kultur zusammengehören. Es wäre gar keine Kultur entstanden ohne den Kult. Dieser Zusammenhang ist vergessen und von vielen verlernt durch eine gewissen Sattheit. Es sind allerdings auch manche gekommen, die zwar keine bekennenden Christen sind, aber sagten: "Was zu weit geht, geht zu weit!"

Haben christliche Politiker, etwa aus den Reihen der Union, ihre Verantwortung wahrgenommen?

Pietrek: Die haben sich sehr spät gemeldet. Praktisch zum Zeitpunkt, als das Stück abgesetzt wurde. Die haben vielleicht auch so früh nichts davon erfahren, denn schließlich ist die Medienherrschaft ja soweit gegangen, daß selbst kirchliche Zeitungen zwar die Aufführungstermine des Stückes veröffentlicht haben, aber unseren Demonstrationstermin haben sie nicht genannt, obwohl wir zahlreiche Hinweise verschickt haben.

Sie selbst wurden von Gegendemonstranten angegriffen.

Pietrek: Ja, etwa mit Eiern, Scherben und Farbbeuteln, die mir sicher für über tausend Mark Schaden angerichtet haben. Es sind einzelne Leute verletzt worden. Ich kann verstehen, daß die Polizei ihre Beamten nicht gefährden will, so daß sie nicht in die Menge der Demonstranten reingegangen sind, die einen solchen Lärmterror gemacht haben. Mir wurde einfach nur erklärt, solange eine Demonstration nicht verhindert wird, sondern nur behindert, dann ist es Ermessenssache, ob wir eingreifen oder nicht. Aber es sah so aus, als sei Deutschland keine Demokratie mehr.

Wer steckt dahinter?

Pietrek: An einer Stelle hatte ich den Eindruck, es seien bezahlte Theaterschüler. An anderen Orten wie in Freiburg hat ein lokaler Radiosender eine Stunde lang Propaganda gemacht, zum Augustinerplatz zu kommen, so daß ganze Gruppen von Homosexuellen angekommen sind und sofort, als die ersten etwa 50 älteren Beter da waren, haben sie Parolen der Abtreibungsbewegung und andere Unverschämtheiten gebrüllt. Wir wurden als Bibelfaschisten beschimpft. Das kann ich fast verstehen. Heute wird ja das Wort Faschismus wie eine Keule benutzt, daß selbst Bischöfe es mit der Angst bekommen haben, dagegen anzuhusten.

Gab es bei Ihnen Hausdurchsuchungen?

Pietrek: Ein Staatsanwalt meint, in einem unserer Flugblätter möglicherweise Volksverhetzendes gegen Homosexuelle entdeckt zu haben. In meiner Abwesenheit hat die Polizei mein Zimmer und die Wohnung meiner Wirtin aufgebrochen, um Erkenntnisse zu gewinnen, wer für den Inhalt und die Verbreitung verantwortlich sei. Die Flugblätter sind allerdings zuvor mit der Post verschickt worden, und den Juristen bei der Post ist diesbezüglich in dem Text nichts strafbares aufgefallen. Auch habe ich seitdem nichts mehr von der Staatsanwaltschaft gehört. Ich denke, das spricht für sich.

 

Pater Winfried Pietrek (68) wuchs in Schlesien auf und wurde 1946 von dort vertrieben. Er kam nach Hamburg, später studierte er katholische Theologie. Er war Militärpfarrer, Missionar in Peru und schließlich Gemeindepfarrer. Inzwischen ist er im Ruhestand.


 
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