© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Von Freiheitshelden zu Kriegsverbrechern
Carl Gustaf Ströhm

Zur gleichen Zeit, da eine hochrangige Delegation der seit sechs Monaten regierenden Linkskoalition Kroatiens nach Washington jettete, um dort über den Nato-Beitritt zu beraten, platzte im "Sommerloch" eine politische Bombe: Das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag will gegen hohe Generäle der kroatischen Armee wegen Kriegsverbrechen ermitteln.

Als erster wurde der ranghöchste Offizier der kroatischen Streitkräfte, General Petar Stipetic, erwähnt – seit der "Linkswende" Chef des Generalstabes. Das Zagreber Magazin Globus behauptete, die oberste Staatsanwältin des Haager Tribunals habe General Stipetic als einen der Verdächtigen genannt – und zwar in Gesprächen mit Präsident Stipe Mesic und Premier Ivica Racan. Beide dementierten sofort, aber – so behauptete der Chef der kroatischen Sozial-Liberalen, Drazen Budisa – nur halbherzig. Budisa als einer der Eckpfeiler der Links-Koalition hat damit seine Koalitionäre implizit beschuldigt, die Auslieferung des höchsten kroatischen Offiziers an das Kriegsverbrechertribunal vorzubereiten.

In der ohnedies verwirrten kroatischen Öffentlichkeit gab es Empörung und Proteste. General a. D. Janko Bobetko, der während des Krieges Vorgänger des beschuldigten Stipetic war, gab eine Ehrenerklärung für seinen Kameraden ab und sprach von "durchsichtigen politischen Spielen", mit denen das Ansehen der siegreichen Armee zerstört werden solle.

Zu allem Überfluß fielen die Aktivitäten des Haager Tribunals mit dem fünften Jahrestag der Operation "Gewittersturm" (Oluja) zusammen, als die kroatische Armee den größten Teil des von den Serben okkupierten Gebiets zurückeroberte, ferner das belagerte moslemisch-bosnische Bihac entsetzte und siegreich bis vor die Tore Banja Lukas marschierte – der Hauptstadt der serbisch-bosnischen "Republika Srpska". Schon damals zeigte sich die Doppelbödigkeit westlicher, nicht zuletzt amerikanischer Politik gegenüber Kroatien. Während einesteils US-Militärberater die kroatische Armee ausbildeten und auf den Schlag gegen die Serben vorbereiteten, verboten die USA andererseits ultimativ den weiteren Vormarsch der Kroaten, weil sonst die gesamte "serbische Republik" zum Einsturz gekommen wäre. Offensichtlich lag der Nato nichts daran, die Kroaten zu stark und die Serben zu schwach werden zu lassen.

Daß General Stipetic nun als "Kriegsverbrecher" dasteht, kann nur politisch interpretiert werden. Am Vorabend der nach Zagreb einberufenen Balkan-Konferenz, an der alle früheren jugoslawischen Republiken teilnehmen sollen, muß die "Schuld" gleichmäßig auf alle Kriegsparteien verteilt werden: die serbischen Angreifer und ihre kroatisch-moslemischen Opfer werden auf eine Stufe gestellt, um ein "Gleichgewicht" zu erzielen.

Schon heißt es, daß ein weiteres halbes Dutzend kroatischer Generäle auf der Haager Liste steht: Aus "Freiheitshelden" werden jetzt "Verbrecher" – und die nationale Befreiung selber wird zu einem düsteren Kapitel, über das man am schnell hinweggehen sollte.

Parallel dazu verkündet der kroatische Verteidigungsminister Rados die Reduzierung der Wehrpflicht auf sechs Monate. Wie unter diesen Umständen die Nato-Kompatibilität erhalten werden kann, ist rätselhaft. Ein kroatischer Oppositionspolitiker warnte daher vor einem Chaos und möglichem innerkroatischen Bürgerkrieg. Am Ende könne sich unter solchen Auspizien Kroatien aus einem (halbwegs) souveränen Staat in ein internationales Protektorant verwandeln – so wie bereits heute Bosnien-Herzegowina.


 
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