© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
Im Dienste höherer Ideale
Vor 50 Jahren starb der ostpreußische Schriftsteller Ernst Wiechert
Werner Olles

Ernst Wiecherts Vorstellungswelt wurde bestimmt durch die Worte und Gestalten der Bibel und durch das Erlebnis der Seen, Moore und Wälder seiner ostpreußischen Heimat. Hatte er sich in seinen ersten Romanen noch gegen alle duldsame Lebenshaltung und hergebrachte Ordnung gewandt, standen seine späteren Novellen ganz im Zeichen der Suche nach dem wahren Menschentum seiner Heimat. Er verherrlichte den Wald als Symbol des Bleibenden und verabsolutierte seine naturreligiöse Haltung bei einem sich steigernden Ringen um Gott.

Am 18. Mai 1887 im Forsthaus Kleinort in Ostpreußen geboren, aufgewachsen in der Einsamkeit ostpreußischer Wälder, studierte er in den Jahren 1905 bis 1911 und war anschließend in Königsberg als Studienrat tätig. Anfang der zwanziger Jahre erschienen seine ersten Bücher "Der Wald" und "Der Totenwolf". Ihre Protagonisten waren wie Wiechert ehemalige Weltkriegsoffiziere und vertraten eine nationalistische und gegenrevolutionäre Haltung. 1928 erschien die Novellensammlung "Der silberne Wagen", zwei Jahre später die Erzählungen "Die Flöte des Pan". Ihren Stil charakterisierte ein östliches Element des Lyrisch-Weichen und Breiten. Nach dem großen Erfolg seines Romans "Die Magd des Jürgen Doskocil" (1932) hängte Wiechert den Lehrerberuf endgültig an den Nagel und ließ sich in München als freier Schriftsteller nieder.

Dem nationalsozialistischen Regime stand der Dichter von Anfang an feindlich gegenüber. Schon im Juli 1933 wandte er sich vor der Münchner Studentenschaft gegen Fremdbestimmung und Machtmißbrauch. Von den Funktionären der Partei mißtrauisch beäugt erschien 1934 der Roman "Die Majorin". Als Wiechert schließlich gegen die Verhaftung Martin Niemöllers protestierte, war das Maß voll. Im Mai 1938 wies man ihn für drei Monate in das Konzentrationslager Buchenwald ein.

Obwohl er bis 1945 unter Aufsicht der Gestapo stand, konnte 1939 ein neuer Roman erscheinen: "Das einfache Leben". In ihm versucht der Dichter die im Titel angedeutete Lebenshaltung, die den Menschen das Heil bringen soll, zu gestalten. Wie in allen seinen Werken kommt auch hier die unstillbare Sehnsucht nach einem unkomplizierten, religiös mystifizierten Leben zum Ausdruck. Seine Helden sind einfache, schlichte Naturmenschen, die sich, in idealisierter Weise dargestellt, ihren eigenen Lebensweg gegen den Strom der Zeit suchen. Schon in der "Hirtennovelle" (1935), vor allem aber in seiner ein Jahr später erschienenen Autobiographie "Wälder und Menschen" war diese Flucht aus der Zeit spürbar, feierte der Dichter die Menschen, die sich – wie er selbst – bewußt aus dem hektischen Leben der Großstädte zurückzogen, um in der Naturverbundenheit ihre Ideale zu verwirklichen.

1945 erschien der erste Band des Familien- und Dorfromans "Die Jeromin-Kinder", den die Literaturkritiker an die Seite von Thomas Manns "Buddenbrooks" stellten. Wiecherts "Rede an die deutsche Jugend" im gleichen Jahr im Münchner Schauspielhaus fand zwar eine breite Aufnahme, stieß jedoch gerade bei der jungen Generation nicht auf einhellige Zustimmung. Gewiß wurde seine moralische Integrität nicht bestritten – neben Ernst Jünger war er einer der wenigen Intellektuellen, die im Reich geblieben waren und sich den Verhältnissen gestellt hatten –, aber seine Vermittlung eines antimodernistischen und antiemanzipatorischen Lebenssinns rief doch bei vielen Jüngeren Ablehnung hervor. Es verletzte den Dichter zutiefst, daß das, was er als Zeitlosigkeit der Dichtung empfand, offenbar nicht verstanden wurde. "Nie wieder will ich zu Deutschland sprechen, auch nicht zur deutschen Jugend", resümierte er und folgerte, daß, "wenn Hitler morgen wiederkäme, sechzig bis achtzig Prozent der Deutschen ihn mit offenen Armen aufnehmen würden".

Enttäuscht und resigniert emigrierte er 1948 in die Schweiz. In "Jahre und Zeiten" (1949), Erinnerungen, die an "Wälder und Menschen" anschließen, aber auch in seinem letzten Roman "Missa sine Nomine" (1950), drückt er diese Resignation in Thematik und Sprache der deutschen Innerlichkeit noch einmal aus. Am 24. August 1950 starb Ernst Wiechert im schweizerischen Uerikon im Alter von 63 Jahren.

Als einer jener Dichter der von den Exilanten immer bestrittenen "inneren Emigration", dessen Ideale jenseits der Gegenwart lagen, gehörte er zu den Solitären einer Zeit, die nicht nur mit der Darstellung humanistischer Werte gegen den Nationalsozialismus ihr Leben eingesetzt hatten, sondern bis zuletzt standhaft an ihrem Weg nach innen festhielten.


 
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