© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
Ehrenbürger verschiedener Gegenwelten
Zum 80. Geburtstag des deutschstämmigen US-Lyrikers Charles Bukowski
Silke Lührmann

Wer den "Schmerz des Synchronisiertwerdens" (Martin Walser) nicht empfindet, der schreibt weder Gedichte noch Romane, sondern Unternehmensprofile oder Gebrauchsanleitungen für Mikrowellen oder Mobiltelefone. Charles Bukowski gehörte zu denen, die sich nicht synchronisieren lassen. Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg verweigerte er den Wehrdienst keineswegs aus pazifistischer Gesinnung.

Er hatte nur "was dagegen, daß man mir das Recht verweigerte, in einem kleinen Zimmer zu sitzen und vor mich hin zu hungern und billigen Wein zu trinken und langsam wahnsinnig zu werden – auf meine eigene Art und nach eigenem Belieben. Ich wollte nicht in einer Kaserne schlafen in Gesellschaft von gesunden sexhungrigen footballbegeisterten überernährten wichtigtuerischen onanierenden liebenswerten verängstigten babyhäutigen furzenden mutterfixierten wohlerzogenen basketballspielenden amerikanischen Boys. Zu töten oder getötet zu werden, war im Vergleich dazu beinahe unerheblich." Uncle Sam zeigte Verständnis und wies ihm sein kleines Zimmer zu – in Form einer Gefängniszelle.

Auch als liebenswert-verschrobenen Bewohner einer Seniorenresidenz mag man sich den sperrigen Dichter kaum vorstellen: "Charlie, es ist gleich neun - Zeit für brave Jungs, in die Heia zu gehen und auf das Sandmännchen zu warten! Haben wir etwa unseren Kamillentee schon wieder kalt werden lassen? Dosenbier? Du Schlingel, du weißt doch genau, Alkohol gibt es bei uns nur sonntags zum Abendmahl!" Insofern hat es dem 1994 Verstorbenen vielleicht wenig leid getan, seinen 80. Geburtstag am Mittwoch zu verpassen: "Manchmal ist erst / nach einem ganzen Leben / Schluß, und manchmal / geht es ruckzuck."

Fast wäre für ihn schon nach 35 Jahren Schluß gewesen, als er mit einem Magendurchbruch auf der Intensivstation lag. Statt dessen machte er sich ernsthaft daran, Schriftsteller zu werden – aus Ärger, wie er sagte, über die "lauwarmen Primeln", die "blutleer und flau" schrieben, "Geplänkel, mit dem sie nichts riskierten". Respekt rangen ihm nur wenige ab: Hemingway, D. H. Lawrence, Celine, schließlich auch sein Zeitgenosse Allen Ginsberg. Gedruckt wurde Bukowski in gegen die Zensur und um ihr Überleben ringenden Kleinstverlagen und Untergrundzeitschriften. Mit knapp 50 schrieb er als "Dirty Old Man" eine Kolumne in der Los Angeles Free Press. Zu seinen Förderern zählte der Beat-Poet und Verleger Lawrence Ferlenghetti, der in San Francisco die einschlägige "City Lights"-Buchhandlung betrieb. So kam es wohl, daß der fanatische Anti-Intellektuelle im Fahrwasser von Ginsberg, Jack Kerouac, William S. Burroughs, Gary Snyder oder Gregory Corso durch die kalifornischen Kaffeehäuser tingeln durfte. "Schmiergeld", nannte er die "Rolle Scheine in der Hosentasche", mit der er für eine Lesung entlohnt wurde. Nachts arbeitete Bukowski 15 Jahre lang als Briefesortierer, im Morgengrauen genau drei Wochen lang an einem Roman darüber: "Post Office" (dt. "Der Mann mit der Ledertasche", 1974).

Walser erläutert ironisch, es sei "sozusagen das Normale, (sich) das Leben gefallen (zu lassen), ohne mit einem Roman zu antworten. Es ist die heroische Art." Bukowski aber wußte – ebenso ironisch – um die All- und gleichzeitige Ohnmacht der Sprache und schrieb sich zum Helden: "Was wirklich passiert ist, ist egal. Was ich schreibe, ist wirklich passiert. Und rate mal, was? Ich bin immer der Held." Seine Leser nahmen es ihm ab, allen voran die deutschen. Generationen postpubertärer Alpträumer sahen in seiner Auflehnung gegen die spießbürgerliche Heuchelei des Elternhauses ihren Verdacht bestärkt, daß jenseits von Schulbank und Audimax eine viel wirklichere Wirklichkeit lag. Zugleich bestärkte Bukowskis Ablehnung der staatsbürgerlichen Eintönigkeit sie im eigenen Anti-Amerikanismus. Bewunderer und Nachahmer – in der Bundesrepublik nicht zuletzt der Übersetzer-Freund Carl Weissner und der Dichter Jörg Fauser, der "mehr Bukowski war als ich" und sich dementsprechend zur Feier seines 43. Geburtstags stockbetrunken auf der Autobahn überfahren ließ – pflegten den Bukowski-Mythos, eine Legende voller Widersprüche: der glücklich verheiratete Frauenhasser; der belesene Kulturbanause; die Drecksau, die mehrmals am Tag badet; der wettbegeisterte Rennbahnbesucher, der lange als Geheimtip vor sich hin hungerte; der Säufer und Streuner, der sich für keinen Broterwerb zu schade ist, solange er nicht sein Schreibtalent prostituieren muß. Während er hier und in Frankreich bald Millionenauflagen hatte und zum Ehrenbürger verschiedenster Gegenwelten erkoren wurde, hatten die Säulenheiligen der amerikanischen Kulturkritik zumeist nur Verachtung für ihn übrig. So etwa Susan Sontag, die beklagte, Bukowski sei "nur ein Selbst, eine Stimme, die immer nur ‚ich ich ich‘ sagt".

In den USA gelang dem gebürtigen Rheinländer – Sohn einer deutschen und eines polnisch-stämmigen US-Sergeanten, dessen Eltern ihn 1922 mit in die USA nahmen – der Durchbruch erst 1987 mit der Verfilmung seines Romanes "Barfly" mit Mickey Rourke als sein fiktionales Alter ego Henry Chianeski und Faye Dunaway.

Bukowskis zeitweiliger Nachbar Norman Mailer verklärte die dunkle Seite des American dream zu einem "unterirdischen Fluß des unverbrauchten wilden, einsamen und romantischen Begehrens, jene Verdichtung von Ekstase und Gewalt, die das Traumleben der Nation ausmacht". Dieses Sinnbild kitsch-existentialistischer Ästhetik füllte Bukowski mit seiner "Kotze" und seiner "Scheiße", bis der Fluß zur Kloake wird. Schade nur, daß Worte nicht stinken.

"Don‘t try", steht auf dem Grabstein Bukowskis, in Anführungsstrichen: "Gib‘s auf". Das war laut seiner Frau Linda sein Lebensmotto, liest sich aber auch als Warnung, ihn nicht posthum zu synchronisieren.

 

Charles Bukowski: Irgendwo in Texas. Maro Verlag, Augsburg 2000;

ders.: Umsonst ist der Tod. Gedichte 1992–1993. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999


 
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