© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
Madrid hat noch kein Klein-Istanbul
Spanien: Die Novelle des spanischen Ausländerrechts wird die Armutsflüchtlinge aus Afrika nicht aufhalten
Carlos E. Izquierda

Spanien ist ein Einwanderungsland. Diese Überzeugung teilen die Abgeordneten aller Parteien des Landes. Demnach sind die Zeiten, in denen die Spanier ihr Glück in Lateinamerika suchten oder – wie bis in die siebziger Jahre hinein – als Gastarbeiter nach Nordeuropa zogen, vorüber.

Damit tragen die spanischen Politiker erstmals dem Phänomen Rechnung, daß die sinkenden Geburtenraten zu einem Bevölkerungsrückgang führen, während immer mehr Marokkaner und Südamerikaner nach Spanien drängen. Viele Arbeiten – vom Bauarbeiter bis zum Hausmädchen – werden trotz der dramatischen Arbeitslosigkeit im Königreich, die mit 14 Prozent immer noch europaweit an der Spitze liegt, von Ausländern verrichtet. Denn auch auf der iberischen Halbinsel gilt, was sich in anderen Teilen Europas längst etabliert hat: Ein arbeitsloser Universitätsabgänger läßt sich nicht vom Arbeitsamt als Parkreiniger oder als "Hamburger-Twister" abstellen. Der Bedarf etwa an ausländischem Haushaltspersonal kreuzt sich jedoch mit einer internationalen Verpflichtung Spaniens.

Seit das Land dem Schengener Abkommen über die Öffnung der europäischen Binnengrenzen beigetreten ist, muß man den Zuzug stärker kontrollieren und begrenzen. Dabei stoßen die Politiker auf ein anderes Phänomen: die illegale Einwanderung über die langen spanischen Küsten.

Kaum eine Woche vergeht, ohne daß die Guardia Civil an den Stränden Andalusiens oder der Kanarischen Inseln schiffbrüchige "Boat people" aus Nordafrika aufgreift (siehe JF 12/00). Die Zahl der aufgegriffenen Flüchtlinge läßt nur ungefähr die Dunkelziffer derer vermuten, die es bis in die spanischen Großstädte schaffen oder weiter nach Frankreich und Mitteleuropa ziehen.

Die Zahl der in Spanien gemeldeten Ausländer liegt bei gerade 538.000; 274.000 davon stammen, so Behördenangaben, aus Europa. Doch allein das Beispiel der Deutschen zeigt, wie trügerisch Statistiken sind: Nur 45.000 Deutsche haben sich in Spanien ordnungsgemäß gemeldet, ihre Zahl dürfte aber in die Hunderttausende gehen.

In Anbetracht dieser Situation schuf das spanische Parlament im September 1999 ein äußerst freizügiges Ausländerrecht. Danach dürfen alle Nicht-EU-Bürger, die vor dem 1. Juni 1999 nach Spanien kamen, auf die begehrte Aufenthaltsgenehmigung "Residencia" hoffen.

Ferner wird den Illegalen unter anderem ein Recht auf die staatliche medizinische Versorgung gewährt, und den minderjährigen Einwanderern ohne Papiere wird der Zugang zu staatlichen Bildungseinrichtungen verschafft.

Die damalige Gesetzesnovelle löste einen bis dahin nicht gekannten Ansturm auf die Halbinsel aus. Die Zahl der Immigranten nahm schlagartig zu. Die liberale Politik zog immer mehr Wirtschaftsflüchtlinge an. Experten sprachen bereits vom "weltgrößten Migrationsdruck" am Tor zum Mittelmeer.

Die erst vor kurzem wiedergewählte konservative Regierung José Maria Aznars zog trotz des Einwanderungsbedarfs die Notbremse. Im Eiltempo wurde das naive und realitätsferne Ausländergesetz von 1999 nachgebessert. Nunmehr soll eine unbeschränkte Aufenthaltsgenehmigung erst nach fünf Jahren ununterbrochenen Aufenthalt erteilt werden, nicht wie bisher schon nach zwei Jahren; außerdem soll der Nachzug der Familienangehörigen von Gastarbeitern auf die unmittelbaren Verwandten eingeschränkt und auch zeitlich begrenzt werden. Auch soll nunmehr die Abschiebung illegaler Flüchtlinge nach einem verkürzten Verfahren binnen 48 Stunden ermöglicht werden.

Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische PSOE, hält das Gesetzesvorhaben für eine Beschneidung der Rechte von Immigranten. Einwanderer würden so zu Menschen zweiter Klasse, und Illegale hätten überhaupt keine Rechte mehr.

Die Kommunisten der Izquierda Unida (IU) wittern in der Novelle "klare Verstöße gegen das internationale Menschenrecht". Sie wollen die Gewerkschaften mobilisieren und gemeinsam dagegen auf der Straße demonstrieren. Gewerkschaftsvertreter halten sich hingegen seltsam bedeckt, denn gerade in der boomenden Baubranche wird der Unmut über ausländische Billigarbeiter immer lauter.

Die allein von der Volkspartei gebildete Regierung beharrt andererseits darauf, daß das Gesetz nach wie vor beabsichtige, das Zusammenleben zwischen allen Bevölkerungsgruppen zu erleichtern. Ferner würden vor allem nur EU Vorgaben umgesetzt. Frankreich sehe bis zur Eingliederung der Einwanderer einen Zeitraum von 10 Jahren vor und Italien als auch Großbritannien fünf, so der zuständige Staatssekretär Ramón Jáuregui Enrique Fernández-Miranda.

Die Regierung verfügt über eine bequeme Mehrheit im Parlament und kann bei ihrem Anliegen teilweise auf die Regionalparteien der Kanarischen Inseln (CC) und Kataloniens (CiU) zählen, so daß ein Alleingang denkbar ist. Die linke Opposition beanstandet daher bereits einen rücksichtslosen Gewaltritt durch alle Gesetzgebungsinstanzen.

Auch wenn die Diskussion in Spanien sehr heftig geführt wird, wird weder mit der Faschismuskeule um sich geschlagen, noch der wenig originelle Rassismusvorwurf geäußert, wie es in nicht nur in Deutschland bei dieser Problematik an der Tagesordnung ist. Die Argumente der Gewerkschaften, Sozialisten und sogar Kommunisten zielen alle darauf ab, den Nutzen für Spanien zu mehren. Zumindest wird dies immer wieder beteuert.

Man wolle eine großzügige Einwanderungspraxis als patriotische Pflicht, wie es in den USA üblich sei, so der Grundkonsens der Kritiker.

Bei einem ausländischen Bevölkerungsanteil von weniger als zwei Prozent hält sich die Anteilnahme der Bevölkerung an der hitzigen politischen Debatte in Grenzen. Die neue Attentatsserie der baskischen Terrororganisation ETA überlagert alle anderen tagespolitischen Themen. Vergleicht man zudem das Straßenbild von Madrid und Barcelona mit anderen europäischen Metropolen wie zum Beispiel Paris, London oder Berlin, wird man sehr schnell feststellen, daß der nichteuropäische Bevölkerungsanteil kaum ins Gewicht fällt. Chinatown, Maghrebviertel, Klein-Istanbul oder ähnliches wird man in keiner spanischen Stadt finden.

Der Durchschnittsspanier, der nicht gerade an den Hauptanlaufstellen der Immigranten in Andalusien, den Kanarischen Inseln oder den Enklaven Ceuta und Melilla lebt, fühlt sich daher auch nicht unmittelbar bedroht durch die zunehmende Einwanderung. In den wenigen Ballungszentren mit großem Ausländeranteil wird die Stimmung jedoch zunehmend gereizter. Die Ausschreitungen von "El Ejido" sind nur ein Vorgeschmack dessen, was Spanien erwartet, wenn man das Einwanderungsproblem nicht in den Griff bekommt.


 
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