© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Pankraz,
Jeremy Rifkin und der Aufstand der Eliten

Viel Zuspruch erfährt zur Zeit das Buch "Access – das Verschwinden des Eigentums" des amerikanischen Unternehmensberaters und Trendforschers Jeremy Rifkin, das im Frankfurter Campus Verlag erschienen ist. "Access" heißt "Zugang" und gibt das Schlüsselwort ab für eine "neue Art von Hyperkapitalismus", die Rifkin prognostiziert zu haben glaubt.

In diesem Kapitalismus, sagt Rifkin, gäbe es keinen Markt mehr, sondern nur noch "Netzwerk", kein Eigentum mehr, sondern eben nur noch "Zugang". Das materielle Gut, die Hardware, kriege man künftig vom Hersteller buchstäblich geschenkt, dafür müsse man aber kräftig für das ideelle Gut bezahlen, für die Software, die Gebrauchsanweisung, das "Erlebnis", das durch das harte Produkt ermöglicht werde.

Als Beispiel nennt Rifkin u.a. ein Unternehmen für Kühlaggregate, das seinen Kunden Kühlschränke schenkt, aber von den also Beschenkten einen regelmäßigen Obolus für das "Erlebnis der kalten Luft" erhebt. Die Kunden werden dauerhaft an das Unternehmen gebunden, nehmen nur noch dessen Aggregate, werden von dessen Angestellten (gegen Zahlung selbstverständlich) beraten und betreut, etwa über neue Methoden des Energiesparens auf dem laufenden gehalten und, ganz unmerklich und scheinbar nebenbei, mit einer Fülle weiterer "Erlebnis"-Dienstleistungen des-selben Unternehmens überzogen, für die ebenfalls bezahlt werden muß.

Man sieht, daß von einem "Verschwinden des Eigentums", von dem der Buchtitel spricht, überhaupt keine Rede sein kann. Nach wie vor regieren die Gesetze der Marktwirtschaft, nach wie vor geht es um Geld, Geld, und noch einmal Geld, und man kriegt nichts geschenkt. Insofern ist Rifkins Buch weniger sensationell, als es sich einbildet. Aber es bietet doch einige Ausblicke, die einem so bisher nicht begegnet sind. 

Ob Ford oder General Motors ihre Autos in Zukunft nicht mehr verkaufen, sondern, wie Rifkin vermutet, nur noch "leasen" und dafür die Kosten des Kundendienstes vervielfachen werden, erscheint dabei gar nicht so wichtig. Viel interessanter ist, daß die Methode "Access" dem Kapital neue, unerhörte Zugriffe auf die tagtägliche Lebenswelt ermöglicht, daß vor allem die sogenannte kulturelle Sphäre des Lebens, Sport und Spiel, Studium und Unterhaltung, gesellschaftlicher Kontakt und behagliches Beisichsein, im Zeichen von "Access" bald komplett kommerzialisiert sein könnte.

Freilich ist auch das nicht so neu, wie es in Rifkins Buch hingestellt wird. Schon heute wird uns ja für faktisch jedes, auch das harmloseste Vergnügen, Eintrittsgeld abgenommen, vom Freibad bis zum Bundesligaspiel im Fernsehen, vom Tierparkbesuch bis zum Lustgestöhne per Telefonsex. Das ist natürlich ausbaufähig, und es wird bereits tagtäglich weiter ausgebaut. Alles verläuft peu à peu. Qualitätssprünge, jenseits derer ein vollkommen neuartiges Leben beginnen würde, kamen bislang nicht in Sicht.

Ein Qualitätssprung wäre zum Beispiel, wenn für das schlichte Zubettgehen oder für das "Erlebnis", daß draußen die Sonne scheint, bezahlt werden müßte, etwa in dem Stil: "Wie schön ist doch Ihr Bett, das wir Ihnen kostenlos hingestellt haben! Benutzen Sie es, genießen Sie es, lassen Sie sich von ihm in Morpheus’ Arme tragen! Big Brother is watching You. Einmal auf dem Bettrand sitzen – 1,50 Dollar bzw. 4 Euro. Einmal Vollschlaf inklusive innerfamiliärer Beischlaf – 10 Dollar bzw. 25 Euro."

Oder so: "Wir, Ihr Lebenspartner, die Firma ’Klimaschutz‘, haben die Umweltverschmutzung in der letzten Zeit immer erfolgreicher bekämpft. Die Zahl der unbeschwerten Sonnentage in unserer Stadt steigt! Auch heute ist wieder, wie unsere Meßgeräte zeigen, ein solcher herrlicher Sonnentag. Genießen Sie ihn, verlieben Sie sich in ihn, erleben Sie ihn – 14,50 Dollar bzw. 35 Euro. Wir beglückwünschen Sie zu Ihrem guten Geschmack!"

Jeremy Rifkin hält solche Szenarien schon in naher Zukunft für durchaus möglich. Sein Buch lebt von derartigen Schock-Prognosen. Und es schreckt nicht vor Total-Utopien zurück. "Eines Tages werden wir aufwachen", liest man, "und sind LTViert. LTV steht für den Life Time Value eines Klienten", den Gesamtlebenswert. Rifkin: "Damit ist der Wert eines bis zur letzten Minute durchkommerzialisierten Lebens gemeint. Die Firma bemüht sich, uns ein Leben lang zu begleiten, mit allen Dienstleistungen, die wir je gebrauchen können, Tag für Tag vierundzwanzig Stunden lang. Und die Firma verdient nicht schlecht dabei."

Rifkin sagt "schwere neuartige Sozialkonflikte" für die Access-Gesellschaft voraus. Wie sie aussehen werden, erfahren wir allerdings nicht. Sie sind zugegebenermaßen auch schwer prognostizierbar. Sehr wahrscheinlich werden sie nicht von der Masse ausgehen, da diese sich den "Erlebnis"-Angeboten der Firmen, wie ja schon heute erkennbar ist, fast willenlos ausliefert und gutes Geld für den schlimmsten Ereignis-Kitsch zu investieren bereit ist.

Was vielmehr denkbar erscheint, wäre ein Aufstand kultureller Eliten gegen die unhei-lige Allianz aus Massengeschmack und Kommerz, ein energisches Bemühen, das kulturelle Erbe der Völker zu einer scharfen Waffe im Kampf um geistige Errettung aufzurüsten und mit ihrer Hilfe die Kanäle zu erobern. Jeremy Rifkin erhofft offenbar einen solchen Aufstand des Geistes, und er gibt ihm gute Chancen. Denn Kommerz könne nur verwerten, was schon da sei, sagt er, Werte schaffen könne einzig der Geist.

Fragt sich nur, wo eine Elite, die Träger des Geistes sein müßte, herkommen soll. Weder die sogenante Babyboomer-Generation in den USA (Clinton & Konsorten) noch die 68er-Generation in Europa (auf die Rifkin drolligerweise viel Hoffnung setzt) ist ja eine solche Elite, eher ihr Gegenteil. Man muß also wieder ganz bei Null anfangen, und das ist schwer.


 
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