© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Zweifelhafte Elite
Ein Buchverlag wird genötigt, Norman Finkelstein nicht zu verlegen
Peter Sichrovsky

Es gibt verschiedene Methoden, einen Autor zu kritisieren. Eine davon ist es, ihn als inkompetent zu erklären, eine andere als persönlich befangen, familiär belastet oder zu emotionell argumentierend zu erklären. Man kann ihn auch als einen Fanatiker, Lügner und Betrüger abstempeln und die Motive für seine Arbeit in einer psychischen Störung vermuten.

Norman Finkelstein, US-amerikanischer Politologe und Autor eines kritischen Buches über die Holocaust-Industrie (JF berichtete), kann sicher in einer Sammlung der Artikel über sein Buch all diese verschiedenen Angriffe finden.

Nun ist es wie so oft bei einem provokanten Buch gar nicht mehr so wichtig, was eigentlich in dem Werk geschrieben steht. Wesentlich interessanter wird zunehmend die Auseinandersetzung um das Produkt, den Autor und seine Kritiker.

Hier konnte man in Deutschland inzwischen drei Ebenen beobachten:

Erstens versucht man den wissenschaftlichen Wert des Buches zu zerreden mit Hinweisen, das alles nicht neu sei, die Daten falsch und die Behauptungen entweder übertrieben oder falsch seien.

Zweitens kommt man mit der Antisemitismus-Keule daher, was etwas schwieriger ist, weil der Autor selbst Jude ist, aber dafür hat man in den letzten Jahren auch einen Ausweg gefunden. Natürlich kann ein Jude auch Antisemit sein, das weiß man spätestens, seit ich mich der Freiheitlichen Partei in Österreich angeschlossen habe. In den Veröffentlichungen der Wiener Jüdischen Gemeinde zum Beispiel wird meine Kritik (als Gemeindemitglied) an dem verschwenderischen Führungsstil der jetzigen Gemeindeführung als ein typisch "antisemitisches Verhalten" der FPÖ zitiert.

So ist also Finkelstein in den Augen seiner Kritiker ein "jüdischer Antisemit" mit dem dann üblicherweise ins Spiel gebrachten "jüdischem Selbsthaß", der auch noch wie "Wasser auf die Mühlen der Antisemiten" wirkt, wie man in einem Interview mit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde von München lesen kann.

Wie böse also so ein Jude sein kann. Er verrät seine Glaubensschwestern und -brüder und liefert Munition den Feinden, also muß er doch die Juden und sich selbst hassen. Der Vorwurf des Antisemitismus funktioniert immer, auch wenn er sich gegen einen Juden richtet. Spezialisten für den Haß gegen Juden sind meist Nicht-Juden, die selbst aus Familien von ehemaligen Nazis kommen. Deutsche lieben diese Form der Wiedergutmachung, weil es doch dem Nazi-Enkel die Idealform der familiären Distanz zur eigenen Vergangenheit ermöglicht. Und wer kann einem schon vorwerfen, daß man gegen Antisemitismus auftritt? Es läuft ihnen ein angenehmer Schauer über den Rücken, wenn sie mit demonstrativer Verzweiflung in ihre Reden und Schriften diese Form der Empörung einbauen. Was würden wir Juden heute ohne diesen Schutz der Nicht-Juden nur machen?

Die dritte Ebene der Angriffe sind die gegen den Münchner Piper Verlag, der das Buch im Februar kommenden Jahres in Deutschland veröffentlichen möchte. Und hier wird die ganze Angelegenheit dramatisch. Waren es bisher nur vereinzelte Meinungen und Rezensionen, so wird plötzlich die Frage diskutiert, ob dieses Buch den Deutschen überhaupt zumutbar ist.

Eine selbsternannte Elite möchte entscheiden, was die Deutschen lesen dürfen oder nicht und was sie gefährdet. Diese Ebene der versuchten Einschüchterung ist besonders erschreckend und erinnert, wie weit Deutschland von einer funktionierenden demokratischen Stabilität noch entfernt ist.

Wer soll in diesem Land bestimmen, wer was lesen darf? Wie kann der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, in einem Interview sagen: Wäre dieses Buch inhaltlich diskutabel, dann hätte ich gegen eine Veröffentlichung keine Bedenken! Welcher Inhalt ist von wem als "diskutabel" erklärt worden? Wer soll hier als die entscheidende Autorität auftreten?

Dieses Buch ist in den USA erschienen und wird in allen europäischen Sprachen auf den Markt kommen. Was unterscheidet nun die Deutschen von den Amerikanern, Italienern, Franzosen und Spaniern – nach Meinung von Salomon Korn?

Diese typisch deutsche Überheblichkeit der "Intelligenz" gegen die "Dummen" dort unten am Stammtisch ist einer der schrecklichsten deutschen Fehler in der demokratischen Entwicklung dieses Landes. Die Meinung, nur die dort oben hätten diesen Röntgenblick, der befähigt, das Wahre vom Falschen trennen zu können, basiert auf einer unheilbaren deutschen Überheblichkeit und Verachtung gegenüber dem sogenannten einfachen Volk.

Nur ein paar Weisen sollten in Deutschland bestimmen, was die Blöden lesen und nicht lesen dürfen? Vielleicht könnten Salomon Korn und all die anderen Hetzer, die den Deutschen das Buch vorenthalten wollen, uns einfachen Menschen erklären, wie man so ein Weiser wird? Wir wollen doch alle einmal dort "oben" in der deutschen Elite aufgenommen werden und Bücher lesen, die uns vielleicht dann nicht einmal gefallen.

 

Peter Sichrovsky ist Europaabgeordneter der FPÖ und Vorsitzender des orthodoxen "Bundes Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden in Deutschland"


 
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