© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Von der Mehrheit bald umgestimmt?
Deutsche Sprache I: Gegner der umstrittenen Rechtschreibreform lassen nicht locker
Moritz Schwarz

Nach der Rückkehr der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur alten Rechtschreibung scheint eine Revision der Reform wieder möglich. Als entscheidend erscheint den Gegnern der Reform dabei, den durch die FAZ erzeugten Impuls nicht wirkungslos verpuffen zu lassen. So haben prominente Reformgegner wie der Initiator der vielbeachteten "Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform", Friedrich Denk, oder der Organisator des erfolgreichen Volksbegehrens gegen die Rechtschreibreform in Schleswig-Holstein, Matthias Dräger, die "Initiative für eine vernünftige Rechtschreibung" gestartet.

Diese gab am vergangenen Freitag auf einer Pressekonferenz in Berlin das Ergbnis ihrer jüngsten Aktion bekannt. Die Initiative hatte am 19. August mittels großformatiger Anzeigen in sechs deutschen Tageszeitungen zu einer Abstimmung über die Frage "Soll die alte Rechtschreibung zurückgenommen werden?" aufgefordert. Tatsächlich folgten über 71.000 Leser der Tageszeitungen Berliner Zeitung, FAZ, Münchner Merkur, Nordwest-Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Die Welt dem Aufruf und meldeten sich zu Wort. Allein das durften die Initiatoren schon als großen Erfolg werten, liegt doch nach deren Angaben der Rücklauf bei ganzseitigen Anzeigen normalerweise bei drei- bis fünfhundert Einsendungen. Hier aber brachte man es innerhalb nur einer Woche auf eine Quote von zehntausend.

Im Durchschnitt stimmten 98,56 Prozent der antwortenden Leser für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung, 1,33 Prozent waren dagegen, und 0,1 Prozent gaben an, unentschieden zu sein. Dabei fand sich die höchste Zustimmung für eine Rückkehr zur alten Schreibung mit 99,28 Prozent unter der Leserschaft der Welt, die "geringste" mit 97,06 Prozent unter den Lesern der Süddeutschen Zeitung.

Friedrich Denk appellierte an die Redaktionen, das klare Urteil der Leser zu respektieren und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Wenn "ein, zwei weitere große Zeitungen aussteigen, dann ist die Sache gestorben". Den Einwurf, bei solch einer Umfrage mobilisiere man gemeinhin nur die Gegnerschaft, weil die Befürworter, da das Gewünschte erreicht sei, keinen Grund mehr sähen, aktiv zu werden, konnte Denk allerdings nicht gänzlich ausräumen. So verzichtete er schließlich auf das Prädikat "repräsentativ" und nannte die Umfrage statt dessen "gültig". Und erinnerte daran, daß sich die heimlich, still und leise am Volk vorbei geführte Einführung der Rechtschreibung auf eine schweigende Akzeptanz berufe, die nie überprüft worden sei.

Streit entzündete sich auch am vom Podium vorgebrachten Vorwurf, bei der Reform handle es sich wegen der undemokratischen und überfallartigen Durchsetzung, um einen "Staatsstreich". Doch konnte Matthias Dräger mit seinen Erfahrungen in Schleswig-Holstein, wo das Votum des Bürger in einer Volksabstimmung von der Politik im September 1999 mit einem Beschluß des Kieler Landtags unterlaufen wurde, den "Staatsstreich"-Vorwurf plausibel machen.

Die Intiative fordert nun konkret die Rücknahme der Reform und eine neue, ruhige und öffentliche Debatte über orthographische Veränderungen, um den "rationalen Kern im Dialog mit der schreibenden und lesenden Öffentlichkeit zu finden". Friedrich Denk betonte, es gehe schließlich nicht nur um ein paar Rechtschreibregeln, sondern um die Grundlage für die deutsche Literatur.

Unterdessen unterstrich der Vorsitzende des "Vereins für Rechtschreibung und Sprachpflege" (VRS), Manfred Riebe, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, gegen die Rechtschreibreform sei vor dem Erfolg der FAZ-Umstellung zäh gerungen worden und so gehe es nun beharrlich weiter. Zur Unterstützung der "Initiative für eine vernünftige Rechtschreibung" führte er den Schriftsteller Günther Kunert an, der ebenfalls davon gesprochen hatte, die Einführung der neuen Regeln habe auf ihn wie ein Staatsstreich gewirkt. Am 1. Oktober will der VRS selbst mit einer hochkarätig besetzten Pressekonferenz erneut an die Öffentlichkeit treten und dem Kampf gegen die Reform neuen Schub verleihen.

Gerüchte, der Münchner Merkur stünde ebenfalls kurz vor der Rückkehr zur alten Rechtschreibung, wurden von der Redaktion gegenüber der JUNGEN FREIHEIT allerdings zurückgewiesen. Da den Schriftschützern die Rückkehr der Zeitungen als der geeignetste Weg erscheint, die widersinnige Reform zu brechen, hat der VRS zum Ansporn nun eine Liste der wichtigsten deutschen Zeitungen veröffentlicht, die die alte Rechtschreibung beibehalten haben.


 
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