© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Wie Pfälzer und Sachsen für die Zulus malten
Südafrika: Am Kap wurde eine deutsche Missionskirche eingeweiht / Deutsche Handwerker im Hilfseinsatz
Paul Leonhard

Natal – eine Handvoll deutscher Malermeister lauschte kürzlich andächtig , als die Missionskirche Maria-Ratschitz am Fuß des 1.600 Meter hohen Biggarsbergs im Nordwesten Natals feierlich geweiht wurde. Sie waren extra angereist, um bei diesem Festakt dabei zu sein. Genau 18 Handwerksmeister aus allen Teilen Deutschlands hatten in den vergangenen zwei Jahren ihren Beitrag geleistet, damit ein Stück deutscher Geschichte und Kultur im südlichen Afrika vor dem Verfall gerettet werden konnte. "Eine Aktion mit einer Prise Abenteuer, einer ordentlichen Portion Improvisation und einem Ergebnis bester Handwerksqualität von künstlerischem Wert", faßt Günter Lichtner das selbst Erlebte zusammen. Der 64-jährige Malermeister aus dem ostsächsischen Ostritz ist sichtbar stolz. Hat er doch die bildhaften Darstellungen im Kircheninneren wochenlang unter schwersten Bedingungen sorgfältig in Kaseintechnik restauriert: Eichenlaub und exotische Pflanzenmotive, europäischer und afrikanischer Einfluß, biblische Szenen und naive Malerei – unter den erfahrenen Händen Lichtners begannen die verblichenen Farben neu zu strahlen. Noch vorhandene Originalteile wurden behutsam verfestigt.

Wenn Lichtner den Pinsel absetzte und das Geschaffene begutachtete, schüttelte er immer wieder ungläubig den Kopf: Zehntausend Kilometer von zu Hause entfernt malte er eine neugotische Kirche aus. Mitten in Südafrika.

Böhmische Trappistenmönche hatten die Missionsstation im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts errichtet. Ihren Namen erhielt sie 1911 nach dem böhmischen Marien-Wallfahrtsort Maria Ratschitz (Marianske Radcice) nahe dem Zisterzienserkloster Ossegg im Kreis Dux. Die Missionskirche entstand zwischen 1905 und 1909. Trotz schwieriger Bedingungen entwickelte sich Maria-Ratschitz nicht nur zu einem Ort der Verkündung und des Friedens, sondern auch zu einem blühenden landwirtschaftlichen Unternehmen mit rund 3.200 Hektar Land. Wein, Obst, Käse und andere "europäische" Köstlichkeiten wurden hier produziert.

Doch mit dem politischen Programm der totalen gesellschaftlichen Trennung von Schwarz und Weiß, der Apartheid, fand diese Entwicklung ein Ende. Mit dem "Gesetz über die Gebietseinteilung für die Bevölkerungsgruppen" von 1950 wurde der Nordwesten Natals zum "weißen" Gebiet. Bereits zwei Jahre zuvor hatten die letzten fünf Ordensschwestern die Station verlassen. Die schwarzen Bewohner wurden in der Nähe von Ladysmith zwangsangesiedelt. In dieser Hinsicht ähnelt ihr Schicksal dem der Deutschen im böhmischen Maria Ratschitz, erinnert Lichtner. Wie in Böhmen verfielen auch in Südafrika Wohngebäude und Ställe. Die Natur begann die Station zu überwuchern.

Erst Ende der neunziger Jahre kehrte neues Leben in Maria-Ratschitz ein. Drei Ordensschwestern, darunter zwei Deutsche, begannen mit der Bewirtschaftung und dem Schulunterricht. Gemeinsam mit der Regierung in Johannesburg war man bemüht, die Zulu-Bevölkerung wieder verstärkt anzusiedeln. Die Einrichtung eines Hospitals ist inzwischen geplant, und junge Zulus sollen in der Krankenpflege unterrichtet werden. Es bestehen sogar Pläne, die Station mit ihrer botanisch, geologisch und kulturgeschichtlich interessanten Umgebung für den Tourismus zu erschließen.

Die Initialzündung für die Hilfe bei der Rettung der Kirche kam vom Oggersheimer Restaurator und Malermeister Hilmar Brucker. In einer kleinen Annonce im Malerfachblatt suchte er Freiwillige für die malermäßige Restaurierung der Missionskirche. Lichtner meldete sich sofort. Zehn Tage später saß er im Flugzeug. "Die erste große Tour meines Lebens", sagt er. Am nächsten Tag holperte er bereits mit anderen deutschen Malern in einem Geländewagen über unbefestigte Piste in Kwa Zulu Natal. Je näher das Ziel rückte, desto nachdenklicher wurde Lichtner. Endlos zog sich die Straße durch eine schöne, aber menschenleere Landschaft. Er kannte ja bisher nur Fotos des zu sanierenden Kulturdenkmals mitten im Zululand. Da lagen die Gebäude malerisch am Fuß des Biggarsbergs. Jetzt wirkte die Landschaft kaum erschlossen. Welche Leistung, vor fast hundert Jahren jenseits aller Zivilisation solch eine Anlage aufzubauen, staunte er.

Damals zeigte sich Maria-Ratschitz von seiner tristen Seite. Ein Regenguß war niedergegangen. Überall zentimeterhoher Schlamm. Die Handwerker balancierten über Bretter. Das Gotteshaus sah erschreckend aus. Zwar hatten einheimische Handwerker bereits Dach und Mauerwerk saniert, das Innere war aber noch vom Verfall geprägt. Das Mauerwerk war gerissen, der Regen hatte Spuren auf der Bemalung hinterlassen. Die noch erhaltenen Ornamente, Friese, Medaillons, Vignetten, Bänder, Striche wurden mit Fotos dokumentiert. "Was nicht mehr erkennbar war, mußte neu entworfen und zeichnerisch gestaltet werden", beschreibt Lichtner die Arbeit. Pausen wurden gezeichnet und gestochen, Schablonen geschnitten, alle Decken- und Wandflächen lasiert. Erst dann konnte auf rund 1.100 Quadratmetern mit der Rekonstruktion des Originalzustandes begonnen werden. Spezialfarben mußten aus Deutschland eingeflogen werden.

Das erste Mal war Lichtner im März 1998 in Maria-Ratschitz. Im vergangenen Jahr blieb er gleich mehrere Monate. Längst schwärmt er von der wundervollen Landschaft, den netten Zulus, der imposanten Tierwelt und von der Missionskirche mit ihren schönen Wandmalereien und exquisiten Glasfenstern: "Wann hat man schon die Chance, an einem einzigartigen Kulturdenkmal mitzuarbeiten und so tief in eine fremde Kultur einzutauchen?"


 
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