© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Triumph der Demokratie
Österreich: "EU-Weise" konnten der Alpenrepublik nichts nachweisen
Carl Gustaf Ströhm

Das Scheitern der von vierzehn EU-Staaten gegen Österreich inszenierten "Sanktionen" hat in erster Linie bei den betroffenen Österreichern, darüber hinaus aber auch bei vielen, vielleicht sogar den meisten, gutwilligen und vernünftigen Europäern Erleichterung und Genugtuung ausgelöst. In der Tat: Hätte das Verhalten der vierzehn Schule gemacht, wären innerhalb der EU der Willkür Tor und Tür geöffnet worden.

Es ist also begreiflich, daß die Mehrzahl der Österreicher sich freut – bis auf jene natürlich, die durch heimische Intrigen die "internationale Gemeinschaft" gegen ihr eigenes Land aufgehetzt haben, nur um dem drohenden Machtverlust zu entgehen. Welche nicht ganz höhere Rolle in diesem Zusammenhang die Sozialistische Internationale (SI) gespielt hat, die zumindest durch einige sozialdemokratische Genossen in Wien aufgestachelt wurde, bleibt aufklärungsbedürftig. In diesem Zusammenhang haben sich auch der deutsche Bundeskanzler Schröder und sein Außenminister Fischer nicht mit Ruhm bedeckt. Sie haben, angestachelt durch die SI und einknickend vor dem Druck der Franzosen, eine Politik verfolgt, die nicht nur den deutschen nationalen Interessen, sondern auch einer Konsolidierung Mitteleuropas zuwiderlief. Schlimmer noch als die böse Absicht wirkt die völlige außenpolitische Phantasielosigkeit, die sich hier entpuppte.

Ein ganz seltsames Spiel hat sich vor allem Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac erlaubt, bei dem gleichfalls erst künftige Geschichtsschreiber zu klären hätten, ob er aus eigener Initiative oder unter dem Einfluß von "Beratern" handelte, die womöglich gleichfalls aus Österreich stammten. Wer die ironischen Kommentare der Wiener Blätter anläßlich des nicht zustande gekommenen Gesprächs zwischen Chirac und dem österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil in New York gelesen hat, mag sich seinen Reim darauf machen.

Die vom Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes aus dem Zylinder gezauberten "drei Weisen" sind inzwischen von allen Beteiligten und Unbeteiligten hoch gelobt worden – sogar von Jörg Haider und der FPÖ, denen sie in ihrem Bericht einige kräftige Fußtritte versetzt hatten. Über allen Lobhudeleien wurden die problematischen Aspekte fast völlig vergessen.

Erstens ist der Bericht in einigen seiner Teile "schlampig" abgefaßt – so etwa wird "Fremdenfeindlichkeit" und "nationalsozialistisch" gleichgesetzt, was eine grobe Vereinfachung und Verzerrung darstellt. Zweitens wird fast ohne ersichtlichen Grund ein einzelnes österreichisches Regierungsmitglied – Justizminister Dieter Böhmdörfer (der FPÖ-nah, aber parteilos ist!) – angeprangert, ohne daß man den Betroffenen zum Thema der Anschuldigungen angehört hätte. Es gibt im Bericht noch mehr Beispiele dieser Art.

Es ist offenkundig, daß die "drei Weisen" nicht so sehr um die objektive Wahrheit bemüht waren (auch hier würde sich die Frage stellen: Was ist überhaupt Wahrheit?), als vielmehr um ein "ausgewogenes" Resultat, mit dem man die Österreicher nicht kränken, zugleich aber auch Chirac und die Franzosen nicht desavouieren wollte. Es war bezeichnend, daß der französische Europa-Minister Pierre Moscovici – übrigens ein Sozialist – gleich nach Veröffentlichung des Berichtes davon sprach, das Ergebnis dürfe nicht zu einem Triumph für Haider werden. Man könnte Moscovici auch auf den Kopf stellen – und sagen: Es geht darum, den im Grunde angeschlagenen und in einen Anti-Österreich-Komplex verrannten Chirac vor einer Blamage zu bewahren.

Läßt man alle schönen europäischen Floskeln beiseite, bleibt ein im Grunde fast skandalöser Tatbestand: Da werfen sich drei willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage "ernannte" Personen zu obersten Richtern über ein ganzes Volk und dessen Wahlentscheidung auf. Da werden von drei gewiß hochgescheiten und geachteten Herren ex cathedra Urteile über Politiker, Parteien und eine Regierung gefällt – und das nach einem einzigen Blitzbesuch im "inkriminierten" Lande. So wie im Märchen von des Kaisers neue Kleider muß man sich auch in diesem Falle fragen, ob die drei "Weisen" nicht im Grunde genommen "nackt" – das heißt ohne das entsprechende Fundament an Kenntnissen Österreichs und seiner Mentalität – durch die Lande gezogen sind. Wie kommt es, daß die drei Herren sich weigerten, mit der "Hauptperson" der gesamten Inszenierung, nämlich Jörg Haider, überhaupt zu sprechen? Waren das Berührungsängste? Und wie kommt es, daß die gleichen "Weisen" Zeit fanden, teilweise völlig obskure und bedeutungslose Menschenrechtsvereine zu empfangen, während weitaus bedeutendere Organisationen nicht einmal eingeladen wurden?

Skeptische Beobachter sagten schon vor Beginn des "Weisen"-Spektakels voraus, wie die Sache enden werde: nämlich nach dem Motto "Hacke der Katze den Schwanz ab, hack‘ ihn ihr aber nicht ganz ab." Die FPÖ mußte ihr "Fett" abbekommen und die Wiener Regierung mehr oder weniger geschont werden. Schlimmer noch als diese opportunistische Art der Weisheitsfindung ist die Tatsache, daß die Einsetzung der "Weisen" – die rechtlich ebensowenig gedeckt war wie die Verkündung der Sanktionen – ein Präzedenzfall sein könnte. Morgen könnte man auch in anderen Ländern damit beginnen, das "Wesen" gewisser unliebsamer Parteien, Politiker oder ethnischer und religiöser Gruppen zu erforschen: Der österreichische grüne Klubobmann Alexander Van der Bellen dachte (JF-Interview 30/00) dabei etwa an die italienische Lega Nord und ihren Chef Umberto Bossi. Selbst die FPÖ-Führung leistete Ende August schon "vorauseilenden Gehorsam" und weigerte sich, die Chefin der Dänischen Volkspartei, Pia Kjærsgaard, bei ihrem Wien-Besuch zu empfangen. In Flandern gibt es vor den Kommunalwahlen im Herbst inzwischen schon eine "Volksfront" von Linkssozialisten, Grünen und Liberalen bis zu den Christdemokraten gegen den Vlaams Blok.

Wenn einige österreichische Politiker im Überschwang der Freude (weil der Blitz nicht auf ihrem Kopf, sondern dicht daneben einschlug) nun eine "Ausweitung" des Tätigkeitsfeldes der drei "Weisen" auf andere Länder verlangen, so kann man nur warnen: das wäre genau jene "demokratisierte Breschnew-Doktrin", die Europa am allerwenigsten gebrauchen kann.

Manche deutschen Kommentatoren tun sich jetzt schwer, weil sie vorher Österreichs schwarz-blaue Regierung als Gefahr für Europa angeprangert haben. Nun meinen sie kleinlaut, das ganze sei ein im Grunde unbedeutendes innerösterreichisches Ereignis. Aber das eine stimmt sowenig wie das andere: Österreich ist ein Kernstück Mitteleuropas. Wer Österreich beschädigt, ist ein Gegner Mitteleuropas.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen