© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Wahrung der Einheit
Die Erklärung des Vatikans zur Einzigartigkeit der christlichen Kirche
Klaus Motschmann

Zwei Erklärungen der vatikanischen Glaubenskongregation von Anfang August haben auch in der außerkirchlichen Öffentlichkeit für beachtliches Aufsehen, für Kritik und für Empörung gesorgt. Es handelt sich um die Erklärung "Dominus Iesus – Über die Einzigartigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und die Kirche" sowie um eine Erklärung zum Begriff "Schwesterkirche", die ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung bestimmt ist. In den Reaktionen auf diese Erklärungen ist die Rede vom "Stillstand", von einem "Rückschlag", ja sogar von einer "Kriegserklärung".

Das ist richtig, sofern man darüber im klaren ist und dies dem Publikum auch klarmacht, welche Ökumene gemeint ist. Wie viele andere politische und gesellschaftliche Begriffe (Demokratie, Frieden, Gerechtigkeit u. a.) ist auch dieser einstmals wichtige Begriff für Theologie und Kirche zu einer leeren Worthülse verkommen, die sich beliebig füllen und mißbrauchen läßt, – wie zum Beispiel jetzt für alle möglichen Mutmaßungen über die Motive des Vatikans.

Der radikale Bedeutungswandel dieses Begriffes hat sich offensichtlich unbemerkt vollzogen, um keine bewußt manipulative Absicht zu unterstellen. Insofern sollte die Klärung wichtiger Positionen und Begriffe seitens der Glaubenskongregation dankbar begrüßt werden; dies um so mehr, als von dem Geist und den Zielen der einstmals christlichen ökumenischen Bewegung, die im Jahre 1948 mit der Gründung der Ökumenischen Rates der Kirche (ÖKR) in Amsterdam ihren organisatorischen Ausdruck fand, in der heutigen ökumenischen Bewegung kaum noch etwas finden läßt.

Dafür gibt es verschiedene Gründe, die im Rahmen dieses kurzen Beitrages nur angedeutet werden können. Zunächst ist zu erinnern an den bereits damals deutlich erkennbaren Prozeß der "Entmythologisierung des Christentums". Namhafte evangelische Theologen begannen, das Evangelium nicht nur "anders" (d.h. "zeitgemäßer") zu verkündigen, sondern mehr und mehr, entgegen allen Warnungen des Neuen Testaments, ein "anderes Evangelium" (Cal. 1,6). Zentrale Aussagen des Neuen Testaments wie zum Beispiel über Jesu Tod und Auferstehung, Christi Himmelfahrt oder die Ausgießung des Heiligen Geistes wurden teils in das Reich der Legenden und Mythen verwiesen oder aber in einen ideologisch-politischen Zusammenhang menschlicher Emanzipationssehnsüchte gestellt, woraus sich in den sechziger Jahren eine zunehmende Affinität weiter christlicher Kreise zum Kommunismus bzw. Sozialismus entwickelte. Sie besteht bekanntlich bis heute.

Der allgemeine Erosionsprozeß der christlichen Theologie und der christlichen Kirchen wurde nachhaltig begünstigt durch den Beitritt der orthodoxen Kirchen Rußlands und anderer Kirchen aus dem Ostblock zum ÖKR im Jahre 1961. Es bedarf keiner ausführlichen Begründung, weshalb die Sowjetunion den Beitritt der Kirchen in ihrem Machtbereich zum ÖKR gestattet hat. Inzwischen ist dokumentarisch belegt, in welchem Ausmaß die Sowjetunion Weg und Ziel des ÖKR maßgebend über ihre Agenten bestimmt hat.

An eindringlichen Warnungen vor diesem Kurs des ÖKR hat es zu keiner Zeit gefehlt. Sie wurden aber kaum gehört, geschweige denn beachtet. Einer der maßgebenden evangelischen Theologen nach dem Zweiten Weltkrieg, Helmut Thielicke, konnte Anfang der achtziger Jahre nur noch "erschreckt die Ab- und Irrwege einer kirchlichen Institution zur Kenntnis nehmen, die sich aus dem Vaterhaus des Evangeliums in die Fremde eines ideologischen Banns verirrt hat".

Aus diesem Bann hat sich der ÖKR bis heute nicht befreit. Die Hoffnungen vieler Christen in aller Welt und auch mehrerer Gliedkirchen auf eine radikalen Umkehr nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme und der katastrophalen Entwicklung in den "befreiten" Ländern Afrikas und Asiens haben sich nicht erfüllt. Die Antworten auf die von ihm mitverschuldeten Nöte dieser Welt sucht der ÖKR nach wie vor in ideologisch-synkretistischen Konzeptionen menschlicher Selbsterlösung, die allen elementaren Grundsätzen christlicher Weltverantwortung eindeutig widersprechen. Sie relativieren damit die "Einzigartigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi" in einem Maße, das als freiwillige Preisgabe der christlichen Bekenntnisse vor dem Hochaltar einer sich immer deutlicher herausbildenden UN-Religion verstanden werden muß; jedenfalls dann, wenn man die Aussagen des Neuen Testaments ernst nimmt.

Es gibt Kirchen, die das noch tun, und zwar nicht nur die katholische Kirche, sondern auch die orthodoxe Kirche Rußlands und mehrere andere orthodoxe Kirchen. Es ist weitgehend unbekannt, daß sie bereits an der letzten Vollversammlung des ÖKR nur noch als Beobachter teilgenommen haben und ihre Mitgliedschaft im ÖKR ruhen lassen. Weshalb also Kritik an der katholischen Kirche, die dem ÖKR nie angehört hat, wenn sie nur das tut, was letztlich die Orthodoxen auch tun: den ÖKR und alle ihm angehörenden Kirchen an die einstmals selbstverständlichen Voraussetzungen eines verantwortlichen ökumenischen Dialogs zu erinnern und dazu den bisherigen Weg zu überdenken. Dafür hat die vatikanische Glaubenskongregation ein deutliches Zeichen gesetzt – reichlich spät, aber hoffentlich nicht zu spät, um der diabolischen Verwirrung unserer Zeit Grenzen zu setzen.


 
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