© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Friedliche Wiedervereinigung
Eva Klotz, Sprecherin der Union für Südtirol, über Identität, Heimatbewußtsein und die Möglichkeiten eines Volksentscheides
Andreas Mölzer

Frau Klotz, fünf Jahre ist Österreich Mitglied der EU. Damit sind im Grunde Nordtirol, Osttirol und Südtirol eigentlich mit offener Grenze wieder miteinander verbunden. Hat sich etwas für Tirol in diesen fünf Jahren geändert?

Klotz: Faktisch eigentlich nicht. Die Grenze ist zwar durchlässiger geworden für die Wirtschaft, ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Südtiroler der italienischen Verwaltungseinheit angehören, daß sie vor italienische Gerichte gestellt werden, daß, wenn es darauf ankommt, die italienische Sprache die maßgebliche ist, daß wir uns nach der italienischen Mentalität zu richten haben. Also insofern gibt es nicht diese großen Fortschritte.

Also ist die vielzitierte Europaregion Tirol da offenbar nach wie vor eine Illusion?

Klotz: Das ist momentan eine Etikette. Ich hoffe, es ist auch ein Wunsch, denn oft habe ich den Eindruck, daß es gerade den Südtiroler Machthabern recht gut paßt, daß sie selber Fürsten spielen können und nicht mit anderen teilen müssen.

Nun sind ja Ihre Union für Südtirol und die Südtiroler Freiheitlichen eigentlich die einzige deutsche Opposition im Südtiroler Landtag gegenüber der großen Südtiroler Volkspartei. Sie haben jetzt gute fünf Prozent. Die Südtiroler Freiheitlichen haben auch ein bißchen was. Haben Sie das Gefühl, daß die Bevölkerung in Südtirol ihre Bemühungen nicht honoriert, oder wie sieht es in letzter Zeit aus?

Klotz: Das kann man nicht sagen. Wir haben Rückhalt in der Bevölkerung, aber wir wollen ja auch langfristige Ziele erreichen. Wir arbeiten dafür, daß Südtirol seine Selbstbestimmung erhalten, daß die Südtiroler eben diese Abstimmung abhalten können, die ihnen bis jetzt vorenthalten worden ist, im Sinne der UNO-Menschenrechtspakte selber und frei zu entscheiden, welche politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zukunft sie haben wollen. Mit anderen Worten, mit wem sie Gemeinsamkeit halten wollen und mit wem nicht in dieser Nähe. Das wäre unser Ziel. Die Südtiroler sollen also frei darüber entscheiden. Derzeit gibt es natürlich sehr viele Schwierigkeiten für die Opposition insgesamt, für die deutsche Opposition im besonderen, weil nämlich die Südtiroler Volkspartei die Gelder verteilt, die Posten verteilt, und das alles ist für sehr viele Landsleute natürlich verlockend. Aber doch gibt es viele Idealisten, und ich hoffe doch, daß in Südtirol der Freiheitsgedanke wach gehalten wird und daß es diese Sternstunde gibt, von der wir alle hoffen, daß sie so bald als möglich kommt, bevor die Südtiroler zu stark in den italienischen Staat integriert sind. Deshalb ist es für uns in dieser Zeit wichtig, diesen Freiheitsgedanken wach zu halten und alles dafür zu tun, daß eben, sollte sich das ereignen, wie beispielsweise ein Mauerfall, daß wir dann nicht dastehen wie die Ochsen vor dem Berg, sondern daß wir einigermaßen vorbereitet sind und die Gunst der Stunde zu nützen wissen.

Bevor wir uns mit dieser Rolle der "Lordsiegelbewahrer" – ohne das ironisch zu meinen – der Tiroler Identität beschäftigen, bleiben wir ganz kurz bei der Rolle der Südtiroler Volkspartei: Das sind ja doch seit Jahrzehnten mit großer Mehrheit die Pragmatiker an der Macht. Sehen Sie in dieser Rolle einer solchen Mehrheitspartei auch die Gefahr der Korruption, der Macht, des Auslaugens der Macht oder ähnliches?

Klotz: Natürlich, und die ist auch da. Denn man braucht sich all diese Figuren nur anzuschauen. Da ist einer, der den Sonnenkönig spielt, der beruft sich seine Landesräte, und die haben dann zu kuschen. Und jeder ist bedacht auf noch mehr Prestige, weil sie im Grunde genommen eben keine Ideale haben und keine wirkliche Überzeugung. Deswegen brauchen sie Chauffeur, Sekretär und was weiß ich welche Privilegien. Das ist ganz klar: Die Macht korrumpiert, die Macht strebt immer nach mehr Macht. Irgendwann wird das Maß schon einmal voll sein und das Faß überlaufen. Das ist die natürliche Entwicklung. Und darauf, glaube ich, können wir alle warten.

Ist das ein Democrazia Cristiana-Schicksal?

Klotz: Unser alter Freund Hans Stehler sagt immer: Merkt euch, die Südtiroler Volkspartei ist die Democrazia Cristiana, die Lingua Tedesca.

Nun ganz kurz noch zur Rolle der Union für Südtirol und am Rande auch der Südtiroler Freiheitlichen als Opposition, als der "Lordsiegelbewahrer" der Identität. Haben Sie nicht das Gefühl, daß in Zeiten des Wohlstands, der kulturellen Globalisierung, der Europäisierung die Rolle einer so identitären Gruppe, welche die Identität eines Landes im Kern bewahren will, sehr gefährdet ist und in Wirklichkeit sehr wenig geschätzt wird?

Klotz: Damit muß man leben. Wenn man von einer Sache überzeugt ist, dann tritt man dafür ein, gleichgültig, ob sie Erfolg oder Mißerfolg zeitigt. Wenn man spürt, man muß für eine Sache eintreten und kämpfen, dann tut man das und fragt nicht lange, was bringt es mir oder was bringt es mir nicht. Und zum anderen ist einfach zu sagen, natürlich gibt es immer wieder auch Wermutstropfen, wenn man sehen muß, daß man Ideen bringt, die dann in einem halben Jahr von der Mehrheitspartei aufgegriffen werden und dann als Eigenproduktion verkauft werden.

Das ist ja eine schöne Bestätigung, oder?

Klotz: Natürlich, aber wenn ich an diese vielen Jahre meiner politischen Tätigkeit zurückdenke, muß ich sagen, die Ideen, oder die politischen Gedanken, die ich bei meiner ersten Regionalratsrede 1983 gebracht habe, über Föderalismus, über Subsidiarität, wo alle nur ganz belämmert dreingeschaut haben, also was redet die zusammen, die haben noch nie im Leben etwas von Föderalismus gehört, die reden heute alle über Föderalismus. Nur die Tragödie ist, daß sie darunter etwas ganz anderes verstehen. Sie meinen Akte der Dezentralisierung und nicht Aufbau der Eigenständigkeit von unten und Delegierung nach oben des gerade Notwendigsten.

Aber jetzt ist es ja so in Europa, daß identitäre Parteien oder Bewegungen, die Volksgruppen, ethnische Minderheiten vertreten, offenbar – siehe Spanien – den Bedarf haben, durch eine gewisse Eskalation der Situation überhaupt politisch erfolgreich zu bleiben. Die ETA ist dann tot, wenn keine Konfrontation im Baskenland, in Spanien stattfindet. Die IRA ist mit der Abgabe der Waffen offenbar politisch kastriert. Nun sind da Sie und Ihre Freunde immer humanitär, demokratisch, friedlich, ja geradezu pazifistisch motiviert gewesen. Sehen Sie eine Chance, daß Volksgruppen Parteien in einer Konsenspolitik überhaupt überleben?

Klotz: Wir haben hier nicht Konsenspolitik, denn solange die Italiener hier Hausherren spielen, gibt es schon die Leute, die sich das nicht gefallen lassen und die diese als Eindringlinge empfinden. Und vor allen Dingen aber gibt es genug Konfrontation. Immer wieder. Nämlich wenn wir uns nach der italienischen Mentalität ausrichten müssen, wenn wir gezwungen werden, eine Sprache zu sprechen, die nicht unsere Muttersprache ist. Ich habe nichts dagegen, so viele Sprachen als möglich zu lernen. Nur bei mir zu Hause will ich meine Sprache sprechen und will mir nicht vorschreiben lassen, nach welchen Regeln ich zu leben habe. Und genau das ist hier der Fall. Und insofern muß ich sagen, daß es die Südtiroler, die noch das Tirolertum empfinden, sehr wohl gibt. Ich sehe das immer wieder, gerade unter sehr jungen Leuten, also unter den heute 15-, 16jährigen, als Gegenreaktion gegen ihre Eltern, die diesbezüglich allzu lässig waren und vielleicht eher interethnisch ausgerichtet waren. Viele sind natürlich Opportunisten, denen geht es ubi bene, ibi patria, und wichtig ist, daß das Materielle stimmt. Und wie Gierot, der große Völkerrechtsexperte sagt, so schnell sind die Wurzeln doch nicht abgedörrt. Wenn wir uns das Beispiel Irland anschauen: Das geht jetzt bald über 800 Jahre und ist immer noch ein Krisenherd.

Im Gegensatz zu den Südtirolern haben die Iren ja sogar ihre Sprache verloren.

Klotz: Freilich. Aber das ist tief verwurzelt. Schauen wir uns die Schotten an, auch die Basken und die Katalanen. Ebenso die Korsen, so schnell ist das nicht auszurotten.

Wenn wir Sie richtig verstehen, auch in Zeiten der kulturellen Globalisierung, der Europäisierung, setzen Sie darauf, daß Sie diese Tiroler Identität in Italien, in Europa sozusagen einmal über die Zeiten retten wollen, um diese Wurzeln zu bewahren.

Klotz: Ja, das ist ja kein Widerspruch. Ich kann durchaus aufgeschlossen und weltoffen sein und trotzdem meine Identität bewahren. Und ich denke, je selbstbewußter, je heimatbewußter ein Mensch ist, um so weiter kann er hinausdenken, weil er seine Wurzeln tief genug verankert hat.

Was erwarten Sie sich in diesem neuen Jahrhundert, in diesem neuen Jahrtausend von Österreich?

Klotz: Als allererstes, daß es Südtirol bildungspolitisch miteinbezieht. Das heißt also, daß es auch den jungen Leuten vermittelt, daß Südtirol ein österreichisches Land ist, daß man die Geschichte in den Grundzügen versucht beizubringen als erstes. Denn es kränkt uns natürlich doppelt, wenn Österreicher auf den Brenner kommen und so tun, als seien sie in Italien und uns dann sozusagen als Italiener bezeichnen.

Das betrifft aber in erster Linie die Medien, auch den Österreichischen Rundfunk ORF.

Klotz: Nein, das betrifft auch die ganz normalen Leute, vor allen Dingen die Jugendlichen, weshalb ich schließen muß, daß das eine bildungspolitische Angelegenheit ist. Von den Medien wahrscheinlich entsprechend auch vernachlässigt. Zweitens würde ich mir von Österreich erwarten, daß es sich ähnlich verhält wie Italien. Italien kümmert sich um diejenigen Italiener, die eben nicht mehr mit ihrem gesamten Territorium zu Italien gehören, wie eben in Istrien, sehr wohl. Und bei Österreich hat man jetzt manchmal das Gefühl, daß es ihnen eigentlich ganz recht ist, wenn das Thema Südtirol nicht mehr auf dem Tapet steht. Aber das Thema müßte in Österreich eigentlich ständig behandelt werden.

Gibt es auch von den Südtirolern, die jetzt Fernsehkonsumenten und Konsumenten anderer Medien sind, den Wunsch, daß Österreich mit seinen Medien, mit dem Staatsrundfunk das macht?

Klotz: Danach darf Österreich nicht fragen, das müßte es einfach machen. Das ist ein Ziel. Natürlich gibt es das Bedürfnis. Das sehen Sie. Ich bin da eine von vielen.

Wie sehen Sie die Perspektive für die Erhaltung der Identität, der kulturellen, der sprachlichen Identität der Südtiroler am ehesten gewährleistet? In welcher administrativen staatlichen Form, sei es im Freistaat, sei es im Anschluß an Österreich, sei es in der Europäischen Union, sei es mit den bayrischen Nachbarn – wie sehen Sie denn da Ihr mittel- bis längerfristiges Ziel?

Klotz: Als erstes eine Zukunft ohne Italien. Das ist das Um und Auf für mich. Dann wäre das nächste die Wiedervereinigung Tirols.

Ist Tirol jetzt nicht wiedervereinigt in der EU?

Klotz: Nein, es gehört zwei ganz verschiedenen Welten an, was das Organisatorische anbelangt. Leider müssen sich die Südtiroler eben nach den italienischen Realittäten ausrichten, nach der italienischen Sprache, nach italienischen Gesetzen. Nachdem ja Europa nur die Identitäten der Staaten anerkennt, müssen wir uns fragen: Wenn wir heute ein wiedervereinigtes Tirol als Europaregion schaffen möchten, wie lange brauchen wir dazu ? Ob es dann nicht beispielsweise schneller geht, wenn wir für die Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes arbeiten. Die gängigen Formen sind drei. Erstens: Die Bevölkerung erklärt mehrheitlich, sie will bei dem Staat bleiben, bei dem sie ist. Das wäre in unserem Fall Italien. Zweitens: Die Bevölkerung entscheidet sich für die Rückgliederung an den Staat, von dem sie abgetrennt worden ist. Oder drittens: Sie entscheidet sich für die Eigenstaatlichkeit. Und ich würde persönlich meinen, als allererste Frage – möglicherweise müßte es zwei Befragungen geben – Verbleib oder Nichtverbleib bei Italien, um zu dieser Frage eine klare Mehrheit zu haben. So oder anders. Nicht aufzusplittern nach den drei Möglichkeiten, denn sonst kann es passieren, daß es für keine Variante eine klare Mehrheit gibt. Also Verbleib oder Nichtverbleib bei Italien, das ist für mich die Kernfrage. Und dann ist mir persönlich zweitrangig, ob das Wiedervereinigung Tirols unter österreichischem Vorzeichen ist oder ob das ein Freistaat Südtirol ist. Wichtig ist für mich eine Zukunft ohne Italien.

Es gibt die EU-Osterweiterung, eher früher als später. Und es gibt eine Fülle von ethnischen Volksgruppen- und Minderheitenproblemen in diesem östlichen Mitteleuropa: Chiffre Habsburger Monarchie, K. und K.-Monarchie. Glauben Sie nicht, daß wir insgesamt – und da könnten die Südtiroler ja Vorkämpfer sein – Modalitäten und Mechanismen finden müssen, um diesen ethnischen Minderheiten ein Überleben in ihrer Identität in dieser europäischen Vielfalt zu ermöglichen? Glauben Sie nicht, daß es zu eng ist, nur an Südtirol zu denken? Glauben Sie nicht, daß man ein Modell, und das wird ja prototypisch gelöst hier in Bozen/Bolzano, für Europa insgesamt finden müßte?

Klotz: Wer als erster sein Ziel erreicht, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, daß man eben für alle anderen mit ein Beispiel setzt. Wenn ich für die Freiheit Südtirols arbeite, für die Selbstbestimmung Südtirols, dann arbeite ich gleichzeitig für alle anderen Völker oder Teile von Völkern, die in Europa auch auf diesem Weg sind. Und das sind einige. Wir sind ja keine Minderheit oder keine Streuminderheit, sondern wir sind Mehrheitsvolk im angestammten Land. Und das ist der Unterschied. Insofern also kümmere ich mich natürlich in erster Linie um mein Volk. Aber gleichzeitig arbeite ich damit auch für die Anliegen der anderen.

 

Dr. Eva Klotz ist Fraktionssprecherin der Union für Südtirol im Landtag. Geboren am 4. Juni 1951 im Bergdorf Walten im Passeiertal, als ältestes von sechs Kindern des 1976 – an den Folgen einer 1964 von italienischen Agenten zugefügten Schußverletzung – verstorbenen Freiheitskämpfers Georg Klotz. Sie studierte Geschichte, Volkskunde und Philosophie an der Universität Innsbruck und promovierte 1974. Mit der Lehrbefähigung für literarische Fächer war sie von 1975 bis 1983 im Schuldienst an verschiedenen Südtiroler Oberschulen tätig. Von 1980 bis 1983 Mitglied im Gemeinderat der Stadt Bozen, wurde sie 1983 erstmals in den Südtiroler Landtag gewählt. Bei der letzten Landtagswahl im November 1998 wurde die Union für Südtirol mit 16.500 Stimmen und zwei Abgeordneten im Landtag viertstärkste Partei.

 

Kongreß über Volksgruppen in Europa

Ethnische Parteien in Europa" lautet das Thema des 11. Europäischen Volksgruppenkongresses, der von 21. bis 23. September im Stift Ossiach (Kärnten) stattfindet. Veranstalter sind das Land Kärnten und das neue Kärntner Minderheitenforschungsinstitut CIFEM (Carinthian Institute for Ethnic Minor). Der Kongress will Fragen im Zusammenhang mit ethnischen Gruppen und ihrer politischen Vertretung Antworten geben: Rurik Ahlberg befaßt sich mit der Schwedischen Volkspartei und ihren ethnischen Implikationen. Der Leiter des CIFEM, Albert Reiterer, betrachtet den "ethnischen Frieden mit Flecken" in der Schweiz. Weitere Themen sind das Baskenland, die Ungarn in der Slowakei und die Ladiner im Verhältnis zu den Deutschsprachigen in Südtirol. Die Vertretung der ungarischen und italienischen Volksgruppe im slowenischen Parlament soll von Boris Jesih näher beleuchtet werden.

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen