© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Kronprinz auf der Kippe
Hessen: Das politische Überleben des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch ist eng mit dem der CDU-Chefin Angela Merkel verbunden
Paul Rosen

Kippt Roland Koch oder kippt er nicht? Das ist längst keine mehr nur für Londoner Buchmacher interessante Frage. Mit dem politischen Schicksal des hessischen Ministerpräsidenten ist auch die Zukunft der neuen CDU-Führung untrennbar verbunden. Das den ganzen Sommer über glücklos operierende CDU-Duo Angela Merkel und Friedrich Merz braucht politische Erfolge; wenn aber Koch und damit möglicherweise auch die in Wiesbaden regierende christlich-liberale Koalition durch eine SPD-geführte Regierung abgelöst werden sollte, kann die gesamte Führung der CDU einpacken. Gnade und Mitleid mit Verlierern hat die Christenunion noch nie gekannt.

Bis zum vergangenen Wochenende jedenfalls hatte Koch noch durchgehalten. Er werde seine Arbeit fortsetzen, "solange ich die Unterstützung der Regierungskoalition habe". Trennen mußte er sich allerdings von seinem langjährigen Vertrauten und Chef der Wiesbadener Staatskanzlei, Franz Josef Jung. Die FDP hatte Jung das Vertrauen aufgekündigt. Geht man den Gründen nach, erscheint der gesamte Vorfall wie eine Petitesse: Am 6. September berichtete ein Wirtschaftsprüfer im Untersuchungsausschuß des hessischen Landtags, 845.000 Mark Schwarzgeld aus dem Ausland (der Schweiz) seien unter einem falschen Datum, nämlich 1986, verbucht worden. In Wirklichkeit sei das Geld aber erst 1987 in die Kasse der hessischen CDU zurückgeflossen. Im Jahre 1987 war Jung Generalsekretär des Landesverbandes gewesen, 1986 aber noch nicht.

Einen Tag später trat Jung zurück. Als Gründe nannte er nicht nur das mangelnde Vertrauen des Koalitionspartners FDP, sondern auch das Auftauchen bisher nicht bekannter Briefe über Unterschlagungen des ehemaligen CDU-Buchhalters Reimann. Jung streitet allerdings ab, die an ihn und den ehemaligen hessischen CDU-Chef und Bundesinnenminister Manfred Kanther adressierten Briefe, die zudem unterschiedliche Versionen über die Unterschlagungen von Reimann enthalten, jemals erhalten zu haben.

In der für die deutsche Politik typisch aufgeregten Atmosphäre half es Jung nicht mehr, sich auf den klassischen Grundsatz der Unschuldsvermutung zu berufen: "Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen", sagte er bei seinem Abschied. Auch an "irgendwelchen Vertuschungen" sei er nicht beteiligt gewesen. Das mag vielleicht stimmen, doch haben Affären ihre eigenen Gesetze. Irgendwann müssen nach dem römischen Grundsatz "panem et circenses" (Brot und Spiele) Opfer für die Löwen in der Medien-Arena gebracht werden; der in die Bedrängnis der LWS-Affären gekommene bayerische Ministerpräsident Stoiber tat gleiches, indem er seinen Justizminister Alfred Sauter feuerte. Der Volksmund spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von Bauernopfern.

Doch die hessische Affäre ist von größerer bundespolitischer Bedeutung, als man gemeinhin glauben mag. Koch ist der letzte Repräsentant der CDU, der noch für konservative Positionen steht. Würde Koch fallen, bliebe in der CDU ein Spektrum von Angela Merkel über Heiner Geißler bis Rita Süßmuth. Den rechten Flügel würde Jürgen Rüttgers ("Kinder statt Inder") bilden. Der Versuch, den brandenburgischen Innenminister Schönbohm zu einem Dregger-Nachfolger aufzubauen, scheiterte kläglich, weil sich die brandenburgische CDU am 14. Juli im Bundesrat für ein paar neue Straßen im eigenen Land die Zustimmung zur rot-grünen Steuerreform abkaufen ließ. Schönbohm entpuppte sich als der Offizier, der er immer war: Wenn die Führung, in diesem Fall der Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), befiehlt, werden die Befehle ausgeführt. Daß er möglicherweie für das Stalingrad der CDU die Mitverantwortung trägt, dürfte ihm bis heute nicht dämmern. Denn in der Konsequenz ist die Unionsniederlage im Bundesrat am 14. Juli mit einer verlorenen Bundestagswahl gleichzusetzen.

Seitdem ging es mit der Union permanent bergab. Angesichts eines Kanzlers Gehard Schröder, der die Fortune gepachtet zu haben scheint, sank die Union in den Meinungsumfragen wieder auf Tiefstwerte wie zu Zeiten vor dem CDU-Bundesparteitag im April, als Frau Merkel den glücklosen und ebenfalls im Spendensumpf festsitzenden Wolfgang Schäuble ablöste. Widersprechende Positionen, ob zur Verwendung der UMTS-Funklinzenzerlöse oder zum NPD-Verbotsantrag, kamen erschwerend hinzu. Die Union hat jede Motivation verloren, so daß Schröder nicht einmal mehr gezwungen ist, auf einen Rentenkonsens hinzuwirken. Der Kanzler kann der Opposition den Gesetzentwurf seines Arbeitsministers Walter Riester regelrecht zum Fraß vorwerfen. Schlucken wird sie schon, die Union, so die Berechnung des niedersächsischen Strategen.

Die Opposition lebt nicht vom Nachgeben im Stile einer Angela Merkel, sondern vom Kampf und von alternativen Positionen. Für den – wirkungsvollen – Kampf steht der Name Koch. Der Hesse hatte die Landtagswahl mit der Kampagne gegen die rot-grüne doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen. Unter den CDU-Ministerpräsidenten ist allein Koch noch in der Lage, den Gegenpart zur Regierung Schröder zu spielen. Die anderen Unionsfürsten Kurt Biedenkopf (Sachsen), Bernhard Vogel (Thüringen) und Erwin Teufel (Baden-Württemberg) sind zu alt oder zu farblos, Peter Müller (Saarland) ist zu bedeutungslos und repräsentiert überdies nur den linken Parteiflügel.

Die CDU hat eigentlich nur noch einen Hoffnungsträger, der ihren Untergang oder Zerfall aufhalten kann: Koch. Daher ist es auch kein Wunder, daß Altkanzler Helmut Kohl wohlgefällig auf den Hessen blickt. Doch dessen weiterer Karriereweg ist ungewiß. Niemand kann heute beurteilen, ob das "Bauernopfer" Jung gereicht hat, die Gemüter besonders beim Koalitionspartner FDP zu beruhigen. Sollte Koch kippen und mit ihm die bürgerliche Regierung in Wiesbaden, wäre dies das unweigerliche Ende für Angela Merkel: Denn der Verlust eines Bundeslandes würde die Siegeschancen der Union für die Bundestagswahl 2002 in aller Augen auf Null sinken und sofort eine Personaldiskussion über die Vorsitzende ausbrechen lassen.

Und was ist, wenn Koch sich hält? Er dürfte, wenn die Spendenaffäre ausgestanden sein wird, Hessen nicht als Endpunkt seiner Karriere betrachten, sondern CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur anstreben.

Das ist das eigentliche Dilemma der Angela Merkel: Kippt Koch, kippt sie auch. Kippt Koch nicht, wird der Hesse alles daran setzen, die Rostocker Pastorentochter aus den für sie viel zu großen Schuhen des CDU-Vorsitzes zu entfernen. Und das ist für Frau Merkel bitter: Sie kann Koch jetzt unterstützen oder auch nicht; der Hesse wird ihr politisches Schicksal besiegeln.


 
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