© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Clinton und Fischer sollen vor Gericht
Carl Gustaf Ströhm

Mit Eifer ist der Westen schon seit Jahren auf der Suche nach einem "demokratischen Serben" – einem Belgrader Politiker, der als Alternative zu Slobodan Milosevic herhalten könnte.

Nach einer Reihe von Fehlschlägen hat man nun einen neuen Hoffnungsträger entdeckt: Vojislav Kostunica, den die vereinigten serbischen Oppositionsparteien als Präsidentschaftskandidaten gegen Milosevic ins Rennen schicken wollen, wenn in wenigen Wochen das Staatsoberhaupt gewählt wird.

Allerdings – was der Anti-Milosevic-Kandidat Kostunica bisher im Wahlkampf verlauten ließ, hat den sonst so redseligen Verfechtern einer "Demokratisierung" Serbiens (samt anschließender Integrierung in EU und womöglich Nato) die Sprache verschlagen: Kostunica erklärte nämlich, er denke nicht daran, im Falle eines Wahlsieges seinen Amtsvorgänger Milosevic an das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu überstellen. Auch eine Auslieferung anderer Serben oder "Jugoslawen", komme überhaupt nicht in Frage. Zwischen ihm und dem Haager Kriegsverbrechertribunal, so Kostunica, werde es keinerlei Zusammenarbeit geben. Der neu entdeckte "Freund" des Westens setzte sogar noch einen drauf: Kostunica kündigte an, unter seiner Präsidentschaft werde es auch keine serbische Zusammenarbeit mit der Nato und mit jenen Staaten geben, die an der "verbrecherischen Aggression" gegen Serbien und Jugoslawien beteiligt gewesen seien.

Mehr noch: Sollten verantwortliche westliche Politiker, die der Nato-Militäraktion zustimmten, ihren Fuß auf serbischen Boden setzen, werde die serbische Justiz und Polizei sie als "Kriegsverbrecher" verhaften. Die Idee stammt übrigens nicht aus dem Nähkästchen des "demokratischen" Präsidentschaftsbewerbers: Das oberste Belgrader Gericht soll bereits Haftbefehle gegen hochrangige "Nato-Kriegsverbrecher" bereithalten.

Um die Ironie auf die Spitze zu treiben: Angeführt wird die serbische "Kriegsverbrecherliste" von US-Außenministerin Madeleine Albright, die ihrerseits ganz versessen ist, auf dem Balkan nach "Kriegsverbrechern" zu fahnden. So werden Jäger – zumindest theoretisch – zu Gejagten. Gewiß ist die Gefahr gering, daß Präsident Clinton oder Außenminister Fischer (der vom Nato-Feind zum militanten Nato-Interventionisten mutierte) – jemals auf der Anklagebank eines Belgrader Gerichts landen. Aber noch geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß es dem Westen (wenn er es denn je ernsthaft gewollt hat) gelingen sollte, wirklich prominente serbische Politiker und Generale nach Den Haag zu schaffen. Hier wird die Absurdität der gesamten Den Haagener Prozedur sichtbar: Während die Kroaten als Opfer der Aggression erbarmungslos gezwungen werden, ihre Generale auszuliefern, verzeiht man den Serben selbst die größten Frechheiten. So wird das Manko der neuen Weltordnung offenbar.

Der Fall des "serbischen demokratischen Hoffnungsträgers" Kostunica beweist überdies zweierlei: Erstens – wer heute in Serbien und Jugoslawien bei Wahlen eine Chance auf Erfolg bei den Massen haben will, muß mit Milosevic gleichziehen und diesen womöglich noch übertreffen, andernfalls geht er unter. Zweitens: Nach den Nato-Luftschlägen ist der Westen in weiten Kreisen der serbischen Bevölkerung noch mehr verhaßt, als er es vorher schon war. Es ist nicht auszuschließen, daß eine "Demokratisierung" Serbiens nicht zu einer Domestizierung der Serben, sondern zu einer weiteren Kette irrationaler Ausbrüche führt. Übrigens – Serbiens Geschichte ist voll von Beispielen dieser Art.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen