© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Vom Paria zum Liebling der Wählergunst
Norwegen: Die rechtspopulistische Fortschrittspartei führt in den Meinungsumfragen / Ein möglicher "Haider-Effekt" zwischen Fjorden und Nordkap
Audunn Arnórsson

Die norwegische Fortschrittspartei, die vor 27 Jahren als eine ultraliberale Protestbewegung entstand, aber sich bald zu einer erfolgreichen rechtspopulistischen Partei entwickelte, ist den neuesten Meinungsumfragen zufolge nun die anhängerstärkste Partei Norwegens geworden.

Die dominierende Partei norwegischer Politik der letzten 73 Jahre, die sozialdemokratische Arbeiterpartei, ist auf rund 22 Prozent herabgerutscht. Die Fortschrittspartei, die seit 22 Jahren von dem charismatischen Politiker Carl Ingvar Hagen geführt wird, hat dagegen in den letzten Umfragen Werte zwischen 24 und 28 Prozent erreicht. Bei der letzten Wahl hatte Hagens Partei 15,3 Prozent erreicht und 25 von 165 Sitzen im Storting, dem norwegischen Nationalparlament.

In Norwegen hat auch letzte Woche großes Aufsehen erregt, daß in den nördlichsten Regionen des Landes, einer traditionellen Hochburg der Arbeiterpartei, 39 Prozent der Gefragten sich für die Fortschrittspartei aussprechen. Die Arbeiterpartei ist dagegen auf magere 19 Prozent herabgestürzt. Unzufriedenheit mit hohen Treibstoffabgaben scheint im Landesteil, wo die Familien vom Privatauto besonders abhängig sind, für die schlechten Werte der Arbeiterpartei mitverantwortlich zu sein. Die Zeitung A-Pressen, die die Umfrageergebnisse veröffentlicht hat, meint jedoch, daß diese Entwicklung der Wählereinstellungen durch jahrelange Vernachlässigung von seiten der Politiker der etablierten Parteien zu erklären ist. Ideale Voraussetzungen also für das Gedeihen einer populistischen Partei, die seit jeher für Steuer- und Abgabensenkungen eintritt.

"Selbstverständlich ist das sehr ermutigend, aber ich behalte doch einen kühlen Kopf", teilte Hagen der norwegischen Zeitung Nationen mit. "Ich bin mir nur zu bewußt, daß dies bloß ein vorübergehendes Phänomen sein könnte", sagte der erfahrene Parteiboß demütig.

In seiner langen Karriere an der Spitze der Partei hat er auch ganz andere Dinge erfahren, wie etwa bei der Stortingswahl 1977, als mit 1,9 Prozent kein Parlamentsmandat erreicht wurde, oder 1985, als der Partei bloß zwei Mandate zufielen. Als bei Kommunalwahlen 1983 6,3 Prozent der Wähler für die "Fortschrittlichen" stimmten, wurde dies als ein großer Durchbruch gefeiert. Die 15,3 Prozent von 1997 sind das mit Abstand beste Wahlergebnis in der Geschichte der Partei, womit sie sich als Norwegens zweitstärkste etablierte.

Auf die Verwunderung, die der neuerliche Aufstieg der Fortschrittspartei in Deutschland ausgelöst hat, wurde Fridtjof Frank Gundersen, ein Vertrauter Hagens, von der norwegischen Zeitung Dagbladet angesprochen. "Die Erklärung für die Verwunderung ist bei den Deutschen selbst zu suchen, die in einem Land leben, wo die Bürger ein masochistisches Verhältnis zu ihrer Vergangenheit haben und Wörter wie ,national’ oder ,Fortschritt’ nie in den Mund nehmen," erklärt Gundersen, der nach Dagbladets Meinung den Posten des Außenministers in einem eventuellen Kabinett Hagen übernehmen würde.

Der Name war Programm: "Anders Langes Partei für starke Reduzierung von Steuern, Abgaben und staatlicher Intervention." Und der Parteiname des Vorläufers der Fortschrittspartei war auch an sich ein Teil der öffentlichen Verhöhnung des bestehenden Parteiensystems, die die Gründergruppe im Sinn hatte, die sich in einem Kinosaal in Oslo am 8. April 1973 versammelte. Mit einem 10-Punkte Programm "für eine freiere Gesellschaft" wurde dem "Vormundstaat" der Kampf angesagt. Zu Grundprinzipien der Parteiprogrammatik zählen von Anfang an Steuersenkungen, Privatisierung staatlicher Betriebe, Subventionsabbau und Begrenzung der Einwanderung.

Der Parteigründer Anders Lange starb im Herbst 1974 im Alter von 70 Jahren. Nach seinem Tod rückte der 30-jährige Carl Ingvar Hagen ins Storting nach. Im Januar 1977 wurde der Name der Partei geändert, inspiriert vom Erfolg der gleichnamigen Partei von Mogens Glistrup in Dänemark. Ein Jahr später wird der Charismatiker Hagen zum Parteivorsitzenden gewählt. Und auf diesem Posten ist er geblieben, unangefochten, durch Höhen und Tiefen der Urnengänge der letzten 22 Jahre. Und jetzt ist er ganz oben in der Wählergunst.

Vor dem Einstieg in die Politik hat Hagen Betriebswirtschaftslehre in Newcastle und Marketing in London studiert. In den siebziger Jahren war er Geschäftsführer einer Zuckerwarenfabrik, und seit 1977 hat er auch als Wirtschaftsberater gewirkt. Aber seit er den Parteivorsitz 1978 übernahm, ist Politik sein Hauptberuf. Mit Ausnahme der Wahlperiode 1977 bis 1981 ist er seit Anfang der politischen Karriere Mitglied des Stortings gewesen. Seine Frau, Eli Engum Hagen, arbeitet als seine Privatsekretärin.

Einwanderungskritik rückt in den Hintergrund

Früher hat die Fortschrittspartei Wähler vornehmlich durch ihre kritische Haltung gegenüber der von der Regierung geführten Einwanderungspolitik gewonnen, aber solche Fragen sind in letzter Zeit weit nach unten auf der Tagesordnung gerückt. Jetzt sind es vor allem wirtschaftspolitische Akzente, die der Partei den Aufschwung bescheren.

Wie kommt es, daß im Ölexportland Norwegen die Autofahrer die höchsten Benzinpreise der Welt bezahlen müssen? Wieso ist es notwendig, die Steuern zu heben, wenn das staatliche Budget Milliarden Überschuß hat? Warum hat eines der reichsten Länder der Welt so viele Probleme im Schul-, Gesundheits- und Altersversorgungssystem?

Hagen stellt diese Fragen immer wieder, und die Antworten der anderen Parteien scheinen die Wähler nicht zu befriedigen. Die der Arbeiterpartei am wenigsten, aber sie kümmert sich seit dem letzten Frühling alleine um die Regierungsgeschäfte im Lande, obwohl sie mit ihren 65 Sitzen über keine Mehrheit im Parlament verfügt. Allein seit Juli hat die Regierungspartei etwa 7 Prozentpunkte in den Umfragen verloren.

Das Verständnis der norwegischen Wähler dafür, daß die Benzinpreise Weltrekordniveau erreichen, die Krankenhäuser nicht mit modernstem Gerät ausgestattet werden und Alte und Kranke lange auf Behandlung warten müssen, während der Staat Hunderte von Milliarden – Einnahmen aus dem Erdölexport – in einem Sonderfonds hortet, schwindet. Hagen hat in dieser Unzufriedenheit der Wähler neue Chancen gewittert und gezielt Versprechungen an bestimmte Wählergruppen gemacht. Er verlangt, daß mehr Erdöleinnahmen – die in Zeiten von hohem Dollarkurs und Spitzenweltmarktpreisen in die Höhe geschossen sind – etwa für den Gesundheitssektor ausgegeben werden. Gegen die von Hagen propagierten Mehrausgaben sträubte sich Stoltenbergs Regierungs stets, da sie eine Überhitzung der Wirtschaft verhindern will.

"Das norwegische Volk ist es leid, bevormundet zu werden. Die anderen Parteien, die Arbeiterpartei ganz besonders, legen eine Verachtung vor dem Volk an den Tag", sagte Hagen letzte Woche vor Journalisten zu der Frage, wie er sich den momentanen Aufwind seiner Partei erkläre. Wieso er jetzt vorschlage, mehr Erdölgeld auszugeben, sagt er im klassisch populistischem Ton: "Auf uns macht es einen Eindruck, wenn es Anzeichen für einen Volksaufstand gibt. Die Benzinpreise sind dramatisch angestiegen."

Die nächsten Stortingswahlen finden in einem Jahr statt. Würde die jetzige Wählerstimmung andauern, gäbe es eine bürgerliche Mehrheit im Parlament, bestehend aus der Forschrittspartei, der konservativen Partei Høyre und der Christlichen Volkspartei (Kristelig Folkeparti). Die letztgenannte Mitte-Rechts-Partei ist die Partei von Kjell Magne Bondevik, der als Ministerpräsident einer Minderheitsregierung dreier Parteien der Mitte im März zurückgetreten war.

Bis auf weiteres hat keine Partei sich öffentlich zur Regierungszusammenarbeit mit der Forschrittspartei bereit erklärt, aber Hagens Bemühungen in letzter Zeit, seine Partei koalitionsfähiger zu machen, mögen eventuell Früchte tragen. Die drei bürgerlichen Parteien haben schon lange eine informelle Zusammenarbeit im Parlament gehabt, unter anderem in Budgetfragen, obwohl der Vizevorsitzende der Abgeordnetengruppe der Christlichen Volkspartei, Einar Steensnæs, meint: "Es wäre undenkbar für die Christliche Volkspartei, in einer Regierung mit der Fortschrittspartei zusammenzuarbeiten." Dagegen meint Carl I. Hagen: "Wenn wir ein dermaßen gutes Wahlresultat erreichen, werden die Wähler es nur logisch finden, daß wir als Mitglieder einer Koalitionsregierung in Frage kommen." So sehen es auch schon ein Paar Wahlforscher und Kenner der politischen Szene. Die Zeitung Bergens Tidende schreibt, daß "einer erfahrensten Parteistrategen" der Zentrumspartei (Senterpartiet) – die vom Herbst 1997 bis März dieses Jahres mit der Christlichen Volkspartei und der liberalen Venstre in Bondeviks Minderheitsregierung zusammenarbeitete – sicher sei, welche Pläne der frühere Ministerpräsident habe. "Er hat sich nicht zum Parteivorsitzenden für eine weitere Periode bestätigen lassen, um als gemeiner Abgeordneter herumzugammeln. Der Job des Ministerpräsidenten hat ihn auf den Geschmack gebracht. Wenn die Christliche Volkspartei und die Forstschrittspartei eine gute Wahl heimfahren, und eine Mehrheitsregierung mit Høyre bilden können, wette ich daß Bondevik wieder Ministerpräsident wird."

Und der Wahlforscher Frank Aarebrot glaubt auch, daß Bondevik sich der Hilfe der Fortschrittspartei bedienen wird, wenn er dadurch Ministerpräsident einer Mehrheitsregierung werden kann. Bondevik sei sich darüber im klaren, daß es nichts mehr nütze, die Fortschrittspartei als eine Vogelscheuche hinzustellen.

Es ist unumstritten, daß ein Teil des Erfolgs der Fortschrittspartei im "PC-sensiblen" skandinavischen Land durch ihre traditionell einwanderungskritische Haltung zu erklären ist. Daß dieses Thema noch viele Wähler bewegt, zeigt auch der Erfolg der Dänischen Volkspartei unter Pia Kjærsgaard, die aus der Glistrup-Fortschrittspartei hervorgegangen ist. Die einwanderungsrelevanten Problemstellungen sind in den skandinavischen Partnerstaaten sehr ähnlich. Die Stichwörter sind: Mißbrauch des Sozialsystems, Ausländerkriminalität, fehlende Bereitschaft der Einwanderer, sich den Sitten des Gastlandes anzupassen.

In der Mitte oder weder rechts noch links?

Diese Eigenschaft der Hagen-Partei ist es, die mehr als irgendein anderer Faktor die hypothetische Regierungszusammenarbeit mit den bürgerlichen "Mainstream-Parteien" erschwert. Dies ist dem Parteiboß wohlbewußt, und deshalb bemüht er sich zur Zeit, im Namen der Regierungsfähigkeit ausländerkritische Töne in seiner Partei herunterzuschrauben. So hat er unter anderem veranlaßt, daß der Stortingsabgeordnete Øystein Hedstrøm, der sich durch besonders ausgesprochen ausländerkritische Rhetorik profiliert hat, nicht mehr für die Partei kandidieren soll. Und die Lenkung der Einwanderungspolitik in der Partei hat Hagen selbst in die Hand genommen.

Durch den Umstand, daß es seit mehreren Jahren nicht gelungen ist, eine Mehrheitsregierung in Norwegen auf die Beine zu stellen, ist es bei der Legislationsarbeit inzwischen zur Zusammenarbeit über fast alle Parteigrenzen hinweg gekommen. Die Bondevik-Regierung hat die 25 Stimmen der Fortschrittspartei sehr gerne als Mehrheitsbeschaffer für ihre Gesetzesvorlagen gewonnen. Zweckallianzen in Einzelfragen hat es sogar auch zwischen der Arbeiterpartei und den Fortschrittlichen gegeben. Es ist den etablierten Parteien daher immer schwerer gefallen, den Wählern weiszumachen, daß die Hagen-Partei nicht "stubenrein" sei. Daher finden sich jetzt in der norwegischen Presse Leitartikelüberschriften wie diese: "Kann der Troll gezähmt werden?"

Ende August hat die norwegische Wirtschaftszeitung Dagens Næringsliv Hagen gebeten, seine Partei im aktuellen Parteienspektrum des Landes zu positionieren. Interessanterweise hat er sie dabei links sowohl von der Christlichen Volkspartei als auch von Høyre angesetzt; direkt links von der Fortschrittspartei komme die Arbeiterpartei, dann die Zentrumspartei, und ganz links sei die Sozialistische Linkspartei (SV). Die liberale Partei Venstre hat er ausgelassen, aber als er für die gleiche Zeitung eine vergleichbare Übung vor vier Jahren gemacht hat, hat er Venstre zwischen der Fortschritts- und Arbeiterpartei positioniert. Damals war er der Meinung, nur Høyre sei rechts von seiner eigenen Partei und die Christliche Volkspartei links von der Arbeiterpartei.

Erläuternd hierzu hier ein Paar Fakten zu den genannten Parteien (jede Partei bedient traditionellerweise unterschiedliche Wählergruppierungen, und das Parteiensystem ist nur begrenzt mit dem deutschen vergleichbar):

- Høyre ist die traditionelle konservative Partei, die die Interessen der Marktwirtschaft vertreten, Privateigentum, Unternehmertum und personelle Freiheit fördern will.

- Die Christliche Volkspartei ist christdemokratisch und hat als solche partnerschaftliche Kontakte zur CDU.

- Die Fortschrittspartei ist die dritte Partei, die normalerweise rechts von der Mitte angesiedelt wird. Als die Anti-System-Partei hat sie allerdings eine klare Sonderposition inne und ist – jedenfalls bis jetzt – eine Partei, die sich auf eine Oppositionsrolle spezialisiert hat. Sie hat keine institutionalisierten Kontakte zu ausländischen Parteien.

- Venstre ist die traditionelle liberale Partei und ist Mitglied der Liberalen Internationale.

- Die Zentrumspartei hieß bis 1959 die Bauernpartei und ist ihren Ursprüngen in vieler Hinsicht noch treu. Sie steht für einen dezentralen Staat und die Interessen der ländlichen Gegenden und zerstreuten Ortschaften Norwegens ein, und sie ist ein rabiater Gegner der EU.

- Die Arbeiterpartei ist die sozialdemokratische Partei Norwegens, 1887 gegründet. Seit der Wahl 1927 ist sie die dominierende Partei norwegischer Politik, die einen fast naturgegebenen Anspruch darauf zu haben glaubt, das Land zu regieren. Durch schrumpfende Stammwählerschaft hat sie in den letzten zehn Jahren um ihre "staatstragende" Rolle bangen müssen. Die letzten Umfragen bestätigen, daß sie in diesen Tagen in einer sehr tiefen Krise steckt.

- Die Sozialistische Linkspartei tritt für Blockfreiheit und Arbeiterinteressen ein. Sozialdemokratische Regierungen sind es gewöhnt, im Bedarfsfall auf die Sozialisten im Storting als Mehrheitsbeschaffer bauen zu können.

Nicht im Parlament vertreten sind neben anderen die Kommunistische Partei Norwegens und die Grünen (Miljøpartiet de Grønne). Nennenswerte Parteigruppierungen rechts von Høyre und der Fortschrittspartei gibt es kaum welche.

Jens Stoltenberg, der junge Ministerpräsident der Minderheitsregierung der Sozialdemokraten, hat die bürgerlichen Parteien davor gewarnt, mit der Fortschrittspartei zusammenzuarbeiten. Eine solche Zusammenarbeit würde dazu führen, daß Norwegen auf internationalem Parkett dieselbe Behandlung wie Österreich erfahren müßte. "Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, zu verhindern, daß auch Norwegen ein Land wird, in dem die Rechte unverhältnismäßig große Macht bekommt", meint Stoltenberg.

In diesem Zusammenhang ist es relevant, in Erinnerung zu rufen, daß der Außenminister der Bondevik-Regierung, Knut Vollebæk, nicht zögerte, die Unterstützung Norwegens für die eilig beschlossenen Sanktionen der EU-14 gegen Österreich zu erklären, als vor sieben Monaten dort die ÖVP-FPÖ-Regierung gebildet wurde.

Hagen hat sich selbst gegen Vergleiche mit Jörg Haider zur Wehr gesetzt. In einer offiziellen Stellungnahme betont Hagen, daß die Fortschrittspartei keinerlei Kontakte zur FPÖ pflege. Nach einer "gründlichen Studie des Programms der Freiheitlichen Partei" finde er allerdings keinen Halt für die ernsten Anschuldigungen gegen die FPÖ, die als Rechtfertigung für die Aktion der EU-14 angegeben wurde; "ganz im Gegenteil legt die FPÖ wert auf den Freiheitsbegriff und hebt den Eigenwert der Einzelperson hervor. Das Programm ist also ein Plädoyer für den Schutz des Einzelnen gegen das Kollektive. Wenn behauptet wird, daß die FPÖ Inspiration vom Nationalsozialismus hole, korrespondiert dies schlecht mit der Tatsache, daß der Nazismus, wie auch der Faschismus und Kommunismus, kollektivistische Ideologien sind, die den Staat über das Individuum stellen", schreibt Hagen.

Daß die FPÖ für eine striktere Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik eintritt, meint Hagen, steht in Zusammenhang damit, daß Österreich jahrelang ein Aufnahmeland von großen Flüchtlingsströmen aus ehemaligen Ostblockstaaten und dem Balkan gewesen ist. "Aber es kann doch nicht so sein, daß jede Partei, die eine veränderte Politik auf diesem Gebiet fordert, Anschuldigungen wegen fehlender Achtung vor demokratischen Prinzipien, daß sie allgemeine humane Werte auf den Kopf stellen würde, über sich ergehen lassen muß. Innerhalb des demokratischen Spielfelds muß doch Raum für unterschiedliche Auffassungen sein. Eine andere Einstellung würde doch eine Einschränkung der Demokratie bedeuten", erklärt Hagen und kommt zu dem Schluß, daß die EU-Sanktionen gegen Österreich unverzüglich aufgehoben werden sollten.

Stoltenberg warnt vor dem Beispiel Österreichs

In der Europapolitik im allgemeinen ist die Einstellung der Hagen-Partei zwiespältig. Der Parteiführer selbst hat sich für ein "Ja" zur EU-Mitgliedschaft Norwegens eingesetzt, als es 1994 das letzte Mal eine Volksabstimmung über die Frage gab. Jetzt neigt er mehr zum "Nein", wie auch eine knappe Mehrheit der norwegischen Wähler zur Zeit.

Die medienscheue Frau und Sekretärin des Parteichefs hat die Lage in der EU-Frage in einem Interview mit der Osloer Zeitung Aftenposten gemacht aus dem aktuellen Anlaß der guten Umfrageergebnisse, die es möglich erscheinen lassen, ihr Mann könnte Regierungschef werden so beschrieben: "Sowohl auf der Ja- als auch auf der Nein-Seite erklären sich sehr viele einig mit Hagen, daß die Zeit nicht reif für eine neue intensive Debatte um den EU-Beitritt sei. Erst wenn die Ja-Seite ganz klar führt; mit 70 Prozent für Ja, 30 Prozent für Nein. Man sagt, es sei kein genügend gutes Argument, daß Thorbjörn Jagland, der Vorsitzende der Arbeiterpartei, ehemaliger Ministerpräsident und amtierender Außenminister, sich wünscht, in Brüssel zusammen mit den ,großen Jungs‘ zu sitzen. Die Leute vertragen nicht den Gedanken an eine wiederholte, spaltende EU-Debatte."

Kommentatoren meinen jedoch, daß die Frage des EU-Beitritts Norwegens, die wie keine andere die Gemüter der 4,4 Millionen Norweger spaltet, in der nächsten Wahlperiode wieder aktuell wird. Die Stoltenberg-Regierung hat sich entschieden für einen EU-freundlichen Kurs eingesetzt.

Die Sozialdemokraten hoffen, durch erfolgreiche Realisierung von Reformvorhaben der Regierung den Trend der Meinungsumfragen umkehren zu können. Mit der fehlenden Parlamentsmehrheit dürfte dies jedoch im Wahljahr schwierig werden. Und bürgerliche Kommentatoren werfen Stoltenberg vor, daß ihn bei seiner Mahnung an die anderen Parteien, nicht mit der Partei Hagens zusammenzuarbeiten, nicht die Angst vor einer Isolierung Norwegens treibe, sondern reine Parteitaktik: Die Parteien der Mitte in sein Lager zu locken, sei die einzige Chance, den angeschlagenen Sozialdemokraten die Macht zu erhalten. Andere meinen, die starke Position der Fortschrittspartei könnte sich durchaus in voraussehbarer Zeit halten.

"Die Einstellungen des norwegischen ,Michels‘ nähern sich dem, was Hagen verkörpert. Die Jungen wählen den Materialismus und den Egoismus, die Älteren die Geborgenheit und die Fremdenfeindlichkeit", meint der Soziologe Trond Blindheim.


 
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