© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Texte für die Seele
Die Literaturzeitschrift "Wegwarten"
Werner Olles

An Literaturzeitschriften herrscht in Deutschland wahrlich kein Mangel. Und bei einigen wird der erwartungsvolle Leser ja auch tatsächlich liebevoll hingeführt zu jenem Erlebnis, das Literatur, wenn sie kein billiges, schnelles Wegwerf-Produkt sein will, immer noch sein kann. Zu diesen Solitären des bundesdeutschen Literatur- und Kulturbetriebes gehören auf jeden Fall die von Walter Lobenstein (Jahrgang 1930) im Jahre 1961 in der Tradiotion Rainer Maria Rilkes wiederbelebten und nunmehr bereits im 40. Jahrgang erscheinenden Wegwarten mit dem programmatisch aufzufassenden Untertitel: "Eine literarische Zeitschrift für Einzelne". 1896 hatte Rilke die Wegwarten gegründet, und so konnte Lobenstein vor vier Jahren das hundertjährige Bestehen der kleinen, aber feinen Zeitschrift mit einer Sonderausgabe feiern. Diese literarische und historische Kontinuität gehört zu den Markenzeichen der Wegwarten.

Unter den kleineren Literaturzeitschriften sind die Wegwarten inzwischen die älteste im deutschen Sprachraum. Sie stellt nicht nur eine Fundgrube, ja ein wahres Schatzkästlein für Bibliophile, Literatursüchtige und Lesehungrige dar, sie ist auch ein Stück neuerer Literaturgeschichte, und ihr Herausgeber pflegt mit großem persönlichen Engagement und mit einer Passion, die beispielhaft ist, eine geistige Gemeinschaft von Autoren und Lesern, die in ihrer Art wohl einmalig ist im Lande der Dichter und Denker.

Daß die Wegwarten aus der literarischen Landschaft längst nicht mehr wegzudenken sind, hat sicher auch etwas damit zu tun, daß es im deutschsprachigen Raum nur wenige Zeitschriften gibt, die seit ihrer Gründung eine Vielzahl bedeutender Autoren in ihren Reihen versammelt haben: Max Brod, Hans Erich Nossack, Rudolf Hagelstange, Monika Mann, Rolf Italiaander, Kurt Morawietz, Karl Krolow, Hilde Domin und Heinz Piontek, um nur einige zu nennen.

Einer der allerersten Leser der Wegwarten war übrigens Ernst Jünger, der im Laufe der Jahre auch mit zahlreichen Texten vertreten war. Zu seinem 100. Geburtstag 1995 widmete ihm Walter Lobenstein ein eigenes Heft. Jünger hatte die Zeitschrift von Anfang an archiviert, noch in einer der neueren Ausgaben, die die Zerstörung der deutschen Städte durch den Bombenkrieg der Anglo-Amerikaner im Zweiten Weltkrieg zum Thema hat, findet sich ein kleiner Text aus seiner Feder: "Hannover, meine gute, alte Vaterstadt". Auch der Hannoveraner Lobenstein erinnert in dieser Ausgabe noch einmal eindrücklich an die Schrecken dieses Bombenkrieges und welches Elend und Grauen die sinnlosen, verbrecherischen Zerstörungen für seine Geburts- und Heimatstadt Hannover und für die anderen alten deutschen Städte bedeuteten. Beim Lesen dieser Zeilen spürt man bei jedem Wort: Hier schreibt jemand, der Deutschland und seine Kultur nicht nur in der Theorie liebt.

Die Gedichte, Prosatexte und Aphorismen in den Wegwarten sind von einer wunderbaren Genauigkeit, mehr noch, es sind Seelenbilder, reine Poesie, hoffnungsvolle Aufbrüche in die vertraute Einsamkeit des Wortes und der Sprache. Dem offenen und versteckten Krieg gegen diese Sprache hat Lobenstein ebenfalls ein Themenheft gewidmet (139/1997). Bei seinen "Beobachtungen an der Sprachfront" stellt er mit Sorge "eine zunehmende Verfremdung der deutschen Sprache" fest. Einen "Abbau des Tragenden" bezeichnet er dies zutreffend, und Gerhard Rademacher, ein anderer Autor der Wegwarten, bemerkt in der gleichen Ausgabe zu den offiziellen Bemühungen, die deutsche Sprache zu zerstören: "Am Ende einer radikalen Rechtschreibreform steht der totale Geschichtsverlust gegenüber Sprache und Büchern aus vergangenen Epochen".

Ein weiteres Themenheft (146/1999) befaßt sich mit der neuen, alten Hauptstadt Berlin. Dabei lassen die "Berliner Notizen" des "Mutpreußen" Lobenstein ein wenig von der "historischen Wehmut" erahnen, die ihn angesichts des Reichtstagsgebäudes mit seiner glasigen Wendelaufgangkuppel gepackt hat.

Und dann ist da auch noch der "Hausgraphiker" Fritz Möser, der mit seinen Titelseiten der Zeitschrift ein unauswechselbares Aussehen verleiht. Seine Linoldrucke, Monotypien, Collagen und Zeichnungen geben den Wegwarten sozusagen erst das gewisse Etwas. Aber auch Arbeiten des von Lobenstein bewunderten Malers Hermann Eller finden sich hier seit 20 Jahren. Seine Zeichnungen und Reproduktionen von Aquarellen und Ölgemälden kann man guten Gewissens als verzauberte Bildideen bezeichnen.

Was jedoch vor allem die jüngeren Leser erstaunen wird, ist die Tatsache, daß es sich bei der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift nicht um ein gewerbliches Unternehmen handelt. In unserer durchkommerzialisierten Zeit ist dies nicht nur ziemlich ungewöhnlich, sondern zeugt auch von einer Gesinnung, die Literatur und Kunst grundsätzlich nicht für käuflich hält. Für diese absolute Trennung von Kommerz und Literatur steht der Herausgeber Walter Lobenstein, weil seiner Meinung nach, "auch in unserer Zeit noch etwas ohne Berechnung geschehen soll".

Information: "Wegwarten", Rodenbergerstr. 13, 30459 Hannover. Die Hefte werden unentgeltlich versandt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen