© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Männerbund im Comic-Shop
Gezeichnete Bilder mit Sprechblasen haben sich zu einem Massenmarkt entwickelt
Claus-M. Wolfschlag

Schlicht gezeichnete Figuren in Bildgeschichten zieren heute nicht nur "Donald Duck"-Hefte, sondern sind zu einem festen Bestandteil der Massenkultur geworden. Bisweilen scheinen sie gar in ihrer produktimmanenten Infantilisierung und karikaturenhaften Überspitzung von Erkennungsmerkmalen Einfluß auf die Mode und Körperpflege der Menschen auszuüben. So haben grün- und blauhaarige Techno-Freaks mit Bürstenschnitt, überdimensionierten Brillen und grell-bunten Kostümen sicher auch unbewußt Anleihen bei Figuren von Comic-Strips entnommen.

Der Siegeszug der Comics kann dabei bereits auf eine relativ lange Geschichte zurückblicken. Auf das Ende des 19. Jahrhunderts wird der Beginn des Comic-Zeitalters von Wissenschaftlern veranschlagt. 1865 veröffentlichte Wilhelm Busch sein berühmtes, mit bunten Zeichnungen bebildertes Kinderbuch "Max und Moritz", 1895 druckte eine New Yorker Zeitung den ersten Comic-Strip unter dem Namen "Yellow Kid", und die Massenverbreitung von Comic-Figuren begann 1929 mit dem Erscheinen des ersten "Mickey Mouse"-Zeichentrickfilms.

Mittlerweile haben sich Comics zu einem Massenmakt entwickelt. Winfried Secker vom Frankfurter "Comica"-Laden berichtet aus seiner langjährigen Erfahrung: "Nachdem lange nur Comic-Hefte am Kiosk verkauft wurden, kam ab den siebziger und achtziger Jahren die Tendenz auf, richtige Comic-Alben für den Buchhandel aufzumachen, speziell für Comic-Freunde." Zur Zeit existieren eine halbe Million lieferbare Titel, von denen man in Seckers Laden zwischen zwanzig- bis dreißigtausend auswählen kann. Recht unterschiedliche Verlage bieten heute Comics auf dem Buchmarkt an. Großbetriebe wie der Egmont Ehapa Verlag in Stuttgart stehen neben mittelständischen Unternehmen wie dem Hamburger Carlsen Verlag. Zudem existiert eine kaum überschaubare Fülle von Kleinverlagen mit ein, zwei Mitarbeitern, die Hefte in Niedrigauflage auf den Markt werfen.

Gegenwärtig ist ein neuer Comic-Boom zu verspüren. Neben kontinuierlich florierenden Klassikern wie "Prinz Eisenherz" oder "Asterix" sind vor allem zwei aufkommende Strömungen dafür verantwortlich: Die sogenannten "Mangas" (das heißt in etwa "verrückte Bilder") kommen aus Japan, wo die Comics 40 Prozent der gesamten Druckerzeugnisse des Landes stellen. Sie werden von Kindern ebenso wie von erwachsenen Geschäftsleuten konsumiert. "Mangas" zeichnen sich in der Regel durch ihre geschickte Verbindung von Science-Fiction und der Liebesthematik aus. Der erfolgreichste "Manga" ist der "Shooonen-Jump", der seit 20 Jahren an den Kiosken erhältlich ist.

Neben den "Mangas" wird das Geschäft seit einiger Zeit verstärkt von den klassischen "Superhelden"-Comics beherrscht. "Superman", "Spiderman", "Batman" und allerlei andere maskierte Gestalten (nicht zu vergessen der moderne erotische Superstar "Lara Croft") werden von der Jugend wieder verstärkt wahrgenommen. Daneben finden sich immer wieder seltene Hefte für Liebhaber – von deutschen Klassikern, wie "Sigurd", über künstlerisch wertvoll gestaltete Bände, wie beispielsweise "Flüster" von Mattoti und Kramsky, bis zu Storys mit pornographischem oder auch zeitgeschichtlichem Inhalt, wie die "Jonas Fink"-Reihe von Vittorio Giardino, der sich kritisch mit der Unterdrückung im stalinistischen Ostblock auseinandersetzt.

Zur zweiten Einnahmequelle neben den eigentlichen Comic-Heften haben sich im Laufe der Jahre sogenannte "Merchandising"-Waren entwickelt. Darunter versteht man Produkte, die mit den Logos bestimmter Comic-Serien ausgestattet sind. Der Trend hatte in den 1980er Jahren mit der "Kater Garfield"-Serie auf Sweatshirts oder Kaffeetassen angefangen. Heute reicht das enorm ausgeweitete Angebot von "Asterix"-Plastikfiguren in Schokoladen-Überraschungseiern über Hemden mit dem Kopf von Bart Simpson und "South Park"-Mousepads bis zu großformatigen und ausgesprochen teuren "Tim & Struppi"-Figuren. Comics wurden so zum festen Bestandteil des Produkt-Designs.

Die Käuferschichten von Comics sind im Laufe der letzten 20 Jahre immer älter geworden. Comics sind keinesfalls mehr ausschließlich ein Produkt für Kinder und Jugendliche. Wolfgang Stryz vom Frankfurter "Comic-Laden Franke" meint hierzu: "Bei uns kaufen Sozialhilfeempfänger genauso ein wie Politiker. Auch der Schriftsteller Ephraim Kishon gehörte schon zu unseren Kunden. Zwar mögen eher junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren Comics, es gibt aber auch einige ältere Kunden. Mancher 50jährige sucht hier nach Comic-Figuren seiner Jugendzeit."

Die Barriere, die für das Alter nicht mehr unbedingt gilt, bleibt allerdings beim Geschlecht bestehen. Im Gegensatz zum übrigen Buchmarkt ist das Comic-Geschäft eine Männerdomäne. Etwa 80 Prozent der Zeichner, Autoren, Verleger und Käufer sind männlichen Geschlechts. Der Männerbund scheint sich folglich vom Kasernenhof oder vom Herrenclub in den Comic-Shop verlagert zu haben.


 
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