© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Konservative im Visier
von Stefan Winckler

Wer denkt, die Verfassungsschutzämter beobachten nur diejenigen Vereinigungen und Publikationen, die sie anschließend in den Verfassungsschutzberichten zwecks Offenlegung amtlicher Tätigkeit aufzählen, der irrt. Ihre Blicke gehen weit darüber hinaus. Zum Beispiel forderte das nordrhein-westfälische Innenministerium 1998 die Zeitschrift Kompass zur Auswertung an, die als Organ der Arbeitsgemeinschaft "Stimme der Mehrheit" im Bund der Selbständigen / Deutscher Gewerbeverein e.V., Landesverband NRW als Forum für Aufsätze und Rezensionen an politische Entscheidungsträger und die eigenen Mitglieder verschickt wird. Dort schreiben Historiker und politische Publizisten. Die Auflage beläuft sich auf wenige hundert Exemplare, der Umfang ist mit 30 Seiten vergleichsweise gering. Der Inhalt variiert m.E. zwischen klassischem Liberalismus und einem gemäßigten Konservatismus. Zu einer ähnlichen Auffassung kam offenbar auch der Verfassungsschutz, so daß eine Erwähnung unter "Rechtsextremismus" entfiel, ebenso eine weitere Beobachtung: Kompass erschien dem Innenministerium, Abt. Verfassungsschutz, "unbedenklich".

Wie wurde die Behörde auf das Heft aufmerksam? Gegenüber dem Herausgeber jener Zeitschrift hieß es, man habe einen "Hinweis" erhalten. Eine halbwegs wohlwollende Zeitschriftenkritik in der rechten, vom Verfassungsschutz NRW unter "Rechtsextremismus" ausführlich behandelten Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT war es alleine sicher nicht, wohl eher schon die Rezeption der Arbeitsgemeinschaft in »Antifa«-Organen und einer auflagenstarken Zeitung, die sich selbst als "links von der Mitte" einstuft. Nutzen die Verfassungsschutzbeamten des Referats "Rechtsextremismus" auch Informationen aus Mitteilungsblättern derjenigen, die im Verfassungsschutzbericht als Linksextremisten bezeichnet sind? Jedenfalls war der Beobachtung durch den Verfassungsschutz ein Artikel in den Antifaschistischen Nachrichten« (AN) vorausgegangen, der die "Stimme der Mehrheit" im ganzen als "rechts" bezeichnete und einige "Rechtsextremisten" auszumachen glaubte. Doch die AN definierten weder, was sie unter "rechtsextrem" verstanden, noch nannten sie "Roß und Reiter".

Anders als im Fall Kompass verlief die Prüfung des Sammelbandes "Die selbstbewußte Nation", den die Welt am Sonntag-Journalisten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht 1994 herausgaben: Er wurde im Verfassungsschutzbericht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums ausführlich im Zusammenhang mit der "Neuen Rechten" vorgestellt. Der einleitende Satz, "die Zuständigkeit der Behörden für Verfassungsschutz ergibt sich dort, wo tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen vorliegen, die gegen die Verfassung gerichtet sind«, rückte jenes Buch noch zusätzlich in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit. Es folgt die Aufzählung "wesent-liche(r) ideologische(r) Elemente" der Neuen Rechten wie »nationale Identität und nationales Selbstwertgefühl, Revisionismus und Neubewertung der deutschen Geschichte, Sozialdarwinismus, Biohumanismus, Ethnopluralismus (Apartheid, Separatismus), anthropologische Ungleichkeit (…), Vorstellung von einem ethnisch homogenen, hierarchischen und elitär geführten Staat, Ablehnung des Individualismus, Universalismus (z. B. der Menschenrechte), Liberalismus, Parlamentarismus, innergesellschaftlicher Pluralismus«. Insofern seien Art. 2, Art. 3 und Art. 5 des Grundgesetzes betroffen. Außerdem kenne das GG nicht das Primat der Volksgemeinschaft, es garantiere vielmehr individuelle Grundrechte. Das parlamentarische System stehe auch nicht zur Disposition. Soweit eine Charakterisierung der Neuen Rechten im engsten Sinne und was die freiheitliche Demokratie von ihr trennt.

Das einzige, was "Die selbstbewußte Nation" mit diesen neu-rechten Kennzeichen eint, ist das nationale Selbstwertgefühl, auch Identität genannt, das die Herausgeber zusammen mit 27 Autoren auf methodisch und inhaltlich sehr unterschiedliche Art zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen. Ein Angriff auf die Verfassung kann nicht vorliegen – denn das Grundgesetz ist es ja gerade, das nicht nur die "Menschen", sondern gerade auch die "Deutschen" als Subjekt schon in der Präambel hervorhebt: Das deutsche Volk (in den westlichen Besatzungszonen) habe dieses Grundgesetz beschlossen, nicht nur für Westdeutschland, sondern auch stellvertretend für "jene Deutschen, denen mitzuwirken versagt war". Ausdrücklich ist die nationale Identität als zentraler Wert aufgeführt: "Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." Insofern müßte weniger der deutsche Nationalstaat als vielmehr dessen Verneinung in Vergangenheit und Gegenwart ein Fall für den Verfassungsschutz sein, wenn er denn Gesinnungen unter die Lupe nehmen will: Immer häufiger wurde in den 80er Jahren die volle Anerkennung der DDR gefordert, und auch ein einseitiger Verfassungspatriotismus gewann seitdem an Bedeutung. (…)

Der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 nannte wiederum Schwilk, allerdings in ein Zitat aus der JUNGEN FREIHEIT eingebunden. Es lautete: "Die neue deutsche Rechte denkt langfristig und handelt strategisch … Schwilk berichtete in diesem Zusammenhang von den bekanntesten Versuchen, den Meinungsbildungsprozeß im eigenen Sinne zu beeinflussen: dem Plan, die Tageszeitung Die Welt zu einem rechtskonservativen Blatt zu machen, der Herausgabe des Bandes ’Die selbstbewußte Nation‘ sowie vom ’Appell wider das Vergessen‘ zum 8. Mai 1945. (…)"

So zitiert der Verfassungsschutz eine Quelle (JF) quasi als Kronzeugin, die er an anderer Stelle verfassungsfeindlicher Ziele und täuschender Methoden bezichtigt, um einen Journalisten fahrlässig oder bewußt ins Zwielicht zu bringen, der als konservativ bekannt ist, ohne jemals gegen die freiheitliche Demokratie in Deutschland (eher schon für sie) tätig geworden zu sein.

Dem obigen Zitat über die "Strategie" Schwilks wird eine ideologische Bezichtigung vorangestellt: "Die politische und soziologische Wissenschaft beschäftigt sich mit einer ›Grau- und Braunzone‹ (Sarkowicz) zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus, versucht sich auch mit Definitionen wie ›Brückenspektrum‹ (Pfahl-Traughber) oder ›Scharnier‹ (Gessenharter), um eine Entwicklung zu beschreiben, in deren Verlauf eine Gruppe überwiegend junger Intellektueller (…) Schritt für Schritt versucht, verstaubte, antidemokratische Vorstellungen von der Rolle des Menschen in einer Gesellschaft zu neuem Leben zu erwecken und dabei die Grenze zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus zu verwischen. Der Verfassungsschutz ist da gefordert, wo diese Gruppe Vorstellungen artikuliert, die den Rahmen des Grundgesetzes verlassen, Vorstellungen z. B., die sich vom Parlamentarismus lossagen und Andersdenkende verächtlich machen, die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz in Frage stellen." Mit großer Wahrscheinlichkeit ergibt sich daraus bei einem wenig kundigen Leser der falsche Eindruck, auch Schwilk stehe für antidemokratisches Denken, er sei eben der herausragende Protagonist dieser Denkschule. Nicht zuletzt die Wortwahl "Grau- und Braunzone" in einem Zitat des HR-Kulturjournalisten Sarkowicz (er ist Autor politischer Bücher, aber kein Wissenschaftler) ist geeignet, einen Publizisten ins Abseits zu schieben, oder anders ausgedrückt: Rufmord zu begehen. (…)

Mit einem besser ausgeprägten Sinn für die publizistische Verantwortung, die ja auch die Verfassungsschutzpublikationen vor volksverhetzerischem Inhalt bewahren sollte, differenziert der Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen vor einem inflationären, diffamierenden oder einfach nur unwissenschaftlichen Gebrauch des Begriffs "Neue Rechte": »In der Öffentlichkeit wird im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus zunehmend der Begriff ›Neue Rechte‹ gebraucht. Dabei wird diese Bezeichnung jedoch auch wahllos für demokratische Positionen und deren Vertreter verwendet. Grund dafür ist das Fehlen einer allgemeinverbindlichen Definition für diesen Begriff. Je nach Blickwinkel und Interessenlage wird er als politisches Schlagwort inhaltlich unterschiedlich ausgefüllt. Wegen dieser Unschärfe eignet sich der Begriff ’Neue Rechte‘ grundsätzlich nicht für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden, denn er erlaubt keine hinreichend klare Trennung zwischen extremistisch und nichtextremistisch." (…)

Im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums über das Jahr 1997 (erschienen 1998) stand unter "VII. Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus" zu lesen: "Nicht alle rechtsextremistischen Intellektuellen formulieren die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates eindeutig und offen. Als Protagonisten einer im öffentlichen Meinungsspektrum kaum beobachteten geistigen Strömung präsentieren einige von ihnen ihre Positionen taktisch gemäßigt und scheinbar verfassungskonform, indem sie die Grenze zwischen konservativen und extremistischen Positionen verwischen. Daraus erklärt sich, daß Rechtsextremisten oftmals Gemeinsamkeiten mit demokratischen Konservativen in verschiedenen Themen hervorheben. Dies betrifft z. B. die Kritik an der sogenannten Wehrmachtsausstellung (vgl. Kap. V, Nr. 1.1.) oder die Vorbehalte gegen eine ›multikulturelle Gesellschaft‹. Beleg für eine erfolgreiche Anwendung dieser Taktik sind verschiedene Sammelbände mit Beiträgen von konservativen und rechtsextremistischen Autoren. Beispiele dafür sind der im ›Hohenrain-Verlag‹ erschienene Band ›Europa ja – aber was wird aus Deutschland?‹ und der im ›Arndt-Verlag‹ erschienene Band ›Wagnis Wahrheit – Historiker in Handschellen‹. Hierdurch zeigt sich eine in ihrer Wirkung bedenkliche Erosion der Abgrenzung zwischen Demokraten und Extremisten. Zu ihr trägt auch die Berliner Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT bei. Dort erscheinen sowohl Texte von Demokraten als auch von in- und ausländischen Rechtsextremisten."

Dieser anonyme Text, der in Inhalt und Wortwahl an den wissenschaftlichen Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz Armin Pfahl-Traughber erinnert, schreibt also den Rechtsextremisten eine Camouflage zu und unterstellt gleichzeitig den Konservativen, darauf »hereinzufallen", also dummerweise den extremistischen Charakter ihrer Mitautoren zu übersehen: So stellte es auch der NRW-Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der "Selbstbewußten Nation" dar. Zugleich betreibt er eine Negativwerbung gegen zwei Bücher, die nicht nur die wirklichen oder angeblichen Rechtsextremisten unter den Beitragsautoren trifft, sondern eine größere Anzahl konservativer Demokraten, die sich argumentativ mit Problemen unserer Zeit auseinandergesetzt haben. (…)

Diese alleinige Diskriminierung der Konservativen – es gibt in der Tat nirgendwo ein Kapitel "Intellektualisierung des Linksextremismus", ebensowenig eines über die "Neue Linke" (bis 1989 ein Thema), ein "Brückenspektrum" oder ein "Scharnier" zwischen Linken und Linksextremisten in den Verfassungsschutzberichten – liegt weniger in der Bedeutung einer rechtsgerichteten Gefahr für den Verfassungsstaat Deutschland begründet als vielmehr in einer Linksverschiebung des politischen und publizistischen Spektrums. (…)

Das kommt auch bei der Lektüre des Verfassungsschutzberichts NRW über das Jahr 1997 zum Vorschein, wo unter "1.1.2. Rechtsextremistische Kampagnenthemen" fünf Aktionsfelder beschrieben wurden:

• "Schutz der Wehrmacht vor angeblicher ’Verunglimpfung‘ durch die Ausstellung ’Vernichtungskrieg – Die Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944‘

• Schutz der Bundeswehr vor angeblicher Verunglimpfung nach rechtsextremistischen Vorfällen

• die Europäische Union und die Einführung des Euro

• Schüren von Ängsten vor dem Islam und den Moslems

• die Rechtschreibreform"

Dem ließe sich entgegnen, daß diese Themen keineswegs alleine rechtsextremistischer Natur sind, sondern konservativen und patriotischen Ursprungs, und daß sich die demokratische Rechte in den Debatten von der politischen Klasse im Stich gelassen fühlt. Nun nutzten auch Rechtsextremisten, etwa die NPD, diese Diskussionen zu Stellungnahmen. Doch hieße es, die Rechtsextremisten gewaltig zu überschätzen, ja ihnen in ihrer Eitelkeit zu schmeicheln, wollte man ihnen eine Urheberschaft an mehreren "Kampagnen" unterstellen: Dies klingt überdies wie eine Verschwörungstheorie, die ja eher den traditionellen Rechtsextremisten zu eigen ist. In Wirklichkeit sahen viele Bürger die Ostfrontsoldaten in ihrer Gesamtheit eines Massenverbrechens beschuldigt, die Bundeswehr durch eine Nachrichtenwelle einschließlich jahrelang zurückliegender Vorfälle »generalverdächtigt«, den Euro als ebenso »unnötig« wie die Rechtschreibreform, praktizierende Muslime eher mit Befremden als mit Wohlwollen; doch ist es schwierig, sich zu diesen Themen in der publizistisch-politischen Debatte, mehr noch im Parlament, Gehör zu verschaffen, denn auch die CDU-Führung hat sich in manchen Debatten an eine linke Mitte angepaßt. Als am 1.3.1997 in München alte und junge NPD-Aktivisten aufmarschierten (wie es der Verfassungsschutzbericht im Zusammenhang mit den Kampagnenthemen erwähnt), war das lediglich ein Sprung aufs Trittbrett, in Ermangelung eigener zugkräftiger Ideen und realistischer Problemlösungsansätze auf nahezu allen Politikfeldern. In einem Satz: Durch diese Konstruktion rechtsextremistischer Kampagnenthemen werden Politiker und Publizisten der rechten Mitte gemahnt, sich zeitgeistkonform zu halten, da sie sich ansonsten angeblich der Begünstigung des Rechtsextremismus schuldig machen. So arbeitet auch der Verfassungsschutz einer stärker multikulturellen Gesellschaft zu, die mit Geschichte oberflächlich umgeht – zuungunsten früherer Generationen, die sich nicht mehr wehren können: Er stigmatisiert Themen. Den politisch-publizistischen Debatten werden Schranken gesetzt, Konservative werden zum Schweigen aufgefordert.

Und hier kommen wir zurück zu Pfahl-Traughber, der seit 1994 als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Referat Rechtsextremismus einen ernstzunehmenden Einfluß auf die Bestimmung von Verfassungsfeinden hat. Eine seiner Thesen lautet, es gebe seit den 70er Jahren »Brücken zwischen Rechtsextremismus und [dem demokratischen] Konservatismus", die es ebenso zu beschreiben gelte wie die »Erosion der Abgrenzung« zwischen der demokratischen und der kommunistischen Linken, wie sie Wolfgang Rudzio mit Blick auf linke Kampagnen gegen "Berufsverbote" und NATO-Nachrüstung beschrieb. Pfahl-Traughber untermauert seine Theorie vom rechtsextremistischen "Brückenspektrum" allein durch einige Beispiele gemeinsamer Veröffentlichungen der demokratischen und der antidemokratischen Rechten, also publizistisch-organisatorisch: GRECE (die französische Nouvelle Droite um Alain de Benoist), dessen "deutscher Ableger" namens Thule-Seminar, Criticón, "Handbuch der deutschen Nation", Wir selbst, JUNGE FREIHEIT und einige konservative Verlage. Einen gemeinsamen Kampf gegen das Grundgesetz oder auch "nur" gegen einzelne Institutionen und Grundrechte kann er nicht nachweisen. Er lokalisiert das "Brückenspektrum" lediglich in einigen Zeitschriften und Verlagen, in denen Konservative gelegentlich zusammen mit »Rechtsextremisten« publizieren, verweist aber eine systematische Zusammenarbeit, wie sie die Antifa behauptet, ins Reich der Fabel. Unter "Rechtsextremismus« versteht Pfahl-Traughber »antidemokratische Auffassungen und Bestrebungen" wie "Nationalismus, Autoritarismus, Antipluralismus und die Ideologie der Ungleichheit". Eine Definition von "rechts" und "konservativ" fehlt, so daß sich der erstaunte Leser zwar eine gewisse Vorstellung von Rechtsextremismus im Pfahl-Traughberschen Sinne macht, aber nicht weiß, welch Geistes Kind die als "Brückenspektrum" gekennzeichneten rechten, konservativen oder rechtskonservativen Autoren sind. (…)

So fragt sich der Leser, was die Thematisierung überhaupt soll: Anscheinend macht Pfahl-Traughber viel rufschädigenden Lärm um nichts, wenn er vage Zusammenhänge andeutet, aber keine gemeinsamen Ziele und Methoden von Rechtsextremisten und Konservativen vorliegen, die Namen rar bleiben und Textbeispiele überhaupt nicht vorzufinden sind: Es wäre ja interessant zu wissen, ob sich die "Rechtsextremisten" tarnen oder offen gegen den Staat arbeiten. Statt dessen haben wir es mit einer gespaltenen Moral zu tun: Während nach "rechts" Ab- und Ausgrenzungsbeschlüsse nahegelegt werden, sind dergleichen gegenüber der Linken weit seltener oder gar nicht zu hören. Auch Pfahl-Traughber bleibt hier stumm. (…)

Im übrigen sei an dieser Stelle auf bedenkliche Oberflächlichkeiten in einer anderen Schrift Pfahl-Traughbers hingewiesen: Daß er dem Historiker Karlheinz Weißmann nachsagt, jener halte sich mit "eindeutig rechtsextremistischen Äußerungen zurück" und verberge so seine wahre Gesinnung auch aus beruflichen Erwägungen (er ist Gymnasiallehrer), ist eine schwere Beschuldigung, die auf Vermutung und Verdacht anstelle von Beweisen beruht. Auch der Rechtsanwalt und Autor Klaus Kunze wird anhand seines Schrifttums der Neuen Rechten zugeordnet. Pfahl-Traughber selbst veröffentlicht im Informationsdienst Blick nach rechts, der seinerseits auf den Internet-Seiten Links sowohl zu zahlreichen orthodox antifaschistischen, verfassungsfeindlichen Gruppen und Druckerzeugnissen als auch zum Verfassungsschutz und zum NETPOL der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung anbietet und sowohl von der linksradikalen Szene als auch von seriösen Medien als Quelle zum Thema "Rechte und Rechtsextremisten" genutzt wird.

Weiter als Pfahl-Traughber geht Wolfgang Gessenharter: Die "Neue Rechte", inhaltlich wesentlich auf Carl Schmitt fixiert, bilde als eigenständige, durchaus bedeutende Gruppe ein »Scharnier« zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus in organisatorischer und ideologischer Hinsicht. Er nennt als Beispiele nicht nur die JUNGE FREIHEIT, sondern findet auch entsprechende Journalisten in der Welt und der FAZ. Die These vom Scharnier hat m. E. ihren Ursprung in der radikalen Linken, die in den 70er Jahren Franz Josef Strauß, Alfred Dregger und Hans Filbinger in einen Zusammenhang mit Rechtsradikalismus brachte, weil diese Politiker einen kompromißlosen, strikt konservativen Kurs eingeschlagen hatten. Kontakte mit in- oder auch ausländischen Rechtsradikalen sowie eine NS-nahe Gesinnung in der Vergangenheit wurden ihnen vorgeworfen, wobei die Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Staatssicherheit den einen oder anderen bereitwilligen Abnehmer bei großen Zeitschriften vorfand, wenn es etwas gegen diese Christdemokraten zu verleumden galt. Wir hatten und haben es in der Tat mit einer "Erosion der Abgrenzung" zu tun, und zwar nach links: Gessenharter publizierte ebenso wie seine Mitarbeiter Birzer und Fröchling bei Jens Mecklenburg im Sammelband "Rechtsextremismus in Deutschland", dessen Inhalt geeignet ist, das Ansehen der deutschen Demokratie im In- und Ausland zu beschädigen: Einem unkritischen Leser jenes 1.000-Seiten-Sammelbandes wird nämlich der Eindruck nahegelegt, der Rechtsextremismus habe beste Verbindungen in Parlamente und Verwaltungen und verfüge damit über eine Machtstellung ohnegleichen. Während jene Anthologie an vielen Stellen Verfassungsschutzbehörden und Verfassungsschutzberichte als Quellen nennt, zahlreiche Antifa-Gemeinschaften als Ansprechpartner auflistet, ist es nicht vorstellbar, daß eine Publikation wie die JUNGE FREIHEIT, Gegengift oder Criticón die "Jungen Nationaldemokraten" bzw. eine lokale neonationalsozialistische Gruppe als Experten für Linksextremismus empfehlen. Bei Mecklenburg, unterstützt durch Textbeiträge von Beamten der Bundeswehr-Universität Hamburg, geht es also nicht, wie bei Backes und Jesse, um eine gleichermaßen nach rechts und links schauende Extremismusforschung, sondern um ein Bündnis gegen "rechts", einen Antifaschismus im linksliberalen (also nicht im antikapitalistisch-altkommunistischen) Sinne, der sich nicht nur in Textveröffentlichungen, sondern auch in gemeinsamen Tagungen versinnbildlicht. (…)

Der Kontakt von Konservativen zu Rechtsradikalen (ist) weit seltener und durchweg ohne Einfluß: Während nämlich die Bündnispolitik für Kommunisten seit Jahrzehnten eine entscheidende, theoretisch fundierte Rolle spielt (eine systematische Darstellung haben wir mit Rudzios "Erosion der Abgrenzung" vorliegen), ist die Rechte traditionell eigenbrötlerisch, gelegentlich zerstritten und eher auf kleine, sich voneinander abgrenzende Zirkel begrenzt. (…)

Eine "Brücke", über die die Rechtsextremisten zu publizistischem oder gar politischem Einfluß "marschieren", ist m. E. nicht erkennbar. Denn die von Gessenharter, Pfahl-Traughber und anderen ’verdächtigten‘ Konservativen verfaßten nie ein gemeinsames Thesenpapaier, mit REP- oder gar NPD-Leuten, im Gegensatz zu jenen hochrangigen Sozialdemokraten, die 1987 trotz entscheidender ideologischer Differenzen mit der SED und ungeachtet einer hocheffizient gegen die Bundesrepublik arbeitenden "Hauptverwaltung Aufklärung" auch Gemeinsamkeiten festzustellen glaubten. (…)

Wir haben gesehen, daß der Verfassungsschutz dem Rechtsextremismus eine Rolle zuweist, die dieser nicht besitzt, indem er eine konservative Kritik an der politischen Klasse und dem "Zeitgeist" mit einem Angriff auf den "Wesenskern der freiheitlich demokratischen Grundordnung" (deren Beeinträchtigung durch Gewalt und Gewaltpropaganda in der Tat extremistisch ist) verwechselt. Ebenso ist die Skepsis der Konservativen gegenüber einer politischen Einigung Europas und einer vermehrten Zuwanderung, verknüpft mit einer weitreichenden rechtlichen Integration ausländischer Staatsbürger, nicht notwendigerweise Ausdruck von Nationalismus und damit verfassungsfeindlichem Rechtsextremismus. Wenn dies aber der Verfassungsschutz mittels der geistig-politischen Auseinandersetzung gegen "rechts" suggeriert, wirkt er verhetzend auf die Öffentlichkeit und beleidigend ehrenwerte, demokratische Konservative.

Diese fahrlässige oder gezielte Aussschaltung der Konservativen und Rechten aus den politischen Debatten könnte sinnvollerweise abgelöst werden durch eine Konzentration der Verfassungsschutzberichterstattung auf

• objektiv nachweisbare politisch motivierte Gewalttaten und Gewaltdrohungen einerseits,

• Angriffe gegen den Wesenskern der freiheitlich demokratischen Grundordnung einschließlich Verstößen gegen das Grundgesetz auch durch politische Akteure in Parlament und Verwaltung andererseits.

Für die Anhänger einer streitbaren Demokratie stellt sich nicht zuletzt die Frage:

• Wo und wie werden Extremisten durch den Staat begünstigt? Gibt es irgendwo finanzielle Unterstützung für Projekte, die einer staatsfeindlichen Tätigkeit Vorschub leisten?

• Solidaritäts- oder Verständnisbekundungen, wie es sie von weit links stehenden Publizisten und Politikern gelegentlich für linksextremistische Gewalttäter gibt, sind in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen. Desgleichen gibt es von demokratischen Rechten für Rechtsextreme nicht, eher schon die Forderung nach harter Bestrafung jeglicher Gewalt.

 

Stefan Winckler ist zusammen mit Hans-Helmuth Knütter Herausgeber des Sammelbandes "Der Verfassungsschutz. Auf der Suche nach dem verlorenen Feind" (Universitas Verlag, München, 444 Seiten, geb., 49,90 DM), der soeben erschienen ist. Bei seinem Text handelt es sich um einen Auszug daraus.


 
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