© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Die zwei Gesichter des Balkans
Carl Gustaf Ströhm

Lange vor der kommunistischen Zeit sprach man von den "zwei Gesichtern" (und den zwei Wahrheiten) des Balkans. Der selbe bosnische oder serbische Bauer, der bei Tage vor dem türkischen Beamten katzbuckelte, holte nachts seine Flinte hervor und schoß aus dem Hinterhalt auf ihn. Nicht anders war es dann später im Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht.

Diese doppelte Wahrheit gilt auch heute, da sich Bosnien-Herzegowina fast in ein "Protektorat" oder eine "Kolonie" des Westens verwandelt hat. Während westliche Emissäre Optimismus über die Fortschritte Bosniens in Richtung Demokratie und "Multikulti" versprühen, meldet sich die "zweite Wahrheit" zu Wort, die hinter Nebelschwaden von Ignoranz und Schönfärberei verborgen ist.

So hat der katholische Bischof der Diözese Mostar, Ratko Peric – ein kluger und aufrechter Seelenhirte – dieser Tage (in krassem Widerspruch zu den Sprüchen westlicher Politiker) erklärt, Bosnien-Herzegowina sei heute mehr denn je "ein Land der Gesetzlosigkeit und des Terrors". "In der Heimat des Bischofs Peric", schreibt dazu der Kolumnist der in Split erscheinenden Zeitung Slobodna Dalmacija (Freies Dalmatien), "wird zur Treibjagd auf die Kroaten geblasen. Wie in den 50 Jahren des Kommunismus werden die Kroaten wieder die Gefängnisse füllen".

Man sei jetzt Zeuge, wie "maskiere Geheimdienstler des gestrigen Kriegsgegners mit voller Unterstützung des Besatzungsbehörden der Großmächte sowie des kroatischen Marionettenregimes", die Kroaten "wie Freiwild" verfolgen. Der angeblich beendete Krieg werde in Zentral-Bosnien, wo die Moslems auf engstem Raum 3.056 Kroaten ermordeten, "mit anderen Mitteln fortgesetzt".

Dieser Tage drangen schwerbewaffnete und maskierte bosnische Spezialpolizisten (die der muslimischen Zentralmacht in Sarajevo unterstehen) in Mostar in ein kroatisches Kaffeehaus ein und verhafteten einen Gast, der dort friedlich seinen Espresso trank. Der Mann – ein Kroate – wurde auf brutalste Weise zusammengeschlagen. Beim anschließenden Verhör wurden ihm eine Rippe gebrochen und acht Zähne ausgeschlagen – bis sich dann nach vier Stunden herausstellte, daß er unschuldig war. Der UNO-Sprecher in Sarajevo sagte, es habe sich um eine "gesetzliche Aktion gegen den Terrorismus" gehandelt.

Auch in der Republik Kroatien geht die Zagreber Regierung – die von der FAZ als "linksliberal" bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber neo-kommunistisch durchsetzt ist – gegen angebliche "Kriegsverbrecher" vor. So wurden mehrere hohe Offiziere der kroatischen Armee auf dramatische Weise verhaftet, wobei wiederum vermummte Spezialpolizisten Wohnungen umstellten und die "Delinquenten" in Handschellen abführten. Offenbar geht es darum, die Verhafteten dem internationalen Kriegsverbrechertribunal im Haag auszuliefern.

Ein Schönheitsfehler ist nur, daß die derart Vorgeführten bisher als Helden des Befreiungskrieges galten. Während der aus der KP hervorgegangene Ministerpräsident Racan von "Grüppchen" sprach, welche "den Kampf gegen das Verbrechen" behindern wollten, empörten sich viele Kroaten über die neue Liebedienerei der neuen kroatischen Regierung gegenüber dem Ausland. Bei einem der zahllosen Proteste erklärte der Bürgermeister von Sidenik, man sei verbittert, weil die serbischen und muslimischen Täter frei herumliefen und man nur die Kroaten nach den Haag schicke. Die "zweite" Wahrheit lautet, daß Kroatien sich in Richtung Instabilität bewegt – und Bosnien bleibt, was es immer war: ein Unruheherd.


 
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