© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
Vom Erdölpreis zur Dekadenz
Ökosteuer I: Der Planet Erde wird verheizt und der Ölhahn weiter aufgedreht / "Spaßgesellschaft" statt Nachhaltigkeit
Volker Kempf

Die Rohölpreise steigen in der Europäischen Union. Hauptursachen sind der erhöhte Ölpreis in US-Dollar gerechnet sowie der schwache Euro. Forderungen nach Senkung der Mineralösteuer werden laut und durch Blockadeaktionen der betroffenen Lastwagen- und Taxifahrer europaweit unterstrichen.

Die Politik ist unter Druck geraten. Bundeskanzler Gerhard Schröder macht nun Hoffnung auf Entlastungen der Spediteure, auf eine Erhöhung der Kilometerpauschale für Pendler sowie auf einen Heizkostenzuschuß. Das würde die umstrittene Ökosteuer von sechs Pfennig je Liter Benzin und Diesel konterkarieren. Aus Kreisen der Grünen werden Forderungen laut, auch den Flugzeugtreibstoff Kerosin zu besteuern, was bislang an einer europaeinheitlichen Regelung gescheitert ist. FDP, CSU und auch die von der ehemaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel angeführte CDU fordern, die Ökosteuer, die nach Angaben des ADAC jeden Autofahrer durchschnittlich 75 Mark im Jahr kostet, ersatzlos zu streichen. Um dem Nachdruck zu verleihen, fuhren Unionspolitiker am Wochenende demonstrativ auf den Spuren der Spaßgesellschaft mit Minirollern durch Berlin.

Ernsthafter ging es vergangene Woche auf der UN-Klimakonferenz in Lyon zu. Premierminister Lionel Jospin erklärte zur Eröffnung der Konferenz, Frankreich werde die Besteuerung von umweltverschmutzenden Aktivitäten bei gleichzeitiger Senkung der Sozialabgaben ausbauen. Ein klares Bekenntnis zu Ökosteuern. Im Widerspruch hierzu versprach die französische Regierung aber, die Steuer auf Diesel um bis zu 30 Prozent pro Liter zu senken und später sogar die Mineralölsteuer generell herabsetzen zu wollen.

Angesichts solcher Widersprüche zogen Teilnehmer und Experten der UN-Klimakonferenz am Wochenende ein ernüchterndes Fazit. Es habe keine "politische Initialzündung" zur Umsetzung des Protokolls von Kyoto gegeben, in dem sich die Industriestaaten 1997 erstmals völkerrechtlich verbindlich zu einer Reduzierung des Treibhausgasausstoßes um fünf Prozent gegenüber 1990 ausgesprochen hatten. Damit droht das UN-Klimaschutzprojekt endgültig zu scheitern, verkündete Hermann Ott vom Wuppertal-Institut für Klima.

Ein Dilemma tut sich auf: Wirtschaftswachstum und Umweltschutz können nicht unter ein Dach gebracht werden. Ein Brückenschlag sollte die Ökosteuer sein, die der Idee nach eine Steuerumlegung ist. Zusätzliche Einnahmen sollen zur Rentenfinanzierung herangezogen werden und eine Entlastung bringen. Menschliche Arbeitskraft wird hierdurch billiger und auf dem Markt konkurrenzfähiger. Wo Öl knapp ist und Arbeitskräfte reichlich vorhanden sind, da macht es wenig Sinn, Öl billig zu halten und Arbeitskräfte durch Abgaben und Steuern zu verteuern, so die unterstellte Logik.

Auch die Unionsparteien bekennen sich offiziell zum Klimaschutz. Helmut Kohl sprach sich als Bundeskanzler noch für eine Reduzierung des Treibhausgases Kohlendioxyd aus, das bei der Verbrennung von Benzin, Diesel und Kerosin frei wird. Wie aus Sicht der Opposition das Klimaziel von Kyoto, das auch Deutschland offiziell unterstützt, umgesetzt werden soll, wenn gleichzeitig die Fördermenge von Öl gesteigert wird oder gleich bleibt, ist ein Rätsel. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) wirft den Unionsparteien in einer Pressemitteilung denn auch vor, nach dem Motto zu handeln: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?!"

Ein Widerspruch bleibt, wo den Menschen niedrige Ölpreise versprochen werden, andererseits aber die Senkung des Treibhausgasausstoßes Kohlendioxyd sowie eine Schonung der Ressource Erdöl vorankommen sollen. Energieeinsparung ohne höhere Energiepreise bleibt ein unlösbarer Widerspruch. So bedeutet der von der OPEC zugestandene geringere Ölpreis als geplant eine Erhöhung der Fördermenge um 800.000 Ölfässer. Als wenig schmerzvollen Weg zur Energieeinsparung empfahl Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten hoher Benzinpreise. Durch die hohen Kraftfahrzeugsteuern in Deutschland entstehen für die Autohalter hohe Fixkosten und damit ein Anreiz, den PKW möglichst auch zu benutzen. Da die Kraftfahrzeugsteuer Länderhoheit ist, kam gegen Klimmt der Einspruch des Genossen Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland Pfalz: "Die Bundesländer haben keinen Spielraum, einseitig auf Einnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer zu verzichten." So interessiert Beck, dem im März 2001 eine Landtagswahl ins Haus steht, vor allem, daß der Bürger jede Mark nur einmal ausgeben kann und sich, wenn er mehr für den Kraftstoff hinlegen muß, weniger andere Dinge leisten kann. Beck setzt auf den kurzfristigen Erfolg und geht auf Distanz zu einer Politik aus Berlin, die den Nutzern von Kraftfahrzeugen wehtut. Immerhin hatte die SPD in der Kommunalpolitik immer dort besonders schwere Verluste eingestrichen, wo sich ihre Verkehrspolitik gegen die Interessen der Autofahrer richtete. Insofern ist auch die Aktion der CDU/CSU und FDP gegen die Ökosteuer durchaus erfolgversprechend. Die Opposition bietet ihrerseits aber keine Lösungsansätze, wie hohe wirtschaftliche Ansprüchen ohne höheren Ressourcenverbrauchs und Kohlendioxydausstoß realisiert werden sollen.

Letztlich geht es um die Frage, wofür unsere Kultur bereit ist, Geld auszugeben. Umwelt- wie auch Tierschutz sind Werte, die ihren Preis haben. Die Plünderung der natürlichen Ressourcen wie auch die Tierquälerei in der Intensivtierhaltung ist also Folge dessen, daß den natürlichen Energieressourcen für unsere Maschinen (Erdöl) wie auch für unsere Leiber (das Fleisch der leidensfähigen Tiere) kaum ein Eigenwert beigemessen wird. Der von Friedrich Nietzsche vor über 100 Jahren diagnostizierte Nihilismus, mit dem alle Werte gen Nichts entwertet werden, breitet sich aus. Den Urlaub in Übersee anzutreten, ein größeres Haus zu besitzen, die aktuellste der immer schneller wechselnden Modeerscheinungen zu tragen und ein möglichst potentes Auto zu fahren, scheinen die letzten Leitwerte zu sein, denen alles untergeordnet wird. Einem Geschichtswissenschaftler aus blühender Zeit kann dies weniger als kultiviertes Verhalten erscheinen, was da unsere Zivilisation an den Tag legt. Überfluß macht eben dekadent. Bleibt mit Oswald Spengler zu schließen, der 1923 die Vorahnung hatte: "Ich sehe – nach 2000 – ... Verkehrsgedanken, die uns heute als Wahnsinn erscheinen würden."


 
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