© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
WIRTSCHAFT
Pfeifen auf dem letzten "Verdi"-Loch
Bernd-Thomas Ramb

Die Einzelgewerkschaften ÖTV, DAG, HBV, Post und IG Medien planen die Supergewerkschaft Verdi, Abkürzung für Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft. Der charmante Bezug auf den italienischen Opernkomponisten sollte eigentlich die Zustimmung der hemdsärmeligen Altgewerkschafter begünstigen.

Ernste Bedenken gegen Verdi bestehen nicht etwa beim Bundeskartellamt, das im vergleichbaren Fall einer Firmenfusion sofort eine Vernichtung des Wettbewerbs vermuten würde. Der Widerstand bildet sich vielmehr in den Reihen der Gewerkschaften selbst. Die meisten Einzelgewerkschaften sind personell überbesetzt, die Relation zwischen konstanten Funktionärs- und sinkenden Mitgliederzahlen aus den Fugen geraten. Fusionen aber folgen stets dem Hauptmotiv einer Kostenreduktion, insbesondere einer Verringerung der Belegschaft – für Gewerkschafter ein traditionell unüberwindbare Widerstandslinie. Ihre reflexartige Aversion gegen Unternehmensfusionen trifft sie nun selbst.

Andererseits können die Gewerkschaften nicht mehr so weiterwirtschaften wie bisher. Die schrumpfende Mitgliederbasis trägt nicht länger den teuren Oberbau. Vor allem aber ist die Zersplitterung des komplexen Dienstleistungsgewerbes in zahlreiche Detailgewerkschaftsvertretungen nicht mehr zeitgemäß. Neue Dienstleistungen, insbesondere in der Computer-Branche, entziehen sich sogar der traditionellen Gewerkschaftsvertretung. Die Dienstleistungsgewerkschaften vertreten somit einen veralteten Produktbereich. Mit der Fusion wird daher nicht nur die Hoffnung auf Effizienzverbesserung, sondern auch auf eine Produkterneuerung verbunden. Gelingt dies Verdi nicht, ist für die veralteten Dienstleistungsgewerkschaften so oder so das letzte Lied erklungen.


 
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