© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
Preußischer Klassizismus
Ausstellung: Friedrich August Stüler und Potsdam – Der Architekt des Königs Friedrich Wilhelm IV.
Wolfgang Saur

In sein noch immer lesenswertes, geistvolles Buch "Der preußische Stil" (1916) hat Arthur Moeller van den Bruck seinerzeit auch ein Kapitel über Potsdam aufgenommen. Es beginnt lapidar mit den Worten: "Potsdam ist fritzisch. Die Seele dieser Stadt ist die Seele Friedrichs des Großen ..." Diesem apodiktischen Urteil scheint sich die brandenburgische Tourismusindustrie angeschlossen zu haben. Allenthalben bemerkt man dort eine marketingstrategische Fokussierung des Publikumsinteresses auf den Helden des siebenjährigen Krieges und Philosophen von Sanssouci. Doch in ihm und Sanssouci erschöpft sich der historische Charakter von Potsdam mitnichten. Selbst in den sparsamen Jahrzehnten Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden bedeutende Kunstwerke in Berlin und Potsdam. Sie sind meistenteils angeregt und gefördert worden durch den kunstsinnigen Kronprinzen und nachmaligen Friedrich Wilhelm IV., den "Romantiker auf dem Thron".

Mehr als jeder andere ist er in Potsdam als Auftraggeber hervorgetreten und hat so der Stadt und ihrer Umgebung den italienischen Charakter verliehen. Wie sein Schwager, Ludwig I. von Bayern, war dieser vielleicht originellste und anziehendste Hohenzoller nicht nur als musischer Fürst mit den Künstlern persönlich befreundet, sondern auch in die Verwirklichung seiner Aufträge selbst kreativ involviert. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat den König deshalb anläßlich seines 200.Geburtstages 1995 mit einer großen Retrospektive "Friedrich Wilhelm IV. Künstler und König" umfassend gewürdigt. Die jüngsten Ausstellungsprojekte bilden dazu eine Weiterführung und Ergänzung.

Stilgeschichtlich erleben wir seit den Zeiten Knobelsdorffs bis in die späten Jahre des 1861 gestorbenen Friedrich Wilhelms IV. eine Abfolge der Perioden des Klassizismus, der dem Geist und seiner Ästhetik nach in besonderer Weise dem "preußischen Stil" zugehört, so wie der österreichische Barock der katholischen Kirche im Zeitalter der Gegenreformation. Seine Entwicklung ist mit einer Reihe großer Architekten verbunden: Langhans, den Gillys. Der ikonenhafte Entwurf des Sohnes für ein Grabmal Friedrichs des Großen, ein Schlüsselwerk, obschon niemals realisiert, wurde schließlich zu einer künstlerischen "Initiation" für Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), das preußische Universalgenie, in dessen Schaffen sich der Klassizismus zur Vollkommenheit entfaltet.

Seit Erscheinen der ersten umfassenden Monographie zu Schinkel (1924), über die großen Berliner Schinkel-Ausstellungen des Jahres 1981 bis zum Jahr 1997, in dem ein Autorenteam das Thema des preußischen Klassizismus zu einem gewissen Abschluß brachte mit der Studie "Architektur und Schönheit. Die Schinkelschule in Berlin und Brandenburg", hat die kunsthistorische Forschung diese Tradition sorgfältig aufgearbeitet. Im selben Jahr wurde der neben Ludwig Persius (1803–1845) wichtigste Schinkel-Schüler in Berlin und Preußen, Friedrich August Stüler (1800–1865), von Eva Börsch-Supan in einem umfassenden Werk gewürdigt. Ihre Forschungen bilden die Grundlage zu der jetzt in der Orangerie gezeigten Ausstellung, die den "Baumeister des Königs" zum Anlaß seines 200. Geburtstages ausführlich vorstellt.

Neben Friedrich Wilhelms christlichem Weltbild ist für seine ästhetisch-humanistischen Ideen vielleicht nichts so einschneidend gewesen wie seine Liebe zu Italien. Schon der Kronprinz verzehrte sich in Sehnsucht nach dem mediterranen Bildungsland, bis sein Vater ihm 1828 endlich die Reise nach Süden gestattete. Diese und weitere Italienreisen sind von der Stiftung in einer eben zu Ende gegangenen Ausstellung mit italienischen Aquarellen in den Römischen Bädern atmosphärisch-dicht rekonstruiert worden. Gerade sie zeigte, wie sehr alles, was in Potsdam entstand, auf die italienischen Erfahrungen und künstlerischen Vorbilder dort zurückgeht.

Nicht zuletzt trifft das auf den großartigsten Bau zu, den der König je ausführen ließ und der zur letzten eigentlichen Palastanlage der Hohenzollern werden sollte: die Orangerie. Sie zeigt uns mit ihrer weitläufigen Erhabenheit eine neubelebte, monumentale Renaissance. In der Palladio-Motivik des klaren Säulen- und Bogensystems, vor allem der wuchtigen Doppelturmanlage des Mitteltraktes, deutet hier eine ausdruckstarke Architektursprache das klassische Formenvokabular noch einmal neu und verwirklicht somit, nach und neben Schinkels mehr "antikisch", griechischer Formgebung, eine letzte eigenschöpferische Gestalt des preußischen Klassizismus. Hier wird jetzt auch die reiche Dokumentation zu Stülers Biographie und künstlerischem Wirken präsentiert.

Nach Schinkels Tod (1841) ernannte der König Persius und Stüler zu seinen beiden persönlichen Architekten und wies dem ersten die Potsdamer, letzterem die Berliner Aufgaben zu. Doch als bald auch Persius verstarb (1845), wurde Stüler in dessen Projekte in wachsendem Maß eingebunden. So ist er neben seiner Arbeit in den preußischen Provinzen und Berlin auch hier, hauptsächlich in dem Zeitraum zwischen 1848 und 1860, vielfältig tätig gewesen. Die Liste seiner Entwürfe in Potsdam ist bedeutend; sie umfaßt Neu- und Umbauprojekte wie auch Rekonstruktionsvorhaben

Im ersten Teil der Ausstellung ("Personen") gibt es Biographisches zu sehen. Neben Stüler selbst steht hier natürlich der König im Mittelpunkt. Das zeigt sich beim anschließenden Rundgang: Die Entwicklungsphasen fast jedes Projekts sind dokumentiert durch Handzeichnungen des Monarchen: Aufrisse, Grundrisse etc., der vom Beginn bis zum Abschluß die Arbeiten kreativ zu führen verstand. Stüler hatte dann die Planungen vertieft auszuarbeiten und zu konkretisieren. 4.500 Skizzenblätter Friedrich Wilhelms IV. sind so in die Archive der Stiftung gekommen.

Der zweite Teil ("Entwürfe") gliedert sich in vier Segmente: 1) Entwürfe für den Park Sanssouci, 2) für den Neuen Garten, 3) für die Stadt Potsdam und schließlich 4) Kirchenbauten für Potsdam und Umgebung. Gerade der letzte Aspekt ist von großer Bedeutung, ließ der christliche Monarch doch 300 Kirchen während seiner Regierungszeit erstellen, was Stüler, seit 1854 Leiter des staatlichen Kirchenbauressorts, direkt betraf. Rund 100 neue Kirchenbauten gehen auf seine Planung zurück, an anderen war er maßgeblich mitbeteiligt, so etwa beim Komplex der Friedenskirche. Gerade diese klosterähnliche Anlage, das sakralkünstlerische Meisterwerk Potsdams, zeigt das romantisch inspirierte ästhetische Programm, dem der König folgte. Diese Konzeption sah generell vor, "Architektur harmonisch in die Landschaft einzubinden und malerisch zu gestalten". So legte der Gartenarchitekt Lenné einen künstlichen See an, in dem sich Basilika, Campanile und Säulengalerie malerisch widerspiegeln.

Viele Entwürfe blieben Projekte, andere wurden nur teilweise realisiert. Doch zeigt die Ausstellung, wie intensiv der König und seine Mitarbeiter bei jedem Detail um eine endgültige künstlerische Lösung gerungen haben. All das läßt sich jetzt, anhand von Ausstellung und Katalog, minutiös nachvollziehen. Und immer blieb der Monarch selbst federführend, "unser aller Meister", wie Ranke bewundernd sagte.

Dort wo sich normalerweise der Audienzsaal eines fürstlichen Schlosses befindet, ließ Friedrich Wilhelm einen ungeheuren "Raffael-Saal" im Mitteltrakt der Orangerie einbauen. Dieser hatte die vielen Kopien des RenaissanceGenies aufzunehmen und sollte zudem eine pädagogische Funktion der ästhetisch-moralischen Bildung für "meine lieben Potsdamer" übernehmen. Der ehemals fürstliche Repräsentationsraum weicht hier dem humanistischen Konzept eines Museumsraumes. Ein altmodischer Museumsraum mit Kopien nach Raffael mag für heutige Begriffe etwas Muffiges haben, aber die Parks, Schlösser, Villen und Kirchen der preußischen Könige sind alles andere als muffig. Sie legen Zeugnis ab vom einstigen europäischen Ausblick dieses mutigen Staates, von seinem künstlerischen und menschlichen Rang. In der kleinen Utopie der Parklandschaft an der Havel wurde eine vertiefte Idee des menschlichen Daseins in den klaren Linien einer doch komplexen Formensprache ausgedrückt. Das Resultat dieser Gestaltung, ein heroisches Idyll, ist zugleich einfach und kompliziert, Schritt für Schritt überwältigend durch inneren Reichtum und geistige Prägnanz. Wer durch Potsdam und seine Gärten wandert, fühlt sich deshalb glücklich und beschenkt: Er weiß, alles, was er sieht, verdankt sich einer einzigartigen Potenz. Sie lebt in ihren Gestaltungen fort, und vielleicht ist dies königliche Arkadien am Ende ja doch noch zu einer unspektakulären pädagogischen Provinz geworden, in der auch eine Sinnstruktur des Lebens vorbuchstabiert wird. So ist die Absicht des Romantikers auf dem Thron vielleicht doch aufgegangen.

Die Ausstellung in der Orangerie im Park Sanssouci ist noch bis zum 15. Oktober zu sehen. Der Katalog kostet 25 Mark.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen