© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
Geopolitik
Die Wiederentdeckung einer verfemten Denkfigur
Ulrike Imhof

Mit der Öffnung der Grenzen 1989 ist das alte, offene Europa wiedererstanden – und damit die Notwendigkeit, deutsche Außenpolitik unter geographischen und geostrategischen Gesichtspunkten zu betrachten. Geopolitik wird wieder zu einem Thema."

Der Begriff Geopolitik, so erinnert Manfred Görtemaker an ein vor 1989 verhängtes Denkverbot, sei nach 1945 "geächtet" worden. Weil die Deutschen im pazifizierten Ost-West-Korsett auf ewig gefangen schienen und die an Karl Haushofers Namen gebundene, NS-kontaminierte geopolitische Denkrichtung als welthistorisch widerlegt galt, mußte sich jeder Rekurs auf räumliche Determinanten politischen Handelns in der Bonner Windstille bizarr ausnehmen.

Nun, inmitten heftiger Globalisierungsdebatten und Spekulationen über das Gesicht des 21.Jahrhunderts, kehrt auch hier das Bewußtsein für Lage und Raum, Territorien und Grenzen zurück. Das, so Görtemaker, eröffne zugleich Freiräume für eine "neue, kritische Geopolitik".Obwohl dabei deren "Renationalisierung" nicht zu fürchten sei, könne es zur Minimierung des "Mißbrauchsrisikos" nicht schaden, sich die "unheilvollen" Verzahnungen geopolitischer Strategie und außenpolitischer Praxis zwischen 1890 und 1945 zu vergegenwärtigen. Dafür sind in diesem Band die aus ressentimentalen Publikationen bekannten Historiker Michael Fahlbusch ("Geo- und Ethnopolitk vor 1933"), Dirk van Laak ("Von Alfred T. Mahan zu Carl Schmitt") oder Rainer Sprengel ("Geopolitik und Nationalsozialismus") zuständig. Was die beiden Bände trotz solch moralisierender, im Faktischen dürftig fundierter Granteleien als – im Aktionärsdeutsch gesprochen – strong buy empfehlen, sind die kompendiösen Referate über das geopolitische Denken in Italien, Frankreich, Israel und den USA. Hervorheben muß man hier Hans-Jürgen Schröders Rückblicke auf die "Globalisierung amerikanischer Ordnungsvorstellungen" bis 1945 und Stefan Fröhlichs Abriß: "Geopolitisches Denken und amerikanische Strategiepolitik während des Kalten Krieges".

 

Irene Diekmann et al. (Hg.): Geopolitik. Grenzgänge im Zeit- geist.Verlag für Berlin und Bran- denburg,Potsdam 2000, Zwei Bände, 711 Seiten, Abb., 89 Mark.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen