© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000


Wahltheater
von Michael Wiesberg

Ganz gleich wie die Präsidentenwahl in Jugoslawienausgeht, sie ist schon jetzt ein Musterbeispiel für den "Wertekolonialismus" (Schüsslburner) der "internationalen Staatengemeinschaft". Bereits vor der Wahl kam es zu massiven Einmischungen der Staatengemeinschaft, als den Serben ein Ende der Sanktionen in Aussicht gestellt wurde, wenn sie den amtierenden Präsidenten Slobodan Milosevic endlich in die Wüste schickten. Dieser wurde und wird in hiesigen Kreisen immer wieder als "Diktator" oder als "Anti-Demokrat" hingestellt. Es scheint sich aber bei Milosevic um einen Diktator sui generis zu handeln, läßt dieser doch Wahlen zu, die er unter Umständen verlieren könnte.

Machen wir uns doch nichts vor: das Zerrbild, das von Milosevic in westlichen Medien gepflegt wird, hat mit der Realität nichts zu tun. Es geht der "Staatengemeinschaft" vielmehr darum, einen unbotmäßigen Politiker, der im "Hinterhof" der "westlichen Wertegemeinschaft" meint, sein eigenes (nationales) Süppchen kochen zu können, zu kujonieren. Dies geschieht unter dem Vorwand, den demokratischen Kräften in Serbien zum Durchbruch verhelfen zu wollen. Das Ergebnis steht für die Staatengemeinschaft dabei im vorhinein fest: Milosevic kann in einer freien Wahl nicht gewinnen. Gewinnt er dennoch, kann dies nur durch Wahlfälschung geschehen sein. Bleibt er trotzdem an der Macht, wird das "Gefängnis Serbien" (Robin Cook) mittels der Wertegemeinschaft noch undurchlässiger, als es sowieso schon ist. Nicht Milosevic hat deshalb zu verantworten, daß diese Wahlen zur Farce geworden sind, sondern die "internationale Staatengemeinschaft".


 
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