© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
PRO&CONTRA
Nationalfeiertag 9. November?
Hans Eberhard Zahn / Detlef Kühn

Ganz gewiß ist der 3. Oktober ein Tag zum Feiern: Ging doch für Deutschland endlich ein Traum in Erfüllung, verschwand doch nach 40 Jahren der totalitäre Spuk "DDR" von der Weltbühne. Seine Initialzündung hatte er schon 11 Monate vorher: am 9. November. Dieser Tag gibt uns deshalb eigentlich noch mehr Anlaß zur Freude als der offizielle Wiedervereinigungstag. Zugleich aber ist der 9. November über den Mauerfall hinausgehend geschichtlich besonders bedeutsam. Kein Tag mahnt uns dringlicher zur Rückbesinnung und zur Einkehr als dieser.

Mit dem Mauerfall wurde an diesem Tag der Untergang der zweiten deutschen Diktatur dieses Jahrhunderts eingeleitet. Wir alle begrüßten diese schon längst nicht mehr erwartete Wende mit so großer Freude und Begeisterung, daß die Erinnerung daran für die Zukunft bewahrt werden sollte. Nicht vergessen sollten wir aber auch die anderen für Deutschland bedeutsamen Ereignisse dieses Kalendertages: Auf den 9. November fällt auch die schändliche "Reichskristallnacht" als Auftakt der Judenvernichtung, an einem 9. November putschte einst Hitler in Bayern erfolglos gegen die Demokratie, an einem 9. November kapitulierte Deutschland und beendete damit die Schrecken des Ersten Weltkrieges.

Mit diesem Tag verbunden sind also Freude über die Einheit, Schmerz über Nazi-Untaten, Genugtuung über einen Sieg der Demokratie und Gedanken über Krieg und Frieden. Darum ist dieser Tag für Deutschland ein Datum, das in seiner Geschichtsträchtigkeit kaum überboten werden kann. Uneingeschränkt zu feiern ist zwar nur der Mauerfall, doch sollten wir gleichzeitig auch der anderen Geschehnisse dieses Tages gedenken, indem wir ernsthaft auf sie zurückblicken und aus ihnen Konsequenzen für die Zukunft ziehen. Wir brauchen den 9. November als Gedenktag, denn dieser Tag ist der wichtigste in der neueren deutschen Geschichte.

 

Hans Eberhard Zahn ist Diplompsychologe, saß sieben Jahre in DDR-Gefängnissen

 

 

Der 9. November wäre eigentlich ein gutes Datum für den deutschen Nationalfeiertag gewesen. Nicht, weil er mehrfach in der deutschen Geschichte eine Rolle gespielt hat, was es ermöglicht hätte, verschiedene historische Stränge in einem Tag zu bündeln. Auch nicht deshalb, weil es unser gut entwickelter Nationalmasochismus nahelegt, eigene militärische und moralische Niederlagen wie die Kapitulation von 1918 oder die "Kristallnacht" von 1938 auch noch zu feiern. Nein, natürlich überdeckt der Tag des Mauerfalls im Jahre 1989 alles, was auch sonst noch mit diesem Datum verbunden werden könnte. Die damals freigesetzten Emotionen haben den Deutschen schlagartig ins Bewußtsein zurückgerufen, was viele Angehörige der politischen Klassen in der Bundesrepublik und in der DDR erfolgreich verdrängt hatten, nämlich daß die Deutschen ein Volk waren.

So wäre also der 9. November ein durchaus geeignetes Datum gewesen, hätten die deutschen Politiker sich 1990 dafür begeistern können. Das war aber nicht der Fall, vor allem, weil man dem eigenen Volk die Erinnerung an diese nationale Emotion nicht gönnte und befürchtete, die Untaten der Nazis könnten darüber in Vergessenheit geraten. Schließlich machte es ja auch Sinn, den Tag der staatlichen Wiedervereinigung auf den 3. Oktober festzulegen, das nächstmögliche Datum, nachdem die 2+4-Gespräche die letzten völkerrechtlichen Hindernisse beseitigt hatten. Da zählte jeder Tag.

So symbolisiert der 3. Oktober hinreichend die endlich wieder errungene deutsche Einheit mit ihren Glücksmomenten, Hoffnungen und Problemen. Der bewegenden Ereignisse im Herbst 1989, als die Deutschen in der DDR in einer friedlichen Revolution das kommunistische System zum Einsturz brachten, könnten und müssen wir unabhängig davon gedenken. Aber man kann nicht alle paar Jahre für Deutschland einen anderen Staatsfeiertag suchen.

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.


 
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