© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Ein neuer Nomos der Erde
Das "1. Berliner Kolleg" diskutierte über Freiheit, Liberalismus und Globalisierung aus libertärer und konservativer Sicht
Hans-Peter Rissmann

Mit der übereinstimmenden Ablehnung weltweiter Konzentrations- und Zentralisierungs-prozesse und der damit einhergehenden kulturellen Nivellierung endete das ansonsten von kontroversen Debatten bestimmte "1. Berliner Kolleg". Zu der Podiumsdiskussion hatte das erst in diesem Frühjahr initiierte wissenschaftliche "Institut für Staatspolitik" gemeinsam mit der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT am 16. September nach Berlin eingeladen. Fast 100, überwiegend studentische Zuhörer hatten sich an einem Samstagnachmittag in einem Hörsaal eingefunden, um eine Podiumsdiskussion über das Thema "Freiheit – Gemeinsamkeiten und Gegensätze zwischen Liberalen, Libertären, Konservativen und der Nouvelle Droite" zu verfolgen.

Auf dem Podium begrüßte der Chefredakteur der JUNGEN FREIHEIT, Dieter Stein, Alain de Benoist, Journalist aus Paris und einer der maßgeblichen Vordenker der französischen Nouvelle Droite (Neuen Rechten), den Wiener Historiker Lothar Höbelt, der sich über die Entstehung freiheitlicher Parteien in Österreich habilitiert hat und als libertärer Vertreter auftrat, Roland Baader, ehemaliger Industriemanager und ein namhafter Verfasser von mehreren Büchern und Schriften, die dem klassischen Liberalismus verpflichtet sind, sowie mit dem Historiker Karlheinz Weißmann einen bedeutenden konservativen Publizisten.

In seiner Einleitung definierte Dieter Stein die Intention der Podiumsveranstaltung damit, daß er einen Klärungsbedarf darüber sehe, ob zwischen Liberalen und Konservativen Einigkeit über den Liberalismusbegriff bestehe. Für die Konservativen besonders in Deutschland sei "Liberalismus" ein polemischer Begriff, Liberalismus werde als ein Verursacher bzw. Symptom des Niedergangs und der Auflösung der europäischen, besonders der deutschen Kultur beschrieben. Angesichts dessen sei es dann doch verblüffend, wenn sich nun Vertreter der liberalen Schule in der Analyse der gesellschaftlichen Krise mit konservativen Autoren treffen. Dieter Stein stellte dem Podium die Frage, ob es möglicherweise notwendig sei, den "Liberalismus" als polemischen Begriff durch einen neuen abzulösen.

In ihren eingangs vorgetragenen Thesenpapieren traten dann jedoch zunächst wieder die wichtigsten Gegensätze zwischen den beiden Lagern hervor: Roland Baader stellt den freien Markt und die individuelle Freiheit nach klassisch liberalem Denken in den Mittelpunkt. Er erklärt, daß der "marktwirtschaftliche Wettbewerb nicht ’Kampf’, sondern – bei rechtsstaatlicher Bewahrung seiner Regeln – die einzig mögliche Form des friedlichen Ringens um die knappen Ressourcen der Erde " sei. Weiter erklärt Baader, daß "Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand nur in einer liberalen Welt möglich" sind, "alles andere ist permanenter Kriegszustand".

In eine ähnliche Kerbe schlug Lothar Höbelt, der deutlich machte, die Position der Rechten sei die liberale, nämlich die staatsferne. Der Liberalismus sei das sozialdarwinistisch herausgebildete, erfolgreichere Gesellschaftsmodell, mit dem man sich schlicht abzufinden habe. "Jedes Abweichen von dieser Linie ist ein Luxus", so Höbelt. Die Rechte solle "auf eine Rückkehr zu den Prinzipien des Kapitalismus setzen, wo Risiko und Verantwortung noch nicht im gegenwärtigen Ausmaß entflochten sind".

Demgegenüber griff Alain de Benoist den Liberalismus in seinem Thesenpapier scharf an: Indem der Liberalismus einen falschen Freiheitsbegriff, nämlich allein die Ideologie individueller Freiheit in den Mittelpunkt stelle und "gleichgültig gegenüber der Freiheit der Nationen, der Kulturen und der Völker" sei, "legitimiert er einen die soziale Bindung auflösenden Egoismus und zerstört unter der Wirkung des Individualismus die organischen Strukturen, die früher den natürlichen Rahmen zur Ausübung der Freiheiten bildeten". Den "sanften Handel" Adam Smiths bezeichnet Benoist als "Fiktion", dieser Begriff verschleiere "die politisch-strategische Dimension der Wirtschaftskriege".

Karlheinz Weißmann konstatiert, daß eine Gesellschaft nur dann einen Raum für die Freiheit öffnen könne, wenn es einen minimalen Grundkonsens gebe, "einen Zwang, der Gehorsam fordert, ohne die Instrumente der Macht zu präsentieren". Das Funktionieren eines liberalen Staates hänge "ganz und gar von drei illiberalen Bedingungen" ab: "einer aus der Tradition herkommenden Stabilität und Differenzierung ihres Gefüges, dem Konsens über alle Fragen, die der Diskussion entzogen bleiben müssen, und der Bereitschaft einer Mehrheit, sich von einer qualifizierten Minderheit regieren zu lassen und insoweit ihre ’Freiheit’ nicht in Anspruch zu nehmen."

In der anschließenden Debatte wurde überdeutlich, daß über den Begriff dessen, was "Liberalismus" umfaßt, keine Einigkeit besteht. Baader und Höbelt verstehen unter Liberalismus eine klar umrissene Idee, die nur in Ansätzen verwirklicht sei, für Baader sogar "in Deutschland keine Spur", und bezeichnen, was Benoist und Weißmann "liberal" nennen, als sozialistisch oder sozialdemokratisch. Somit bleibt es beim polemischen Begriff auf der einen Seite und dem idealisierten Begriff der reinen liberalen Lehre auf der anderen Seite.

Völlig unterschiedlich bewerteten die Podiumsteilnehmer auch die Auswirkungen der Globalisierung. Roland Baader bezeichnet sie als "überaus segensreich", jedoch arbeite die Politik dagegen an und sorge für die Bildung von Kartellen und neuen politischen Machtblöcken. Lothar Höbelt bekräftigt, daß es Globalisierung immer schon gegeben habe und diese den politisch Mächtigen nie gepaßt habe. Im Vergleich zu dem, was die Welt im 19. Jahrhundert an Grenz- und Marktöffnungen erlebt habe, sei die Globalisierung der Gegenwart nur ein "sanftes Säuseln". Karlheinz Weißmann gestand ein, daß er "keine Möglichkeit" sehe, "dem Vorgang der Globalisierung zu entgehen", er sehe nur die Möglichkeit, die "Nation fit zu machen für den Konkurrenzkampf, der da auf uns zukommt". Weißmann hielt es sogar für eine "durchaus sinnvolle Konzeption", Europa "mehr oder weniger in einen geschlossenen Handelsstaat zu verwandeln". Am pessimistischsten ist Alain de Benoist, der die Globalisierung zwar als eine "Tatsache" sieht, aber meint, man könne nicht verschweigen, daß sie "in vielerlei Hinsicht nur ein Synonym für Amerikanisierung" sei. Es sei klar, daß wir irreversibel in eine andere Welt eingetreten seien: "Es ist ein neuer Nomos der Erde". Benoist sieht als Widerlager zu einem expansiven Amerika "nur ein geeintes Europa, das souverän ist und sich behaupten kann".

In einer sich anschließenden Diskussion mit dem Publikum stellte Roland Baader klar, daß er die Tendenz zu einem Weltstaat strikt ablehne und diesen nicht als logische Konsequenz des Liberalismus ansehe. Im Gegenteil sehe er darin eine "verhängnisvolle Entwicklung". Statt dessen fordert Baader die Schaffung "möglichst kleiner Einheiten, viel Föderalismus, strengste Subsidiarität", wobei er sich dabei mit Alain de Benoist traf, der sich für ein "föderales Europa der Völker und Regionen" stark machte und für mehr direkte Demokratie auf sämtlichen Ebenen warb.

Informationen über das Institut für Staatspolitik finden Sie unter www.staatspolitik.de

 

Alain de Benoist: "Der Liberalismus zerstört unter der Wirkung des Individualismus die organischen Strukturen, die den natürlichen Rahmen zur Ausübung der Freiheiten bilden."

Karlheinz Weißmann: "Das Funktionieren eines liberalen Staates hängt von illiberalen Bedingungen ab, u. a. dem Konsens über Fragen, die der Diskussion entzogen bleiben müssen."

Lothar Höbelt: "Die Rechte soll auf eine Rückkehr zu den Prinzipien des Kapitalismus setzen, wo Risiko und Verantwortung noch nicht entflochten sind."

Roland Baader: "Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand sind nur in einer liberalen Welt möglich, alles andere ist permanenter Kriegszustand."


 
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