© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Hals über Kopf in die liberale Debatte
Über den Dächern von Berlin riskiert man nur vorsichtige Schritte aus dem Gefängnis der Individualität
Angelika Willig

Wenn ich Freiheit höre, muß ich immer an den "Mephisto" denken. Klaus-Maria Brandauer spielt Gustaf Gründgens. Gründgens läuft durch Paris 1933 und überlegt, ob er bleiben oder wieder nach Deutschland zurückkehren soll. An einer Metro-Station bleibt er stehen und sagt zu sich selbst: "Freiheit – wozu?"

Unser innerer Mephisto stellt beim Thema Freiheit Fragen, die in Diskussionen über den Liberalismus nicht vorkommen. In diesen Diskussionen geht es immer darum, wer für die Kosten der individuellen Freiheit aufkommen soll – das Individuum selbst oder die stärkeren Individuen, sprich der Staat. Das ist das Problem der Liberalen, wieviel Sozialstaat sie in Kauf nehmen müssen, damit die vielen schwachen Individuen sie nicht abwählen. Und da wir in einem liberalen System leben, ist das mittlerweile auch die einzige Frage, die politisch diskutiert wird. Freiheit ist zu einer reinen Kostenfrage geworden. So als ob das Individuum bei entsprechender finanzieller Ausstattung seine Freiheit in vollen Zügen genießen könnte. Wie sähe das dann aus? Man erfährt es von den beneidenswerten Gewinnern von Lotterien und Preisausschreiben. Kaum gewonnen, kündigen sie ihre Arbeit und verlassen ihr Land, um an irgendeinem Strand der Welt die Seele und die Beine baumeln zu lassen. Das will Gründgens nicht. Er will arbeiten und zwar dort, wo man seine Arbeit schätzt und begreift. Die Freiheit dazu hat er ausgerechnet in einem Land, das die individuelle Freiheit weitgehend abschafft. Es gibt also offenbar zwei Arten von Freiheit, die "Freiheit von" und die "Freiheit zu". Die "Freiheit von" ist die allseits bekannte individuelle Freiheit, von der auch beim 1. Berliner Kolleg die Rede war und die die Liberalen vergrößern, die Konservativen eher einschränken wollen. Aber nicht weil sie zuviel kostet, wollen die Konservativen sie einschränken, sondern weil sie zuwenig einbringt. Zuwenig an Wert und zu- wenig an Leistung. Produktiv ist nie die "Freiheit von", sondern immer nur die "Freiheit zu" und das heißt die Bindung. Für einen Künstler ist die Freiheit dort, wo das Publikum ist. Für einen Bauern dort, wo die Felder sind. Für eine Mutter da, wo ihre Kinder sind. Die Freiheitshelden haben immer etwas, was sie dann mit ihrer Freiheit machen wollen. Sie haben Bindungen, und gerade weil sie so starke echte Bindungen haben, hassen sie den blinden Zwang. Aber stellen wir uns vor, es gäbe nichts mehr zu befreien, und es wäre nur die Individualität da – dann nimmt die Freiheit eine so eigenartige Bedeutung wie bei Sartre an, wo sie schon beinahe in Ekel – so heißt ja sein bestes Buch "Der Ekel" – übergeht. Die Pariser Freiheit, im Café sitzen und schreiben zu können, was man will, ist nur für die Schriftsteller "die" Freiheit. Und auch dann nur, wenn ihre Bücher irgendwann auch gedruckt und gelesen werden. Sonst stellt sich auch hier ein Lebensekel ein.

Im Programm für das "1. Berliner Kolleg" wünscht man sich eine Klärung, "ob Liberale, Libertäre, Konservative und Vertreter der Nouvelle Droite dasselbe meinen, wenn sie von Liberalismus und Freiheit reden, und ob sie mehr eint, als sie zu trennen scheint". Was sie eint, ist sicher der Abscheu vor der Sozialdemokratie. Nur ist das Sozialdemokratische die häßliche Kehrseite des Liberalismus. Das Individuum braucht, um sich zu entfalten, entsprechende Mittel. Entfaltungsmöglichkeiten bietet der Markt – aber nicht umsonst. Die Freiheit der Antiliberalen ist dagegen der Schritt raus aus dem Gefängnis der Individualität und weg von den Angeboten des Marktes. Hier ist das Problem nicht das Geld, sondern die Gewalt. Die häß- liche Kehrseite des antiliberalen Freiheitskonzepts ist das Autoritäre. Wer das Individuum vor dem Individualismus retten will, darf es nicht fragen, ob es gerettet werden will und wie, denn das wäre ja schon wieder Individualismus. Vielleicht haben sich die Rechten an diesem Nachmittag deshalb so Hals über Kopf in die liberale Debatte geworfen und mit der eigenen Position eher hinter dem Berg gehalten, damit die eigene häßliche Kehrseite nicht hervortritt, sondern nur die der anderen. Das könnte dann ein Rat von Mephisto gewesen sein.


 
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