© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Absage an den Euro-Staat
Volksabstimmung: Dänen haben ihre Identität verteidigt
Michael Wiesberg

Als sich herauskristallisiert hatte, daß das dänische Euro-Referendum auf eine Niederlage für die Euro-Befürworter hinauslief, beeilten sich die führenden Politiker der Euro-Staaten, die vorher immer wieder die Signalwirkung des dänischen Referendums beschworen hatten, das Ergebnis möglichst schnell herunterzuspielen. Der französische Premierminister Lionel Jospin gab in diesem Zusammenhang einen interessanten Einblick in die "Hierarchie" der EU-Mitgliedstaaten. Er erklärte, die Entscheidung der Dänen sei "kein Problem" für die Stabilität des Euro, um dann fortzufahren: "Ich habe großen Respekt vor diesem Land, aber sein Gewicht innerhalb der europäischen Wirtschaft ist nicht bedeutend."

So unbedeutend kann das dänische Gewicht in der EU nicht sein, wurden doch vor dem Referendum alle Register gezogen, um die Dänen gnädig zu stimmen. So versuchte die Europäische Zentralbank (EZB), das schwächelnde Kunstgeld durch Devisenverkäufe nachhaltig zu stärken. Tatsächlich dokumentierte die EZB mit ihrer Intervention nur eines: daß die Brüsseler Esperantowährung Euro trotz aller Beteuerungen eine Weichwährung ist, die der nachhaltigen Unterstützung bedarf. Ohne Intervention hätte der Euro nach Ansicht von Finanzanalysten bald den Wert von 80 Cent erreicht. Die EZB stoppte im Verein mit Amerikanern und Japanern zunächst den freien Fall einer Währung, von der deutsche Politiker wie zum Beispiel Finanzminister Eichel (SPD) noch immer behaupten, daß sie stärker als die Deutsche Mark sei.

Daß der Euro nach dem dänischen Referendum nicht nennenswert an Boden verlor, schreiben Fachleute allein den Spekulationen über neuerliche Interventionen der EZB zu. Entscheidend wird das Verhalten der US-Notenbank sein. Denn nur wenn die Federal Reserve Bank unter ihrem allmächtigen Präsidenten Alan Greenspan bei neuerlichen Stützungskäufen mitzieht, kann der Euro halbwegs stabilisiert werden. Damit ist jedoch kaum zu rechnen, weil die Amerikaner derzeit vor allem an einem starken Dollar interessiert sind. Dieser hält einmal die Inflation in Schach und schützt zum anderen die amerikanische Konjunktur vor einer Überhitzung. Die Amerikaner würden das Vertrauen in ihren eigenen Finanzmarkt riskieren, wenn sie wiederholt in großem Umfang Dollar verkauften. Würde sich die EZB dennoch entschließen, ohne Unterstützung der US-Notenbank zu intervenieren, könnte dies in einem Desaster enden. Der Markt könnte ein derartiges Vorgehen als mangelnde Einigkeit deuten. Der Euro würde dann erst recht in den Keller stürzen.

Das Nein der Dänen zum Euro ist vor diesem Hintergrund eine folgerichtige Entscheidung gewesen. Dabei spielten allerdings nicht nur währungspolitische Erwägungen eine Rolle. Von mindestens ebenso großer Relevanz für die Meinungsbildung der Dänen dürfte deren Widerwille gegen Einmischungen und Sanktionen seitens der EU gewesen sein. Die Ausgrenzung Österreichs hat in Dänemark Wirkung gezeigt. So erklärte zum Beispiel der dänische Politikwissenschaftler Hans Jürgen Nielsen gegenüber der Wiener Zeitung Der Standard, daß die Dänen zusammen mit den Griechen die stärksten Nationalisten in Europa seien. In Dänemark habe die Opposition gegen den Zentralismus Tradition: "Hier (in Dänemark, d.V.) denkt man antihierarchisch, ist man per du mit dem Minister", erklärte Nielsen. Das erzeuge Abneigung gegen die Herren in Brüssel und in der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Die Dänen haben also nicht nur dem Euro eine Absage erteilt, sondern auch einem Europa der Bürokraten, das demokratisch schwach oder gar nicht legitimiert ist. Sie haben einem Europa eine Absage erteilt, daß die Mitgliedstaaten mehr und mehr zu entmündigen versucht. Sie haben einem Europa eine Absage erteilt, das in seinem Kern vor allem ein französisches Projekt mit dem Ziel ist, die wirtschaftliche Dominanz Deutschlands zu domestizieren. So beschreibt zum Beispiel der deutsche Diplomat Werner Rouget in seinem Buch "Frankreich – Deutschland. Eine schwierige Nachbarschaft", daß Maastricht eine französische Initiative sei, "um die durch die Beseitigung der deutschen Teilung geschaffene Unsicherheit durch das neue Instrument Europa zu begrenzen, nachdem das klassische Instrument französischer Deutschlandpolitik, Politik des Gleichgewichts durch Allianzen, keinen Partner mehr fand". Und weiter: "Darum forcierte Mitterrand seit dem europäischen Gipfel in Straßburg den Prozeß, der zu Maastricht führte: Konzentrierung aller Anstrengungen auf die Europäische monetäre Einheitswährung."

Heute wird man konstatieren müssen, daß Frankreich nicht nur seine Vorstellungen von einer europäischen Einheitswährung hat durchsetzen können, sondern auch seine verwaltungstechnischen Ziele. Zwar erklärte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Rede in Zürich am 18. Juni 1992, daß Europa "föderalistisch sein oder nicht sein wird". Föderalismus kann sich freilich nur da entfalten, wo der Geist der Subsidiarität herrscht.

Davon kann in dem Europa der Brüsseler Bürokraten keine Rede sein. Eine subsidiär entwickelte soziale Vernunft zieht nicht ohne Not, wie es die EU unentwegt praktiziert, Kompetenzen von kleineren Gemeinschaften an sich, sondern ordnet das Föderalismusprinzip von innen heraus. Auf diese Weise wird das ausgeschlossen, was in der EU inzwischen Normalität ist: bevormundendes Hineinregieren. Der Vater des deutschen "Wirtschaftswunders", Ludwig Erhard, hat diese Gefahr bereits in seinen Buch "Wohlstand für Alle" (1957) vorausgesehen: "Die große Gefahr bestand und besteht auch heute noch", schreibt Erhard, "daß wir zwar alle ein freies Europa wollen, daß aber daraus ein Zentralismus erwachsen könnte, ein Zentralismus, der alles, was an Buntheit, an Vielfältigkeit aud diesem Kulturboden Europas erwachsen ist, ersticken müßte." Die Dänen haben diese Gefahr erkannt und sich auf ihre Weise gegen den Brüsseler Zentralismus ausgesprochen.

Wir Deutschen haben allen Grund, intensiv über das dänische Referendum nachzudenken. Denn nach wie vor hat Gültigkeit, was der renommierte Euro-Kritiker Wilhelm Hankel den europaseligen deutschen Politikern ins Stammbuch geschrieben hat. Angesprochen auf seine erste Reaktion, nachdem er den Vertragstext von Maastricht gelesen hatte, sagte Hankel: "Meine Antwort ist: daß wir schon wieder unsere Demokratie verspielen, aber diesmal nicht wegen der Fiktion Weltmacht, sondern wegen der Fiktion Europa." Wer die nationale Währungssouveränität aus der Hand gibt, so Hankel weiter, gefährdet die nationale Prosperität, die nationale Stabilität und damit die nationale Demokratie.


 
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