© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000


Geschichtsklitterung
von Dieter Stein

Die CDU in der Offensive. Am Tag der deutschen Einheit. Genüßlich knallte die Parteivorsitzende Angela Merkel im Bundestag der SPD und den Grünen die Zitate um die Ohren, mit denen sich die Repräsentanten der damaligen Opposition gegen eine Wiedervereinigung gewandt haben. Eine Stunde des bitteren Triumphes. Die Linke regiert ein Land, das sie nicht mag, sie repräsentiert in einer Hauptstadt, die sie verhindern wollte, sie spricht für Deutschland, das, so linksextreme Krawallmacher, das "Maul halten" soll.

Aber ist das die ganze Wahrheit? Sicher: Helmut Kohl war Bundeskanzler, als das Grenzregime der DDR mit einem Seufzen in sich zusammensank, ohne daß ein Schuß fiel. Kohl sprang nach einer Schrecksekunde auf den fahrenden Zug Richtung Einheit auf, als er sah, daß dieser im Rollen begriffen war. Die CDU hat das Verdienst, einen Kanzler gestellt zu haben, der den Tritt in den Hintern durch das Volk gespürt hat, bevor er ihn bekommen hat.

Die CDU war aber – und das ist die volle Wahrheit – an der Demontage des Wiedervereinigungsgebotes des Grundgesetzes nur mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa einer Legislaturperiode ebenso beteiligt wie SPD und Grüne. Kohl hat die Vorstöße zu einer aktiven Wiedervereinigungspolitik schon Mitte der achtziger Jahre brutal zu ersticken gewußt. Er vertrat die deutsche Einheit rhetorisch, immerhin, politisch tat er bis zum 9. November 1989 nicht viel mehr für sie als Gerhard Schröder und Co. Und das wissen die Betreffenden auch.


 
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