© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
"Das Protestpotential bedienen"
Liberale: Der sächsische FDP-Chef Holger Zastrow über die Pro-Österreich-Kampagne und den neuen Kurs der Landes-FDP
Moritz Schwarz

Herr Zastrow, am Wochenende hat die sächsische FDP eine aufsehenerregende Kampagne gestartet: Auf Plakaten in Dresden und anderen Städten fordern Sie Bundeskanzler Schröder und Frankreichs Staatspräsidenten Chirac auf, sich wegen der mittlerweile aufgehobenen EU-Sanktionen bei Österreich zu entschuldigen. Was hat Sie dazu veranlaßt?

Zastrow: Wir haben Sanktionen gegen eine Demokratie aufgrund einer Wahlentscheidung des Volkes von Anfang an für schlichtweg skandalös gehalten. Und der Bericht der drei EU-Weisen gibt uns nun ja auch recht. Er spricht eine deutliche Sprache: Tatsächlich ist Österreich ein Land, das viel weniger von rechtsradikalen Tendenzen betroffen ist als viele der Staaten, die es an den Pranger gestellt haben. Und Außenminister Fischer stellt beispielsweise einem Land wie der Türkei, wo laufend Menschenrechte verletzt werden, die Mitgliedschaft in der EU in Aussicht. Aber er ist ja sowieso der derzeit größte Wendehals, betrachtet man seine Karriere vom Hausbesetzer und Pazifisten zu einem Außenminister, der Panzerlieferungen in die Türkei für möglich hält. Ganz besonders inakzeptabel ist, nun heimlich, still und leise die Sanktionen aufzuheben und so zu tun, als sei nichts gewesen. Die EU-Staaten, und Deutschland ganz vorne mit dabei, haben die Grundwerte der europäischen Idee verletzt. Deshalb wäre es mehr als angebracht, daß man sich bei Österreich entschuldigt.

Die Sanktionen wurden vor über einem halben Jahr verhängt.Warum kommen Sie erst jetzt mit dieser Kampagne?

Zastrow: Die Sanktionen wurden von Anfang an in der FDP kritisiert. Auch wir Sachsen haben das von Beginn an klargemacht, nur ist die kleine sächsische FDP gemeinhin natürlich nicht deutschlandweit in den Medien zu vernehmen.

Wie reagieren die Bundespartei und die anderen Landesverbände auf Ihre Aktion?

Zastrow: Wir lassen uns das nicht von Berlin absegnen. Wie die Bundesführung dazu steht, kann ich also nicht sagen. Bisher hat sich bei mir deshalb noch niemand beschwert, obgleich wir fleißig Pressemitteilungen verschickt haben. Bei unserer Basis findet die Aktion jedenfalls großen Anklang, es sind bereits etliche Bestellungen von Kampagnen-Material aus den Kreisverbänden eingegangen, so daß sich die Kampagne durch ganz Sachsen ziehen wird.

Als Ergänzung zur Plakatierung war auch eine Demonstration geplant, warum findet diese nun nicht statt?

Zastrow: Es steht bei so einem Thema zu befürchten, Trittbrettfahrer anzulocken. Deshalb haben wir von der ursprünglich geplanten Demonstration abgesehen.

Wen meinen Sie mit Trittbrettfahrern?

Zastrow: Wir sind eine Partei, die in der Mitte steht und zu hundert Prozent aus Bürgerengagement besteht: In der Sachsen-FDP verdient niemand mit der Politik sein Geld. Wir pflegen einen sehr pragmatischen Ansatz, ob es links oder rechts "stinkt", ist uns egal, wir gehen alles an. Bei uns gibt es keine Tabus. Allerdings wehren wir uns dagegen, daß unsere Positionen, wie bereits geschehen, etwa von der NPD oder anderen, vereinnahmt werden.

Was sind das für Positionen?

Zastrow: Ich bin ein sehr liberaler Mensch, und ich akzeptiere eine linke Politik, ich akzeptiere eine rechte Politik, aber ich akzeptiere nicht etwa Gewalt als Mittel der Politik.

Herzstück Ihrer Kampagne ist eine Postkartenaktion, deren Einsendungen dem Bundeskanzler direkt übergeben werden sollen. Erwarten Sie denn eine Reaktion des Kanzlers?

Zastrow: Wir wollen Zehntausend Unterstützerpostkarten, die wir zum Beispiel an Info-Ständen auf Marktplätzen verteilen, sammeln. Dann besuchen wir damit Herrn Schröder in Berlin. Daß er darauf reagiert, glaube ich aber nicht.

Sie sprechen in Ihrer Presseerklärung von "ungerechtfertigten Sanktionen". Meinen Sie gegenüber Österreich oder gegenüber der FPÖ?

Zastrow: Zunächst einmal gegenüber Österreich. Der Souverän, das Volk, hat dort diese Entscheidung getroffen, also haben wir das als Demokraten zu akzeptieren. Tut man das nicht, rüttelt man an den Grundfesten Europas. Es gibt natürlich einige sehr zweideutige Äußerungen vom ehemaligen Parteichef Haider . Dennoch ist es schlimm, die Partei als "rechtsextrem" zu bezeichnen und alle Menschen in der Partei damit in die Ecke zu stellen. Lesen Sie das Programm der FPÖ, darin erkennen Sie solche Ansätze überhaupt nicht. Der Erfolg der FPÖ ist meiner Ansicht nach in erster Linie auf ihr Protestpotential zurückzuführen und weniger auf die Äußerungen des Herrn Haider. Für uns gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zu Haider: nämlich Politik auf Kosten von Minderheiten. Das ist für uns tabu. Mein Gegner ist nicht der Ausländer, der in Deutschland politischen Schutz oder wirtschaftlichen Vorteil sucht, mein Gegener sitzt im Establishment. Wir legen uns mit den Starken und nicht mit den Schwachen an.

Das heißt, Sie sehen in der FPÖ im Kern eine liberale Partei, die in einem gewissen Bereich sogar mehr an liberaler Urtugend bietet als so manche etablierte liberale Partei in Europa?

Zastrow: Was ich faszinierend an der FPÖ finde – und das sehe ich besonders deutlich hier in Sachsen, weil wir in einer ähnlichen Situation sind –, ist das Aufbegehren gegen den erdrückenden Einfluß des Staates. In Sachsen hat das "System Biedenkopf" alles überlagert. Ich weiß, daß eine Menge Mut dazugehört, sich damit anzulegen. Als ich auf unserem Landesparteitag in Leipzig vor "österreichischen Verhältnissen", also Filz, gewarnt habe, glaubte ich selbst noch, ich überspitze. Mittlerweile weiß ich, daß es gar keine Übertreibung war. Die FPÖ hat den Mut gehabt, sich mit den Etablierten anzulegen – und dieser Mut ist belohnt worden.

Wie beurteilen Sie die Überlegung der FPÖ die Partei über Österreich hinaus auszudehnen?

Zastrow: Die FPÖ ist eine spezifisch österreichische Partei. Sie bietet eine Politik für die Menschen dort und die Probleme in Österreich. Die Probleme in Deutschland sind viel weitreichender und komplizierter. Schließlich leben hier mehr als achtzig Millionen Menschen, gibt es ein West-Ost-Gefälle und deutlich breiteres politisches Spektrum. Eine Ausdehnung der FPÖ dürfte also keinen Erfolg haben. Auch, weil zum Beispiel die FDP in Sachsen das Protestpotential, mit dem eine FPÖ bei uns erfolgreich sein könnte, bereits bedient.

In Dänemark hat der Souverän über eine so wichtige Schicksalsentscheidung wie den Beitritt zum Euro-System selbst abgestimmt. Wären denn Volksabstimmungen ein Mittel, um den freiheitlichen Bürgerprotest gegen das Establishment, wie Sie ihn fordern, zu fördern?

Zastrow: Ich bin ehrlich gesagt kein großer Freund von Volksabstimmungen. Denn Politik hat Verantwortung zu tragen. Die Politik hat entschieden und muß sich nun der Verantwortung stellen. Wenn der Bürger damit nicht einverstanden ist, muß er den Wahlsieger vom letzten Mal das nächste Mal zum Wahlverlierer machen. Noch eine Anmerkung: Ich glaube, die Abstimmung in Dänemark wäre anders ausgegangen, wenn es den Fall Österreich nicht gegeben hätte.

Sie meinen, man hätte pro Euro gestimmt?

Zastrow: Das kann ich mir gut vorstellen. Das Verhalten der EU nährt doch die Europaskepsis der Völker.

Sehen Sie denn eine gewisse Übereinstimmung Ihres Ansatzes mit dem nationalliberalen Flügel der FDP?

Zastrow: Ich lehne jedes Flügeldenken völlig ab! Ob links oder rechts, ist mir egal, wir sprechen das an, was drückt. Wir machen eine sehr grundsätzliche Politik. Im übrigen ist die Bedeutung der Nationalliberalen doch gleich Null. Und worin erschöpft sich denn der Nationalliberalismus in der FDP? In der Ausländerpolitik! Das kann‘s nicht sein ... Analysieren Sie doch mal das eigentliche Problem: Deutschland kann es verkraften, Ausländer aufzunehmen, was Deutschland nicht verkraften kann, ist Politik, wie sie zur Zeit von unserer Bundes- und Landesregierung gemacht wird. Denn diese Politik setzt unsere Zukunft, vor allem die der jungen Generation, aufs Spiel.

Wie definieren Sie Ihre FDP?

Zastrow: Die FDP-Sachsen ist keine Klientelpartei mehr. Wir definieren uns als freiheitliche Volkspartei und als bürgerliche Protestpartei. Wir machen nicht Politik für eine bestimmte Berufsgruppe oder ein bestimmtes Portemonnaie, sondern für alle!

Ihr Verständnis der FDP erscheint sehr dynamisch. Haben Sie sich Jürgen Möllemann zum Vorbild genommen?

Zastrow: Wir haben keine Vorbilder. Für mich persönlich gibt es überhaupt nur ein einziges Vorbild, und das ist mein Vater. Möllemann hat aber etwas getan, was unserer Partei gutgetan hat: Die FDP ist in den letzten Jahren viel zu kompliziert gewesen. Es gelang nicht mehr, unsere Anliegen den Bürgern zu vermitteln. Möllemann hat dagegen genau den Weg zur bürgerlichen Protestpartei/ freiheitlichen Volkspartei beschritten. Nun glauben Sie mir es oder nicht, wir haben genau dieses Konzept schon vor dem Erfolg in NRW als Überlebensstrategie für die sächsische FDP entwickelt.

Wie stehen Sie zur Diskussion um Parteichef Gerhardt? Herr Möllemann greift ihn ja an, Herr Westerwelle schweigt auffallend laut.

Zastrow: Ich habe große Sympathien für Wolfgang Gerhardt. Ich halte ihn für einen sehr guten Parteivorsitzenden. Bei aller Achtung, die ich für Jürgen Möllemann habe, hier liegt er falsch. Gerhardt ist jemand, der auch ohne großes Medienspektakel hierher kommt um sich wirklich zu informieren. Der geht auch mal in die Hinterhöfe oder Seitengassen oder – auch wenn man ihm das vielleicht nicht so zutraut – in die Kneipen und spricht mit den Leuten. Gerhardt ist einer der wenigen, die zuhören können und der, wenn ich ihm sage, was bei uns noch nicht so läuft, das auch mitnimmt. Das halte ich bei einem Parteivorsitzenden für eine entscheidende Fähigkeit.

Wie beurteilen Sie jüngst den erzwungenen Rücktritt Justizminister Heitmanns in Dresden?

Zastrow: Wir haben als erste Partei den Fall Heitmann aufgegriffen, während alle anderen Parteien geschwiegen haben. Steffen Heitmann ist jemand, der aus der Bürgerrechtsbewegung kommt. Er müßte eigentlich der glühendste Verfechter einer Trennung von Politik und Justiz sein. Aber er hat das Gegenteil praktiziert: Personalakten wurden beinahe nach DDR-Art geführt und Einfluß auf laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft genommen. Als dann die Vorwürfe des Landesdatenschutzbeauftragten laut wurden, haben wir gleich einen Untersuchungsausschuß gefordert: Breite Ablehnung bei den übrigen Parteien. Erst als das ZDF den Fall überregional bekannt gemacht hat, wurden auch die anderen aktiv. Unsere Forderung wurde in den hiesigen Medien wie immer kaum dargestellt. Ich vermute, weil es zwischen unseren Medien und der Staatsregierung bestimmte Verquickungen gibt.

Wie stehen Sie zur Diskussion um die Zusammenarbeit der FDP in Sachsen mit der Deutschen Sozialen Union (DSU), die auf kommunaler und Kreisebene bereits hier und da praktiziert wird und bis zu Fusionsüberlegungen reicht?

Zastrow: Ich weiß, für dieses Thema gibt es bei uns viel Sympathie. In Kommunalparlamenten koalieren wir bereits sehr oft mit der DSU, das gibt es überall in Sachsen, zum Beispiel in Chemnitz oder Dresden. Die Zusammenarbeit läuft auch tipptopp. Und wir würden gerne in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, etwa bei den Bürgermeisterwahlen im kommenden Jahr. Landespolitisch spielt die DSU allerdings keine Rolle mehr. Es gibt auf Landesebene deshalb auch keine Kontakte. Eine Fusion ist heute noch nicht aktuell.

Sie haben auch die diesjährigen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Deutschen Einheit in Dresden scharf kritisiert. Warum?

Zastrow: Ja, Österreich ist als einziges Mitgliedsland der EU von der Staatsregierung nicht zu den Feiern zum Tag der Deutschen Einheit eingeladen worden. Das ist für mich nicht verständlich. Wer Österreich auslädt, der spaltet Europa. Aber noch viel schärfer kritisieren wir, daß da "blühende Landschaften" vorgegaukelt werden, indem der Festbereich mit einer enormen Summe renoviert wurde. Das ist wie zu Honeckers Zeiten. Ich warte nur noch auf die herangekarrten, mit "Winkelementen" ausgestatteten Schulklassen. Das traue ich am Ende der Staatsregierung auch noch zu.

Wie stehen Sie denn zur deutschen Einheit?

Zastrow: Die deutsche Einheit ist das schönste Erlebnis meines Lebens! Wer von uns hat gedacht, daß dies so schnell möglich sein würde? Und wer von uns hat gedacht, daß man das Regime der DDR so glimpflich loswerden würde? Aber es gibt noch so viel zu tun, warum kann man das nicht offen zeigen, warum muß ein Erfolg vorgegaukelt werden, der so noch nicht erreicht ist? Sachsen braucht sich in keinem Falle zu schämen. Dieses Land war einmal eine der reichsten Gegenden Deutschlands, und es hat auch heute so viel Potential. Die Politiker belügen sich nur selbst und glauben durch so etwas am Ende, wir seien schon weiter, als wir tatsächlich sind. Die Einheitsfeier ist leider zur Provinzposse geworden. Biedenkopf führt seinen Privat-Krieg mit Kohl und mißbraucht die Feier als private Abrechnung mit dem Altkanzler. Kohl hätte nach meiner Meinung als Architekt der Einheit unbedingt eingeladen werden müssen.

Haben die etablierten Parteien nicht vor der Wende die Einheit in Wirklichkeit bereits vergessen, wenn nicht gar bekämpft?

Zastrow: Nun gut, die Kritik muß ich auch gegen mich selbst richten. Ich war damals noch zu jung, allerdings habe ich die Anerkennung Honeckers durch Kredite, Staatsempfang, etc. nie verstanden. Viele von uns haben die Einheit im Herzen getragen und die Grenze als etwas unnatürliches empfunden, keiner hätte aber gedacht, daß es einmal so schnell geht.

Landtagswahl 2004: Überspringen Sie dann bereits die Fünf-Prozent-Hürde, oder wollen Sie dieser ersteinmal langsam entgegenwachsen?

Zastrow: Die überspringen wir natürlich, aber mit Schmackes! Die Gesamtlage der FDP hat sich doch sehr gebessert, und der Kurs in Richtung bürgerlicher Protestpartei und freiheitlicher Volkspartei ist doch inzwischen auch in der Bundesspitze begriffen worden. Wir in Sachsen haben eine realistische Chance, auch weil Biedenkopf nicht wieder antritt und das Hauen und Stechen in der CDU bereits begonnen hat. In Plauen, der fünftgrößten Stadt im Lande, haben wir bereits den Oberbürgermeisterposten gewonnen. Sachsen hat mit der FDP eine bürgerliche Alternative.

 

Holger Zastrow geboren 1969 in Dresden, ist von Beruf Industriekaufmann und war bis 1994 Referent eines FDP-Landtagsabgeordneten in Dresden. Heute ist er Inhaber einer Werbe- und PR-Agentur in Sachsen. Er ist seit 1993 Mitglied der FDP und war bis 1997 Landes-vorsitzender der "Jungen Liberalen Aktion" (JULIA) im Freistaat Sachsen. Im November 1999 wurde er zum FDP-Landesvorsitzenden  gewählt. Seit Juni 2000 ist er Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Am 1. Oktober initiierte Zastrow die sächsische FDP-Plakat-Aktion "Schämen Sie sich, Herr Schröder, und entschuldigen Sie sich bei Österreich".

 

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