© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Slobodan und Slibowitz
Carl Gustaf Ströhm

Jeder denkt: sie sind perdu, aber nein, noch leben sie". Dieser alte Wilhelm Busch-Reim kommt einem in den Sinn, wenn man sich in diesen Tagen mit dem "ausgestoßenen" Slobodan Milosevic und seinen Anhängern beschäftigt.

Der schlimme Mann vom Balkan ist zur Personifizierung des Bösen avanciert. Zumindest im westlichen Unterbewußtsein grassiert eine Hoffnung, die sich rasch als Illusion entpuppen könnte: daß man nämlich mit der Beseitigung dieser "bösen Gestalt" auch das Böse, Unerfreuliche und Verquere schlechthin beseitigen könnte.

So klammert sich der Westen in seiner bekannten Schwäche, die Dinge möglichst zu "personalisieren", an einen serbischen "Hoffnungsträger" der Demokratie namens Kostunica – der selber genug Dreck am Stecken und Butter auf dem Kopf hat, weil er im Grunde nichts anderes will als sein Vorgänger: die Wiederherstellung Groß-Serbiens. Naiv fällt die westliche Öffentlichkeit und Politik auf das geschickte serbische "Marketing" herein und ist bereit, der serbischen "demokratischen" Opposition par ordre de mufti den Sieg auszusprechen (wobei die Frage gar nicht erst gestellt wird, mit welchem Recht sich ausländische "Beobachter" einmischen dürfen).

Mehr noch: triumphierend verkündeten die westlichen Medien einen bevorstehenden "Generalstreik" in Rumpf-Jugoslawien, durch den der verhaßte Milosevic nun endgültig hinweggefegt würde. Doch die Resultate des angekündigten Streiks blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Da und dort traten Arbeiter in den Ausstand und wurden Straßen von Demonstranten blockiert – aber davon, daß ganz Serbien zugunsten der "demokratischen Opposition" in den Ausstand tritt, konnte keine Rede sein.

Die Initiatoren und "Erfinder" des Streiks – der möglicherweise vom Ausland inspiriert war – hatten vergessen, daß die Uhren des Balkans und Serbiens anders ticken. In einem Land, in dem ohnedies über die Hälfte der Betriebe nicht arbeiten, ist ein "Streik" ein Schlag ins Wasser. Der Ausstand und das Nicht-Arbeiten ist ohnedies zum Dauerzustand geworden. Ein Generalstreik hätte nur einen Sinn, wenn er gegen eine intakte und damit verwundbare Volkswirtschaft geführt wird. Wer ohnedies pleite ist, braucht den Gerichtsvollzieher nicht zu fürchten.

Der Westen, so sagte unlängst ein guter Kenner Serbiens, habe bis heute nicht begriffen, daß die Serben in einem anderen Aggregatzustand leben als das abendländische Europa. Sie existieren in einer Mischung aus Mythologie ("die Serben sind die Größten") und einfacher Naturalwirtschaft. Solange die Zwetschgen auf den Bäumen für den Slibowitz und die Trauben für den Wein auf den Rebstöcken wachsen, solange der Hammel sich am Spieß dreht, glaubt man, auf Computer, Hochtechnologie und allen modischen Schnick-Schnack leicht verzichten zu können. In Serbien ist noch kein Serbe an Hunger gestorben. Auch Milosevic (oder Kostunica) wird hier nicht mit westlichen Augen gesehen. Was einem westlichen Bürger unerträglich scheint, wird hier hingenommen, zumal man vom Westen zwar Geld nimmt, ihm aber gleichzeitig mißtraut und ihn nicht mag. Das ganze absurde Belgrader Wahl-Theater könnte also ganz anders ausgehen, als sich der Westen das vorgestellt (und wofür er vielleicht umsonst soviel Geld ausgegeben hat). Wie immer die Wahl in Belgrad auch enden mag – ob der Gewinner Kostunica doch noch gewinnt oder ob es sogar der Verlierer Milosevic noch einmal schafft: der Westen wird das eine wie das andere bereuen bzw. bezahlen.


 
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