© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/00 06. Oktober 2000

 
Zahnziehen gegen Rechts
"Gesicht zeigen!": Die Spaßgesellschaft macht, was sie am besten kann
Andreas Wild

Jetzt kommt die Sache endlich in den Topf, in den sie hineingehört, jetzt nimmt sich die Spaßgesellschaft des "Kampfes gegen Rechts" an. Auf Initiative der Bundesregierung und unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Johannes Rau wurde vergangene Woche in Berlin der Verein "Gesicht zeigen!" ins Leben gerufen, in dem "Prominente gemeinsam mit Bürgern gegen Rechts" kämpfen sollen. "Die Unterstützerliste liest sich wie die Gästefolge einer TV-Gala", freute sich Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye.

Als erste Großaktion wird in Kürze die Gala "Kochen gegen rechte Gewalt" über die Bühne gehen. 42 Spitzenköche der Vereinigung "Jeunes Restaurateurs d’Europe" werden, wie die Nachrichtenagentur AP vermeldet, "ein edles Gala-Menü zubereiten. Der Eintrittspreis für die Teilnahme an diesem Genuß wird selbstverständlich genauso hochkarätig sein wie die Speisen." Der Erlös soll dem Verein "Gesicht zeigen!" zugute kommen.

Parallel zur Gala "Kochen gegen Rechts" hat der "Freie Verband deutscher Zahnärzte" zur Aktion "Zahnziehen gegen Rechts" aufgerufen. Über den Behandlungsstühlen in den Zahnarztpraxen soll künftig das Logo von "Gesicht zeigen!" aufgehängt werden, denn schließlich gelte es, wie der Verbandsvorsitzende launig ausführte, "rechten Gewalttätern den Zahn zu ziehen".

Als Höhepunkt der Saison ist eine Neujahrsgala angepeilt, bei der die bekannte rote Infobox vom Potsdamer Platz in Berlin im Mittelpunkt steht. Mit Abschluß der Bauarbeiten ist diese Infobox überflüssig geworden, aber statt sie schlicht zu verschrotten, will man sie in Einzelteile zerlegen, welche dann in einer "Nacht gegen Rechts" vom Internet-Auktionshaus "e-bay" Stück für Stück versteigert werden. Jedes Stück wird extra aufgewertet, indem ihm ein "prominenter Pate" zur Seite steht. Veronica Ferres, Alfred Biolek, Dieter Thomas Heck, Jan Hofer, Boris Becker, Marius Müller-Westernhagen, Dunja Raiter, Fritz Pleitgen, Iris Berben, Hans Meiser, Günther Jauch, Johannes B. Kerner und Henry Maske sind bereits als Paten vorgemerkt.

Und die Einkaufsgemeinschaft "Ecotel Communication AG" hat ein "Weihnachtsgeschäft gegen Rechts" angekündigt. Jedem ihrer Kunden soll eine "Charity-Calling-Card" mit dem Logo von "Gesicht zeigen!" und einer Kurzansprache von SAT1-Nachrichtensprecherin Astrid Frohlof zugeschickt und verrechnet werden, für nur elf Mark, davon fünf Mark zugunsten von "Gesicht zeigen!". "Wir sind davon überzeugt", lockt Ecotel Communication, "daß diese Charity-Calling-Card nicht nur zur Weihnachtszeit ein sinnvolles Geschenk sein wird."

Gala, Promis, gutes Essen, Weihnachtsgeschäft und Geschäft über Weihnachten hinaus – was will man mehr? Der "Kampf gegen Rechts" entpuppt sich als ein wahrer Product trailer für den aktuellen Spaßbetrieb, verschafft ihm endlich wieder das gute Gewissen, das er immer noch nötig zu haben glaubt und das ihm in letzter Zeit ein bißchen abhanden kam, seitdem der "Kampf gegen Aids" nicht mehr auf der Agenda steht. Zwar grassiert Aids schrecklicher als je zuvor, aber als Logo für Fernseh-Partys taugt es schon lange nicht mehr. Schließlich will man Abwechslung.

Ein glücklicher Einfall war zweifellos auch, daß die Initiatoren der Spaßkämpfe gegen Rechts ihre Aktion nicht, wie ursprünglich geplant, "Zivilcourage zeigen!" nannten, sondern eben "Gesicht zeigen!" Das ermuntert viele Prominente zum Mitmachen, die ja mit Courage üblicherweise nicht viel am Hut haben, vom Gesichtzeigen aber regelrecht leben.

Vergleichbare Aktionen in früheren Zeiten liefen so ab, daß zunächst politische Erklärungen von einiger Genauigkeit verfaßt und dann Unterschriftenlisten ausgelegt wurden, in die man sich eintragen sollte. Das erforderte immerhin einigen geistigen und manchmal sogar moralischen Aufwand, selbst wenn auch damals schon die meisten nicht fragten: "Was steht drin?", sondern: "Wer hat noch unterschrieben?" Man exponierte sich mit seiner Unterschrift, man mußte damit rechnen, gegebenenfalls ausführlicher nach seinen Gründen befragt zu werden.

Beim Gesichtzeigen heute ist alles viel einfacher. Keine ratifizierende Unterschrift mehr, kein textueller Aufwand, kein Argumentations-Notstand. Die Sache, für die man seine Visage vor die Kamera schiebt, braucht nicht eigens mit Gründen versehen zu werden, sie ist von vornherein "die gute Sache", da Regierung und Fernsehen und alle Promis bzw. Mitpromis ringsum sie zur guten Sache erklärt haben.

Zivilcourage ist nun gerade nicht mehr nötig, denn die Wahrscheinlichkeit, daß man für sich irgendwas entscheiden muß oder einstmals gar, bei geänderten Umständen, für sein Dabeisein irgendwie haftbar gemacht werden könnte, reduziert sich auf Null. Ein Gesicht mehr im Rahmen anderer Gesichter – was bedeutet das schon? Die verbreitete Bildergläubigkeit wird entwertet durch die ungeheure Bilderfülle. Außerdem sind Gesichter im Normalzustand bekanntlich vor allem eins: Masken. Sie sind nicht einmal soviel wert wie ein Fingerabdruck oder ein Gebißprofil. Niemand kann auf sein Gesicht festgelegt werden.

Freilich, beim Zahnarzt ist das Gesichtzeigen weniger angenehm als vor der Fernsehkamera. Man muß wohl oder übel den Mund aufmachen, und der Vorgang kann blutig werden. Im Falle der Zahnbehandlung legt der Patient die Maske ab, zeigt sein "wahres Gesicht".

Wenn er dann über dem Behandlungsstuhl das Logo von "Gesicht zeigen!" wahrnimmt, mag ihm recht blümerant zumute werden. "Zahnziehen gegen Rechts", das heißt dann leicht: "Zahnziehen wegen Rechts". Man fällt aus dem Himmel der Galas und der Charity-Calling-Cards recht unsanft auf den Boden der Tatsachen, und gerade das wollte man doch vermeiden.


 
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