© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
PRO&CONTRA
Strafmündigkeit herabsetzen?
Mario Mettbach / Ingeborg Buchberger

Die Grenze der Strafmündigkeit liegt derzeit bei 14 Jahren, das heißt ein Jugendlicher unter 14 kann bei Straftaten nicht rechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Diese Regelung stammt aus Zeiten, in denen 14jährige und Jüngere wirklich noch als Kinder bezeichnet werden konnten. Die Entwicklung zu einer früheren Reife unserer Jugendlichen hat in den letzten Jahren jedoch einen großen Sprung nach vorn getan, was sich nicht nur im körperlichen, sondern auch im geistigen Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen zeigt. Insofern ist die Strafmündigkeit, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Reifeprozeß zu sehen ist, in bestimmten Zeitabständen zu prüfen und ggf. auch anzupassen. Gerade die Jugendkriminalität ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen.

Wie jedoch soll man einem jugendlichen Straftäter seine Grenzen aufzeigen, wenn die Rechtsprechung in diesem Bereich über keinerlei Handlungsspielraum verfügt? Die Kinder von heute werden die Verbrecher von morgen sein, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihnen die Grenzen aufzuzeigen. Die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre soll aber auf keinen Fall dazu führen, 12jährige nun hinter Gitter zu bringen, sondern der Staat muß alles in seiner Macht stehende tun, um die möglichen Fehlentwicklungen durch geeignete Maßnahmen zu stoppen und Jugendliche auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Dazu sieht das Jugendstrafgesetz eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, die außer Gefängnisstrafen, viele weitere Möglichkeiten bieten. Bei einer Herabsetzung der Strafmündigkeit geht es also nicht um das Wegschließen krimineller Jugendlicher, sondern um die frühzeitige Hilfestellung durch geeignete Maßnahmen und die Anpassung des Gesetzes an den Reifeprozeß junger Menschen. Rechtzeitige Hilfe durch pädagogische Maßnahmen muß das Ziel dieser Herabsetzung sein.

 

Mario Mettbach ist 1. stellvertretender Vorsitzender der Partei Rechtsstaalicher Offensive (PRO)

 

 

Drei Meldungen auf einer Seite einer Tageszeitung: Immer mehr Kinder begehen Straftaten; Kinderporno-Ring zeigt Mord und Folter im Internet; Hollywood testet Gewaltszenen vor Neun- bis Elfjährigen.

Liegt hier nicht eine der Ursachen, daß Kinder kriminelle Handlungen begehen? Sie sind schon körperlich weiter als früher, total aufgeklärt, doch überfordert, das zu verkraften, was durch Medien und Werbung auf sie eindringt. Das frühere Familienleben, oft verspottet: hat es nicht mehr Geborgenheit mit den Eltern und den Geschwistern gegeben? Heute sind viele Heranwachsende sich selbst überlassen. Vater und Mutter berufstätig oder arbeitslos, häufig geschieden.

Wenn Kinder aus der Schule dann heimkommen, sind sie allein. Da schließen sich manche Freunden an, suchen dort Geborgenheit. Gemeinsam wird dann versucht, Gehörtes und Gesehenes nachzuahmen. So rutschen sie vom harmlosen Kinderstreich in eine kriminelle Handlung ab ... Aber deswegen die Strafmündigkeit herabsetzen? Gibt es denn überall genügend Möglichkeiten, Kinder nach der Schule – bei dem häufigen Unterrichtsausfall – in den Ferien aufzufangen, sie von der Straße zu holen? Und wie ist es um gute Literatur, gute Filme, nicht Horrorgeschichten bestellt? Gebaut werden bei uns viele protzige Sachen, und noch stehen ganze Komplexe leer. Aber über den Bau von Jugendhäusern, die notwendig sind, wird gestritten.

Kinder und Jugendliche – wie werden sie verantwortungslos mit Konsumgütern überfüttert! Für Kopf, Geist und Seele wurde bis heute bei weitem nicht genug getan. Den Kindern Wege weisen, ihnen Wärme geben und sie zu verstehen versuchen, das brauchen sie. Die rücksichtslose Konsum- und Spaßgesellschaft dieser Tage darf sich nicht wundern, was ihre Kinder tun. Sie lebt ihnen ja alles vor, auch Gewalt. Doch schon Kinder vor den Richter bringen wie in den USA? Nein danke!

 

Ingeborg Buchberger ist Bundesvorsitzende des Deutschen Sozialen Hilfswerks (DSW) e.V.


 
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