© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Niedrigarbeit
Karl Heinzen

Gerade einmal 2.142 Menschen aus Nicht-EU-Staaten konnten bislang dazu bewegt werden, das Angebot einer Green Card anzunehmen. Unter ihnen sind noch dazu viele blutjunge Russen, die vermutlich jede Chance ergreifen würden, ihr kaltes und unwirtliches Land zu verlassen. Immerhin können sie ihr Gewerbe im Gegensatz zu den weiblichen Emigranten aus ihrem Heimatland überwiegend sitzend ausüben. Bei einem dringenden Bedarf von 70.000 Experten allein für In- formationstechnologie ist die Zwi- schenbilanz dieser Initiative, die die Zukunft unserer ökonomischen Existenz vorübergehend sichern soll, eher enttäuschend. Siegmar Mosdorf (SPD), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, will mit seiner Freude dennoch nicht so recht hinter dem Berg halten: Die Wirtschaft kann mit dem Tempo, das die Bun- desregierung in der Eröffnung von neuen Einwanderungschancen vorgegeben hat, nicht mithalten. Unter Gerhard Schröder ist es nicht mehr die Politik, die sich vorwerfen lassen muß, für einen Reformstau verantwortlich zu sein. Es sind die Unternehmen, die zu inflexibel sind, um die helfende Hand des Staates in der Gewinnmaximierung zu ergreifen.

Die Kritik richtet sich dabei nicht gegen die oberen Führungsetagen – eine solche Betrachtung ließen der gesellschaftliche Umgang und die aus diesem erwachsenen Verpflichtungen des Kanzlers auch gar nicht zu. Daß die Mühlen der Wirtschaft so langsam mahlen, liegt vielmehr an den oft unbeweglichen mittleren Führungsebenen. Sie sind in den Unternehmen der Tummelplatz von in abhängige Beschäftigungsverhältnisse verirrten Mittelständlern ohne ausreichende Englischkenntnisse, von Menschen, denen es an Weltläufigkeit mangelt, die um ihre Mediokrität aber wissen und die daher jeden, der in ihrem Büro auch nur den Mülleimer leeren möchte, als potentiellen Konkurrenten betrachten müssen. Solche Menschen bemühen dann erstaunlicherweise ausgerechnet die Kultur, wenn sie jenen Steine in den Weg legen, die gar nicht mit ihnen Bier trinken, kegeln oder Männerwitze austauschen wollen, sondern schlicht und einfach vor Computern Platz nehmen möchten, um all die Programmierungs- und Wartungsdreckarbeiten zu erledigen, für die sich die meisten Deutschen viel zu schade sind.

Es gebe sich keiner irgendwelchen Illusionen hin: Verglichen mit den Arbeitsplätzen, die auf die Empfänger einer Green Card warten, waren die Fließbänder, an die die Arbeitsimmigranten der ersten Generation traten, Stätten der Geselligkeit und der individuellen Selbstverwirklichung. Der Grund für den Arbeitskräftemangel in der "IT-Branche" ist in einem men- schenunwürdigen Berufsbild zu suchen und nicht darin, daß junge Leute blind für vermeintliche Chancen wären. Der Import von hartgesottenen Ausländern beugt langfristig der Gefahr vor, daß die heranwachsende Generation durch exorbitante Verdienstmöglichkeiten in Berufe abgedrängt wird, die sie zu seelischer Abstumpfung verurteilen.


 
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