© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Die unterwanderte Republik
DDR-Staatssicherheit: Wissen um Spitzel-Tätigkeit im Westen trat in den Hintergrund / Wissenschaftler Hubertus Knabe in Ungnade gefallen
Detlef Kühn

Vor zwei Wochen meldeten die Gazetten, der wissenschaftliche Mitarbeiter in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Hubertus Knabe, werde demnächst seine Dienststelle verlassen und eine neue Aufgabe als wissenschaftlicher Direktor in der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem früheren Zentralgefängnis des Staatssicherheitsdienstes, übernehmen. Damit finden fast zwei Jahre währende Auseinandersetzungen in der sogenannten Gauck-Behörde, in deren Mittelpunkt Knabe stand und die sogar in eine öffentliche Fehde zwischen ihm und seinem Vorgesetzten in den Leserbriefspalten der Frankfurter Allgemeinen mündeten, erst einmal ein Ende. Das eigentliche Problem bleibt uns allerdings erhalten.

Worum geht es? Die Diskussion um die Rolle der Staatssicherheit in der DDR wies von Anfang an eine eigenartige Schieflage auf. Einerseits wurde behauptet, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sei so etwas wie ein Staat im Staate DDR gewesen und habe sich der politischen Kontrolle durch die SED weitgehend entzogen. Diese Behauptung wirkte zwar entlastend für die führenden Genossen der Partei, entsprach aber nicht dem Selbstverständnis der Mitarbeiter des MfS, die sich immer als Schild und Schwert der Partei, also als deren Instrument im Klassenkampf, verstanden. Andererseits konzentrierte sich die öffentliche Diskussion um die "Krake" Staatssicherheit lange Zeit auf den Repressionsapparat in der DDR selbst. Daß insbesondere die Hauptabteilung Aufklärung (HVA), aber nicht nur diese, auch intensiv den Westen Deutschlands, das "Operationsgebiet", bearbeitete, war zwar bekannt, trat aber lange Zeit sehr in den Hintergrund.

Es ist insbesondere das Verdienst des wissenschaftlichen Mitarbeiters in der Abteilung Bildung und Forschung der Gauck-Behörde, Hubertus Knabe, gewesen, in zahlreichen Publikationen und Vorträgen auf die Unterwanderungsversuche des MfS im Westen aufmerksam gemacht zu haben. Dabei ging es nicht nur um Spionage im klassischen Sinne. Mindestens genauso wichtig war, durch Infiltration unmittelbar Einfluß auf die Entscheidungen der westlichen Parlamente, Behörden, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und nicht zuletzt der Medien im Interesse der SED-Politik zu nehmen. Der jetzt scheidende langjährige Chef der nach ihm im Volksmund benannten Behörde, Joachim Gauck, hat die Zahl der im Westen eingesetzten inoffiziellen Mitarbeiter des MfS auf 30.000 geschätzt. Nur ein geringer Teil von ihnen ist bislang enttarnt worden. Noch weniger wurden strafrechtlich belangt.

Das Interesse an diesem Teil der Arbeit des Staatssicherheitsdienstes war im Westen eher verhalten. Man freute sich, wenn entsprechende Enthüllungen den politischen Gegner trafen. Waren die Erkenntnisse nicht parteipolitisch nutzbar oder bestand sogar die Gefahr, daß die eigene Organisation betroffen war, ließen die Neugier und das Aufklärungsinteresse meist schlagartig nach. Selbst die Justiz wahrte in einem erstaunlichem Maße Diskretion. Ein weiterer Mitarbeiter der Forschungsabteilung der Gauck-Behörde, Helmut Müller-Enbergs, erklärte kürzlich in einem Brief an die FAZ, die Justiz habe zahlreiche einschlägige Fälle, von denen die Wissenschaftler außerhalb seiner Behörde bislang allenfalls die nicht identifizierten Decknamen der Täter kannten, aufgearbeitet, meist wohl in aller Stille durch Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Buße. Hier hat sich also eine eigentümliche Grauzone entwickelt, die zwar jede Menge Verdächtigungen ermöglicht, an deren Beseitigung aber wohl nur ein geringes Interesse besteht.

Weil dies so ist, steht offenbar auch die Gauck-Behörde unter einem erheblichen Druck. Einerseits soll sie ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen, die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten und zu fördern, was nicht zuletzt Aufgabe ihrer Forschungsabteilung ist. Andererseits soll der einzelne davor geschützt werden, daß er durch den Umgang mit den von der Stasi zu seiner Person gespeicherten Informationen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Letzteres gilt auch für Täter, wenn durch die Verwendung der Unterlagen deren überwiegende schutzwürdige Interessen beeinträchtigt werden. Darüber läßt sich im Einzelfall trefflich streiten. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen historischem Forschungsinteresse und dem Schutz der Privatsphäre früherer Täter. In dieses Spannungsverhältnis lassen sich unschwer auch die überhaupt nicht schutzwürdigen Interessen von Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften einbauen, das ganze Ausmaß der Einflußnahme der DDR auf ihre Politik vor 1990 möglichst zu verschleiern.

Nun kann man der Abteilung Bildung und Forschung der Gauck-Behörde wirklich nicht nachsagen, sie hätte vor den Auswirkungen der "West-Arbeit des MfS" die Augen verschlossen. Hubertus Knabe hat, zusammen mit einigen Kollegen, in ihrem Auftrag in der offiziellen Wissenschaftlichen Reihe des Bundesbeauftragten ein gewichtiges Werk mit eben diesem Titel herausgebracht, das sogar noch im Erscheinungsjahr 1999 eine zweite Auflage erlebte. Nur – zur gleichen Zeit erschien in einem andren Verlag, ebenfalls von Hubertus Knabe verfaßt, ein weiteres Buch über die Stasi im Westen unter dem Titel "Die unterwanderte Republik". Es erregte ein noch größeres Aufsehen, vor allem wohl deshalb, weil Knabe in diesem von ihm privat verantworteten Werk bei aller Wissenschaftlichkeit eine wesentlich deutlichere Sprache pflegte. Der Vergleich der beiden Bücher macht den Gegensatz augenfällig, der zwischen der Forschungsfreiheit einer Behörde und der eines einzelnen Wissenschaftlers besteht. In dieser Offenbarung dürfte die eigentliche Ursache der Spannungen zwischen Knabe und seinem Dienstherrn zu sehen sein. Sie ist wohl nur noch dadurch zu beseitigen, daß Knabe die Gauck-Behörde verläßt.

Dies ist im Interesse der Sache zu bedauern. Die weitere Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit während der rund 40 Jahre der Teilung unseres Landes erfordert, nicht nur das MfS als Instrument der Unterdrückung in der DDR zu erforschen, sondern auch das Ausmaß seiner Einflußnahme auf die Deutschlandpolitik in der alten Bundesrepublik. Manche Selbstgefälligkeiten zum Beispiel der Parteien heute könnten dabei in schmerzlicher Weise relativiert werden. Dennoch oder gerade deshalb muß diese Arbeit geleistet werden. Sie dient der historischen Wahrheit und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenwachsen Deutschlands.

Hubertus Knabe, dessen politische Heimat als früherer Pressesprecher der Grünen eher links anzusiedeln ist, hat dafür wichtige Vorarbeiten geleistet. Ob er sich auch in seiner neuen Funktion noch dieser Problematik widmen kann, bleibt abzuwarten. Einen priviligierten Zugang zu den Akten, wie bisher, wird er in Zukunft wohl nicht mehr haben. Insbesondere der Umgang mit den "Rosenholz"-Dateien des MfS, die aus den USA in die Bundesrepublik zurückgekehrt sind, wird erweisen, wie groß das Aufklärungsinteresse gegenüber diesem Teil unserer Vergangenheit wirklich ist. Mit ihrer Hilfe könnte nämlich ein großer Teil, wenn nicht alle, der Stasi-Mitarbeiter im Westen enttarnt werden. Noch versteckt man sich hinter angeblichen Geheimhaltungsbedingungen der Amerikaner. Wegen der inzwischen eingetretenen Verjährung ist eine strafrechtliche Verfolgung der Täter sowieso nur noch in Ausnahmefällen zu erwarten. Viel wichtiger im Sinne der politischen Hygiene in unserer Gesellschaft ist jedoch die schonungslose Aufdeckung der Fakten. Darauf hinzuwirken, würde dem Bundestag gut zu Gesichte stehen.


 
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