© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Willkommen im "sterbenden" System
Mitteldeutschland: Das Ende der sozialistischen Planwirtschaft
Bernd-Thomas Ramb

Die wirtschaftliche Bilanz, die zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft der DDR gezogen wird, bescheinigt den neuen Bundesrepublikanern eine fleißige Aufbauarbeit. Die seinerzeit enorme Lücke zur westdeutschen Wirtschaft konnte zwar noch nicht ganz geschlossen werden, die Entwicklung geht jedoch stetig in Richtung gleicher Lebensraum Ost wie West. Mehr noch als die Entwicklung der Produktivität hat sich aber das Arbeitsverhalten der beiden Deutschlandteile angeglichen. Auch im Bereich der Ausbildung sind nur noch marginale Unterschiede festzustellen. Daß die wirtschaftliche Angleichung der Lebensverhältnisse eines immensen Geldtransfers von West nach Ost bedurfte, darf natürlich nicht vergessen werden. Jedoch stehen auch hier die Zeichen auf Milderung. Nach weiteren zehn Jahren, so die Meinung der meisten Wirtschaftswissenschaftler, dürfte das Projekt Aufbau Ost weitgehend erfolgreich abgeschlossen sein. Bis dahin heißt es allerdings weiterhin wachsam zu sein, daß der alte kommunistische Schlendrian nicht wieder über sozialistisch-revanchistische Politiker an stärkerem Einfluß gewinnt.

Die Statistik der Produktionswerte verzeichnet in allen neuen Ländern durchweg positive Entwicklungen. Seit dem Jahr 1991, in dem der erste Wirtschaftsaufschwung nach dem Mauerfall bereits erheblich Wirkung gegenüber 1989 gezeigte hatte, erhöhte sich das Bruttoinlandsprodukt der Ex-DDR-Länder, einschließlich Berlin, bis zum Jahre 1999 um 35 Prozent. Im Westen stieg die Produktion im selben Zeitraum nur um schmale acht Prozent. Das Pro-Kopf-Produkt stieg dabei im Osten von knapp 24.000 auf 33.639, im Westen von gut 49.000 auf 50.934 Mark. Damit haben die "Ossis" etwa zwei Drittel der "Wessi"-Produktion erreicht. 1991 kamen sie auf weniger als die Hälfe. Im Vergleich zwischen den neuen Ländern existieren kaum noch Unterschiede in der Pro-Kopf-Produktion. Mit 30.150 DM pro Kopf bildet Sachen-Anhalt das Schlußlicht, Spitzenreiter ist Sachsen mit 31.610 Mark. Eine Ausnahmeposition belegt Berlin (West- und Ostteil) mit 44.140 DM Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner. Die Angleichung der Wirtschaftskraft ist um so bemerkenswerter, als die Startpositionen 1991 sehr ungleich waren.

Den größten Sprung vollzog das ehemals sogar im europäischen Vergleich als sehr arm zu bezeichnende Thüringen, das seine Produktion um 63,7 Prozent steigern konnte. Dies, wie im ebenfalls wachstumsstarken Sachsen, auf die Tatsache zurückzuführen, daß CDU-geführte Landesverwaltungen am Werke waren, ist plausibel, weil gleichzeitig als wachstumsschwächste Neuländer Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt festzustellen sind.

Das Ostwachstum beruht nicht zuletzt auf fleißigen Erwerbstätigen. Generell wird in allen neuen Bundesländern länger gearbeitet als in den alten. Im Durchschnitt sind es 39 Stunden tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit. Damit wird die tariflich erfaßte Arbeitszeit von 39,2 nahezu vollständig erfüllt. An der Spitze liegen Thüringen und Sachsen-Anhalt mit durchschnittlich 39,4 Wochenarbeitsstunden je Erwerbstätigen. Damit wird gleichzeitig deutlich, daß die Arbeitsproduktivität in Thüringen deutlich höher ist als in Sachsen-Anhalt. Gegenüber dem Westen haben jedoch beide erhebliche Defizite aufzuweisen. Dort wird zwar im Durchschnitt nur 35,6 Wochenstunden tatsächlich gearbeitet, und damit fast zwei Stunden weniger als tariflich vorgegeben, in dieser Zeit aber wesentlich mehr als im Osten produziert. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß im Osten weitaus geringere Anteile der Bevölkerung an der Erwirtschaftung des Inlandsprodukts beteiligt sind. Immerhin lag die Arbeitslosenquote im August dieses Jahres dort bei 17 Prozent, während im Westen nur 7,4 Prozent der Arbeitssuchenden ohne Beschäftigung waren. Für das hohe Stundenniveau in den neuen Ländern ist nicht zuletzt der hohe Anteil an weiblichen Arbeitskräften und deren Arbeitsverhalten verantwortlich. Während sich im Westen 42 Prozent der beschäftigten Frauen mit Teilzeitstellen begnügen, will im Osten nur jede fünfte Frau auf eine volle Stelle verzichten.

Um die Produktivitätslücken zu schließen, sind in erster Linie Ausbildungsmaßnahmen erforderlich. Hier präsentieren die neuen Bundesländer mittlerweile mindestens gleich gute Bildungsvoraussetzungen wie im Westen. Im Jahre 1999 lag der Anteil der Abiturienten unter allen Schulabgängern in den neuen Ländern bei 27 Prozent, gegenüber 25 Prozent im Westen. Im Jahre 1987 regelte der Sozialismus den Abiturientenanteil noch auf knapp 9 Prozent herunter. Im Bereich der Schulabgänger mit Mittlerer Reife hat der Osten den Westen überholt. Immerhin 46 Prozent der Schüler schaffen dort diesen Abschluß, im Westen sind es nur 38 Prozent. Der Anteil der Schulabgänger ohne Abitur oder Mittlere Reife liegt somit im Westen bei satten 37 Prozent, im Osten nur bei 27 Prozent.

Ein weitgehend identisches Bild bietet die Verteilung der Studienfächer im universitären Bildungsbereich. Die Massenfächer in den rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten werden im Osten wie im Westen nahezu gleichermaßen von einem Drittel aller Studenten belegt. Ein weiteres Drittel hat sich für ingenieurwissenschaftliche, mathematische oder naturwissenschaftliche Studiengänge eingeschrieben. Die wenigen Prozentpunkte, die der Osten in diesen beiden Studienkomplexen den Westen übertrifft, gehen vor allem zu Lasten der Sprach- und Kulturwissenschaften. Nur 19,1 Prozent der Studenten können sich in den neuen Ländern dafür erwärmen, im Westen ist es jeder vierte.

Die wirtschaftlichen Zeichen stimmen somit optimistisch. Erste Überlegungen zum Abbau der nach wie vor hohen Transferzahlungen von West nach Ost sind deshalb angebracht, aber auch Wachsamkeit gegenüber immer wieder möglichen Rückschlägen. Bezeichnenderweise weinen gerade diejenigen immer noch der sozialistischen Planwirtschaft hinterher, die bis zum Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft in unmittelbarer Verantwortung standen. Jeder vorübergehende wirtschaftliche Rückschritt, jedes, auch das geringfügigste, Hinterherhinken hinter westdeutschen Zuständen ist den linksextremen DDR-Nachfolgepolitikern Anlaß zum irrationalen Lamentieren, in der Deutschen Demokratischen Republik wäre das System gerechter und sozialer gewesen. Recht haben die kommunistisch Ewiggestrigen mit Sicherheit in einem Punkt. Alle hatten damals gleich wenig – ausgenommen die herrschenden Funktionäre. Eine breite Übernahme der sozialistischen Neidkomplexe würde dem Aufschwung Ost allerdings ein schnelles Ende bereiten.


 
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