© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Schwein gehabt
Fleischverzehr: Deutscher Tierschutzbund ruft zum Protest auf
Martina Zippe / Volker Kempf

Deutsche Politiker sind Tierschänder. Zu diesem Schluß muß kommen, wer kürzlich die ARD-"Report""-Sendung über die Zustände in der Schweinemast gesehen hat. Gezeigt wurde, wie Ferkelchen ohne Betäubung die Schwänze kupiert, die Eckzähne abgeflext und die Hoden aus dem Körper herausgerissen und abgeschnitten werden.

Die betäubungslose Kastration erleiden in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen alle männlichen Ferkel. Dies geschieht laut EU-Regelung völlig legal und routinemäßig – und sogar nur auf Drängen der deutschen Politiker. Begründung: Deutsche Verbraucher möchten kein Eberfleisch, also Fleisch von unkastrierten männlichen Schweinen essen. Bei den geschlechtsreifen Ebern macht sich nämlich gelegentlich der Ebergeruch im Fleisch bemerkbar. Doch welcher deutsche Fleischkonsument wurde schon danach gefragt, ob er hierauf überhaupt wert legt?

In weiten Teilen Europas wie etwa in Großbritannien, Irland, Spanien, Portugal und Griechenland werden Ferkel nicht mehr kastriert, ohne daß man deshalb eine geschmackliche Beeinträchtigung empfindet. Die Niederländer sehen sich gezwungen, den qualvollen Eingriff bei ihren Ferkeln durchzuführen – denn es werden 70 Prozent der Schweine nach Deutschland exportiert. Der Deutsche Tierschutzbund setzt sich dafür ein, daß die betäubungslose Kastration von Ferkeln verboten wird, und ruft die Kunden dazu auf, Fleisch, wenn überhaupt ausschließlich von unkastrierten Schweinen zu kaufen.

"Die Kunden fragen jetzt vermehrt nach, wo das Schweinefleisch herkommt", meinte wenige Tage nach der "Report"-Sendung beispielsweise ein Fleischer in Düsseldorf. Der Deutsche Tierschutzbund wiederum startete anläßlich des Welttierschutztages am 4. Oktober eine bundesweite Plakat-Aktion mit 6.000 Stellwänden, um auf die wirklichen Zustände in der Schweinemast aufmerksam zu machen.

Auch wenn die Ferkelchen alle Qualen überstanden haben, sieht deren Alltag kaum besser aus. Stallungen werden so gebaut, daß die Landwirte möglichst wenig Arbeit haben. Ergebnis: Damit stehen Schweine auf Betonspaltböden, durch die Kot und Urin hindurchfallen. Das Ausmisten entfällt. Dafür aber fällt konzentrierte Gülle an, die schädlich für die Atemwege von Mensch und Tier ist. Die Tiere bekommen keinen Auslauf. Suhl- und Scheuermöglichkeiten sind nicht vorhanden. Die Langeweile ruft Verhaltensstörungen hervor wie "Stangenbeißen", "Trauern" (das Tier sitzt auf seinen Hinterläufen und läßt den Kopf hängen) oder "Schwanzbeißen" bis hin zum Kannibalismus. Daher kupiert man den Tieren wenige Wochen nach der Geburt die Schwänze und schleift ihnen die Eckzähne ab – statt die Ursachen für den Streß anzugehen. Allein aus wirtschaftlichen Gründen geschehen die Eingriffe ohne Betäubung.

Auch die Sauen in Deutschlands Stallungen leiden unter der herrschenden Landwirtschaftspolitik. Die intelligenten und leidensfähigen Tiere sind zeitlebens einzeln in Kastenstände gepfercht, die so eng sind, daß sich die Sau noch nicht einmal umdrehen kann. Dies frustriert die Tiere derart, daß sie den ganzen Tag teilnahmslos herumsitzen oder an den Gitterstäben herumbeißen. In der Abferkelbucht wiederum sind die Muttersauen ständig am Bauch festgebunden. Ihrem natürlichen Bedürfnis, den Ferkelchen ein Nest zu bauen, dürfen sie nicht nachgeben.

Daß es aber durchaus anders geht, zeigt die ökologische Landwirtschaft, in der derlei Praktiken schon heute verboten sind. Die Tiere haben genügend Auslauf auf strohgedeckten Böden, meistens kommen sie auch ins Freie. Sie erhalten keine Hormone, sondern Futter aus kontrolliert ökologischem Anbau.

Dieser Tierschutz hat seinen Preis – Bio-Fleisch ist zweifellos teurer als die übliche Fleischware. "Doch wenn Fleisch heute so billig angeboten wird wie Brot, kann etwas nicht in Ordnung sein", meint ein Bio-Bauer aus Nordrhein-Westfalen. "Was man kauft, ist auch eine Frage der Ethik", so seine Überzeugung. Er verkauft sein komplettes Fleischereiangebot regelmäßig auf einem Öko-Markt. Wem der Appetit auf Fleisch ganz vergangen ist, der kann in den Reformhäusern zu einem großen Sortiment Sojawürsten greifen.

Der 500.000 Mitglieder zählende Deutsche Tierschutzbund ruft dazu auf, auf Fleischkonsum zu verzichten oder zumindest Produkte aus ökologischer und damit artgerechter Haltung zu kaufen. Auskunft über die entsprechenden Einkaufsmöglichkeiten vor Ort gibt der Deutsche Tierschutzbund auf Anfrage.

Auf örtlichen Öko-Märkten sowie in Naturkostläden ist Biofleisch und -wurst erhältlich. Der Tierschutzverband ruft ferner dazu auf, Protest einzulegen gegen die organisierte Unverantwortlichkeit unserer politischen Klasse, die sich in der Ferkelkastration ebenso zeigt wie in der modernen Schweinemast allgemein.

Adressat des Protestes soll das zuständige Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sein (Rochusstraße 1 in 53123 Bonn). Bei den Bundestagsabgeordneten des jeweiligen Wahlkreises (c/o Deutscher Bundestag, Platz der Republik1, 11011 Berlin) oder bei Bundeskanzler Gerhard Schröder (Schloßplatz 1, 10178 Berlin) wie auch beim EU-Kommissar Franz Fischler (Rue de la Loi, B-1949 Brüssel) kann man seine Stimme für die geschundenen Kreaturen erheben.

Informationen: Deutscher Tierschutzbund, Baumschule 15, 53115 Bonn, Tel.: 0228 / 60 49 60, Internet: www.tierschutzbund.de .


 
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