© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Männer von Format
"Kanzlerporträtist" Konrad R. Müller im Deutschen Historischen Museum Berlin
Angelika Willig

Früher hatten die Könige und Fürsten ihre Hofmaler, die sie und ihre Familien samt Mätressen und Hündchen und Lieblingspferden möglichst schmeichelhaft in Öl wiedergaben. Und wir sind noch ganz froh, daß wir diese Schinken haben, um uns wenigstens annähernd vorzustellen, "wie sie aussahen", die damals herrschten.

Den Vorwurf, daß er so etwas sei wie ein moderner Hofmaler, hat man Konrad R. Müller, dem "Kanzlerporträtisten", schon gemacht, nicht nur weil er alle Kanzler der Bundesrepublik vom alten Konrad Adenauer bis zu Gerhard Schröder mit Frau Doris in kunstvollen fotografischen Aufnahmen festhielt, sondern weil diese Bilder in der Tat etwas ausstrahlen wie den Glanz der Macht. Sie sind nicht "geschmeichelt" in dem Sinne, daß die Menschen jünger oder schöner aussehen, wohl aber ist das hohe Amt in jeder Einstellung mitgetroffen. Kanzler und andere Spitzenpolitiker sehen bei Müller auch mitten in einer Menschenmenge auf dem Fußballplatz, so einmal Oskar Lafontaine, nicht wie aus der Menge gegriffen aus. Zwar sind sie nicht mehr, wie die Fürsten, durch Geburt aus ihr herausgehoben, aber das Amt und die damit verbundene Verantwortung wie die ständige Beachtung formen aus Durchschnittsfiguren schließlich doch "Männer von Format". So jedenfalls erscheint es einem beim Gang durch die Ausstellung "terra cognita" im Deutschen Historischen Museum. Erleichtert stellt man fest, daß das ganze Bonn mit Erhards Zigarre und Wehners Aktentasche (in Großaufnahme) und Kohl und Genscher im Flugzeug (Genscher im V-Pullover) wohl doch nicht so trivial war, wie man meinte. Das Wunder hat Konrad Rufus Müller vollbracht.

Der 1940 Geborene ist kein Pressefotograf, der im Pulk stehend einfach so herumknipst, sondern ein Künstler, der sich jahrelang Zeit nimmt, um eine Beziehung zum Gegenstand aufzubauen. Besonders schwer hat es sich der SPD-Wähler mit Helmut Kohl gemacht, und im Garten in Oggersheim gelingt ihm denn auch das ultimative Foto: der riesige Helmut mit einer kleinen schwarzen Katze im Arm und einem seligen Lächeln auf den Lippen. Nicht schlecht ist auch Kohl vor dem staunenden Gorbatschow mit erhobenen Armen, als wolle er gerade vom Boden ab- und sein riesiges Gewicht in die Lüfte erheben. "Bei Kohl hatten ja die Leute, die im Kanzleramt arbeiteten, schon feuerrote Gesichter, wenn sie sein Arbeitszimmer betraten. Sie sind vor Ehrfurcht fast im Boden versunken. Das ist keine Arbeitsatmosphäre. So kann man nicht miteinander umgehen."

Müller fotografiert nie im Studio und nie mit künstlichem Licht, er begleitet seine Objekte so lange, bis sich einmal zufällig genau die passende Situation ergibt, die er dann erkennt und festhält. Die Vertrautheit mit den Mächtigen läßt sich dabei gar nicht vermeiden. "Hofmaler" ist trotzdem falsch, schon weil der Künstler die Öffentlichkeit als zahlendes Publikum im Blick hat. Durch seine würdigen Ansichten schützt er aber doch die, deren Gesichter sonst von den Medien gnadenlos verbraucht und klein gemacht werden.

In der Weimarer Republik ist eine "nationale Bildnissammlung" aufgebaut worden, die dann im Krieg verschollen blieb. Christoph Stölzl, der ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Museums, hat mehrmals die Wiedereinrichtung einer solchen nationalen Porträtgalerie befürwortet. Konrad Müller wäre dazu der beste Grundstock, wobei es kein Einwand ist, daß ihm auch ausländische Staatschefs wie Francois Mitterrand oder Sadat auf seinen Reisen begegneten. Vergleicht man das Arbeitszimmer Mitterrands im Elysée-Palast mit dem von Gerhard Schröder, wundert man sich, daß die Schwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich nicht noch viel größer sind.

Unter den 300 Bildern aus 35 Jahren finden sich Künstler wie Friedrich Dürrenmatt oder Sergiu Celibidache, aber auch ganz andere Motivfelder. Für das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat Müller eine Galerie der "ältesten Hunde" in Deutschland aufgespürt und mit demselben Sinn für Persönlichkeit dargestellt wie die Riege der Staatsmänner. Wie Szenen eines ungedrehten Films wirken "Die Leute von Lech" oder "Der Werwolf", ein Sonderling aus den transsylvanischen Karpaten, den die Leute für ein halb tierisches Wesen halten. Müller nimmt wie meist eine ganze Serie von Bildern auf, die sich zu einer Geschichte verdichten. Ob Staatsoberhaupt oder zerlumpter Bettler, besonders interessieren ihn alte Gesichter. Ein Jüngerer, der Autor Patrick Süsskind, wirkt daneben geradezu langweilig. Noch zu wenig ist in seinen Zügen "geschrieben". Auch Gerhard Schröder hat seine besten Zeiten im Sinne von Konrad Müller sicher noch vor sich. Noch merkt man, wie er einen "bedeutenden" Gesichtsausdruck für das Foto annimmt, noch ist ihm das Amt nicht ins Gesicht gemeißelt wie Willy Brandt, der "an Expressivität dem Alten von Rhöndorf immer ähnlicher wurde". "Willy Brandt habe ich verehrt. Aber er konnte sich anderen nicht nähern, es sei denn in lockerer Runde. Sie müssen mal Leute fragen aus dem Ollenhauer-Haus, die jahrzehntelang für die SPD gearbeitet haben. Wenn sie Brandt auf dem Flur begegneten, haben sie entweder weggeguckt oder er hat durch sie hindurchgeschaut. Dann trat diese junge Frau in sein Leben, Brigitte Seebacher. Sie hat des Rest an persönlichen Beziehungen, die er zu anderen Menschen hatte, gekappt. Ich glaube, daß Willy Brandt am Ende seines Lebens unendlich einsam war."

Der in Berlin geborene Künstler hatte zuerst Malerei studiert. Mit 25 fotografiert er Konrad Adenauer ohne Auftrag aus der Menschenmenge heraus und entdeckt dabei seine Berufung. 1972 werden die Kanzlerporträts in Bonn und im Reichstag gezeigt, wenige Jahre später erscheint der erste Porträtband über Willy Brandt. 1988 beginnt die Porträtserie von Bundeskanzler Helmut Kohl, die den Fotografen überregional bekannt macht. Die laufende Ausstellung faßt zum ersten Mal auch Auftragsarbeiten für verschiedene Zeitschriften zusammen.

Nach der "terra cognita" beginnt eine "terra incognita": bislang unveröffentlichte Fotos von fehlgebildeten Föten aus dem Berliner Medizinhistorischen Museum an der Charité. "Ähnliches", sagt der Künstler, "kannte ich bisher nur aus den Bildern des Hieronymus Bosch oder Goya."

 

Die Ausstellung "terra cognita" mit Fotografien von Konrad R. Müller ist bis zum 14. November im Deutschen Historischen Museum, Kronprinzenpalais, Unter den Linden, zu sehen. Täglich außer mittwochs 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr. Der Eintritt ist frei.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen