© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Neue Runde im Historikerstreit
Querelen am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden gehen weiter
Andreas M. Daniel

Die Querelen um das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Mit Hans-Günter Hockerts, Ulrich von Hehl und Christoph Kehler traten am vergangenen Freitag drei der noch verbliebenen fünf Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates zurück. Sie lehnen eine zu enge Bindung des Instituts an die Politik ab, begründeten sie ihre Entscheidung. Zuvor hatte bereits der US-amerikanischen Historiker Saul Friedländer im Zuge der Auseinandersetzung zwischen dem Institutsdirektor Klaus-Dietmar Henke und seinem Stellvertreter Uwe Backes das Gremium verlassen.

 Der neuerliche Streit war ausgebrochen, nachdem sich das Kuratorium des HAIT gegen eine Verlängerung des bis Januar 2002 datierten Vertrages des sozialdemokratischen Institutschefs ausgesprochen hatte. Ob der Beirat mit zwei verbliebenen Mitgliedern überhaupt noch arbeitsfähig ist, blieb zunächst unklar.

In einer Erklärung verteidigten die beiden Universitätsprofessoren aus Chemnitz und Dresden, Eckhard Jesse und Werner J. Patzelt, die Kuratoriums-Entscheidung. Henke fehle die soziale Kompetenz für die Leitung eines solchen Instituts. Am 11. September hatte das Kuratorium unter Vorsitz von Sachsens Kultusminister Matthias Rößler (CDU) in geheimer Abstimmung entschieden, Henkes Vertrag nicht zu verlängern. Der Beirat stellte dem Institut unter Leitung von Henke hingegen Bestnoten aus.

Die Dresdner Bank hatte zuvor erwogen, ihre finanziellen Investitionen in Forschungsprojekte des Hannah-Ahrendt-Institutes aufgrund dieser Personalquerelen einzustellen. Hintergrund der Kontroverse war ein Artikel des Institutsmitarbeiters Lothar Fritze über den Hitler-Attentäter Johann Georg Elser, der zum 60. Jahrestag des Anschlags am 8. November vorigen Jahres in der Frankfurter Rundschau erschien. Darin billigte der Autor das Attentat von 1939 im Münchner Bürgerbräukeller, bei dem acht Menschen starben, bemängelte aber die dilettantische Ausführung und stellte Elsers moralische Rechtfertigung in Frage. Während Henke sich gegen die Veröffentlichung ausgesprochen hatte, pochte der CDU-nahe Vizechef Backes auf die Forschungs- und Meinungsfreiheit. Der Historiker Henke bezeichnete den Politikwissenschaftler Backes daraufhin als "Geschichtsrevisionisten", rückte ihn in die Nähe von "Rechtsextremisten" und betrieb dessen Entlassung. Uwe Backes erhielt jedoch sowohl die Fürsprache des Präsidenten des Verfassungsschutzes als auchRückendeckung im Kuratorium und von Kultusminister Rößler.


 
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