© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
CD: Klassik
Wiederentdeckt
Julia Poser

Diplomat, Dichter und Komponist – eine ungewöhnliche Kombination, die sich in der Person von Benedetto Marcello vereinigt. Der 1686 in Venedig Geborene stammte aus einer hochangesehenen und vermögenden Familie. Auf Wunsch des Vaters begann er zuerst ein Jurastudium, interessierte sich jedoch zugleich für die Musik seines Zeitalters. Von zwei hervorragenden Lehrern geschult, trat er schon bald mit eigenen Kompositionen hervor. Nach Ende seines Jurastudiums reüssierte er schnell und wurde bereits mit 35 Jahren Mitglied des "Rates der Vierzig" von Venedig. Später war er Diplomat im auswärtigen Dienst der Serenissima.

Opernliebhaber kennen von Marcello eigentlich nur seine bissige, aber wohl wahrheitsgetreue Satire "Il Teatro alla Moda" (das moderne Theater), die er 1720 veröffentlichte und in der er die Zustände an den italienischen Opernhäusern der Barockzeit darstellt. In witziger Form gibt seine Satire einen ungeschminkten Einblick in die Arbeitsbedingungen eines Opernkomponisten, der in der Rangliste auf der alleruntersten Stufe stand. Der Auftraggeber, meist ein Fürst oder ein Kardinal, besetzte natürlich die erste Stelle. Daher ermahnt Marcello ironisch den Komponisten, stets seine untergeordnete Stellung zu bedenken: "Promeniert der Komponist mit einem Sänger, so ist es besonders bei einem Kastraten erforderlich, daß der Komponist immer mit dem Hut in der Hand einen Schritt hinter ihm hergehe!"

Marcellos Opern sind zum größten Teil verloren. Erst 1913 wurde seine 1726 erfolgreich in Venedig uraufgeführte "Arianna" wiederaufgefunden. Sie wurde jetzt von der Firma Chandos als Weltersteinspielung herausgebracht (CHAN 0656). Diese Aufnahme ist eine echte barocke Kostbarkeit mit affektgeladenen und verzierten Arien von einzigartiger Schönheit.

Die Oper behandelt die unglückliche Liebe der kretischen Königstochter Ariadne zu Theseus – ein in der Opernliteratur von Monteverdi bis Richard Strauss beliebtes Thema. In Marcellos "Arianna" verliebt sich Theseus in Phädra, Ariadnes Schwester, und flieht mit ihr. Gerührt von ihrer Klage will Gott Bacchus Theseus mit Ariadne wiedervereinigen – und verliebt sich selbst in Ariadne. Zum guten Ende aber finden sich zwei glückliche Paare, und die Krone der Ariadne wird einst als Sternbild am Himmel prangen.

Die fünf Sänger, alle erfahren in alter Musik, zeigen üppige Klangpracht. Anna Chierichetti in der Partie der verlassenen Ariadne beeindruckt durch die Mannigfaltigkeit der Facetten ihres jugendlichen Soprans. Trauer, Wut und Rache, aber auch neu erwachte Liebe weiß sie wunderbar zu gestalten. Ebenso kann sie die hochmütige Prinzessin hervorkehren. Das "Lamento", ihre Klage um den treulosen Theseus, eine zehnminütige Arie von der Flöte kunstvoll umspielt, ist von so ergreifender Innigkeit, daß man immer die"Replay"-Taste drücken möchte. Als ihre ältere Schwester Phädra bringt Gloria Banditelli ihren warmen Contralto bestens zur Geltung. Der klagende Ton ihrer Stimme paßt hervorragend zum schelchten Gewissen, das sie Ariadne gegenüber hat. Der junge Tenor Mirko Guadagnini meistert die schwierigen Koloraturen in den Arien des Theseus mit eleganter Leichtigkeit. Der breitströmende Baß von Sergio Foresti imponiert als Gott Bacchus, indem er vorzüglich Sturm und Windstille in der Arie "Nave che solca" (Das Schiff, das ins tiefe Meer ausläuft) nachahmt. Und den alten Erzieher des Bacchus, Silen, singt Antonio Abete mit würdigem Baß. Großartig ist auch der Athestis Chor. Das Orchester der Academia de li Musici unter ihrem dynamischen Dirigenten Filippo Maria Bressan spielt auf alten Instrumenten mit Hingabe, die ganze Farbenpracht einer barocken Oper entfaltend.


 
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