© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/00 13. Oktober 2000

 
Zitate

"Nach allem war es fast unwichtig, warum ausgerechnet dieses Lied am 11. August 1922 zur Nationalhymne wurde. Es war in den Stellungsschlachten an der Westfront zum antifranzösischen Kampfgesang geworden. Die SPD-geführte Regierung wollte mit dem nostalgischen Zugeständnis die desorientierte Generation Stahlgewitter integrieren. Eine Illusion. Statt dessen wurde das Lied, weil es die sprachnationalen deutschen Außengrenzen zwischen Etsch und Belt, Maas und Memel markierte, sofort zum Inbegriff des Protestes gegen Versailles. So paßten die Hymne und ihr Dichter auch gut ins Dritte Reich. Weil Theodor Heuss in den drei ersten Jahren der Bundesrepublik nichts Besseres einfiel – er hatte es instinktiv versucht – blieb es dann, 1952, bei der dritten Strophe. Eine Notlösung, die aber auch wieder paßte: ’Einigkeit und Recht und Freiheit‘ als antikommunistische Selbstverpflichtung."

Götz Aly in der "Berliner Zeitung" vom 2. Oktober

 

 

"Ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, daß Österreich ähnlich ist wie die DDR, weil da auch lange Zeit eine russische Besatzung war. Ich habe sehr gestaunt, als ich das erste Mal diese intakte, unzerstörte Stadt Wien sah. Aber ich hatte das Gefühl, daß die Leute an irgendwas leiden, und ich glaube, sie leiden am Alter."

Georg Baselitz, Maler mit mitteldeutscher Herkunft, im "profil" vom 2. Oktober

 

 

"Die Bevölkerung der DDR hat mit der Wiedervereinigung genannten Angliederung an die Bundesrepublik sozialpsychologisch ihre eigene Kultur und Geschichte verloren. Eine ganze Generation, im Geiste von Klassenkampf, Antifaschismus und sozialistischer Autorität erzogen, sah sich genötigt, unter den Verlockungen von Marktwirtschaft, unter den Drohungen der Gesinnungsprüfung und unter dem Zwang zur gemeinen Anpassung ihre Biografie umzuschreiben und sich zu Opfern einer Gesellschaftsordnung zu machen, die sie doch in ihrer großen Mehrheit mitgestaltet hatten. Es sind die verlorenen Kinder der Nachkriegsgeneration, die sich im Osten jetzt als Herrenmenschen aufspielen, ihrer trostlosen Existenz einen nationalen Sinn geben und mit der klammheimlichen Zustimmung ihrer Eltern nichtweiße Nichtdeutsche jagen."

Martin Altmeyer, Organisationsberater, in der "taz" vom 5. Oktober 

 

 

"Osteuropa ist uns zwar politisch nähergekommen, aber es bleibt Peripherie. Niemand ist gezwungen, sich für die Region zu interessieren. Aber das Desinteresse ist ein starkes Argument, über die Osterweiterung nicht das Volk abstimmen zu lassen. Die plebiszitäre Demokratie stößt hier an ihre Grenzen. Immerhin eines hat sich verbessert: Bei der Präsentation der Umfrage vor drei Jahren im Programm eines deutschen Nachrichtensenders schrieben selbst die Meinungsforscher in der eingeblendeten Grafik von Solvenien statt Slowenien. Dieses Jahr war die Rechtschreibung korrekt."

Jan Delhey, Soziologe, im "Rheinischen Merkur" vom 5. Oktober


 
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