© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Pankraz,
Ezra Pound und der geistige Faschismus

Sprach- und Literaturwissenschaftler, die damit beginnen, eine geistige Bilanz des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts zu ziehen, machen eine Entdeckung, die viele von ihnen irritiert. Die absoluten Geistes-Stars dieser Epoche, so dämmert ihnen, waren Gegner der westlichen Technik- und Massenideologie und Gegner des Sozialismus bzw. Kommunismus gleichermaßen. Sie standen jenen Richtungen nahe, die man sich angewöhnt hat, unter dem Namen "Faschismus" abzuheften.

Wer war der größte Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts, der wortgewaltigste, der dämonischste, der tiefste? Es war Ezra Pound, den die Amerikaner jahrzehntelang in der Klapsmühle hielten, weil er ein Freund Mussolinis gewesen war, ein Verächter der Demokratie, ein "Barde des Bösen". Keiner, der sich zwischen 1900 und 2000 in Rhythmen und Versen ausgedrückt hat, reicht an Pound heran, keiner hat die Sprache in solch unerahnte Dimensionen hineingetrieben wie dieser Mann aus Idaho.

Wer war der größte Romancier des zwanzigsten Jahrhunderts, der die Menschen am besten kannte und ihr Schicksal am aufwühlendsten zu erzählen verstand? Es war Knut Hamsun, den sie nach 1945 nur seines hohen Alters wegen nicht um einen Kopf kürzer machten, weil er sich mit Hitler eingelassen hatte und seinen Sohn in der Waffen-SS dienen ließ. Kein anderer Erzähler des Jahrhunderts kann Hamsun das Wasser reichen, nicht Thomas Mann und nicht Franz Kafka, von Proust und Joyce zu schweigen.

Wer war der größte Philosoph des zwanzigsten Jahrhunderts, von dem alle Nachdenker rund um die Welt gelernt haben, der mit unheimlicher Präzision die Verhängnisse des Neuzeit benannte und Welt und Sprache in einer ganz neuartigen Symbiose zusammenbrachte? Es war Martin Heidegger, der das Parteibuch der NSDAP in der Tasche trug und den sie nach 1945 wegen seiner "Reuelosigkeit" anklagten und gern vollständig und für dauernd außer Kurs gesetzt hätten. Einzig Heidegger vermochte es, jenen Gipfel zu erklimen, auf dem Platon und Aristoteles, Kant und Nietzsche zu Hause sind, und somit das zwanzigste Jahrhundert als ein genuin philosophisches, früheren Jahrhunderten ebenbürtiges erscheinen zu lassen.

Und wer war der größte Staatsrechtler des zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Kritik am Formalismus der Gesetze so überzeugend und so farbenprächtig geriet, daß ihn sogar seine ärgsten Feinde darob lobten, und dem es gelang, sich in eine Reihe mit Thomas Hobbes und Rousseau und Donoso Cortés zu stellen? Es war Carl Schmitt, der "Hausjurist des Dritten Reiches", von dem auch Schriften wie "Der Führer schützt das Recht" bekannt sind und der nach ’45 Schreibverbot und Spruchkammerverfahren und Haft in Nürnberg zu durchlaufen hatte. Mit der Klasse von Schmitt läßt sich allenfalls noch die von Hans Kelsen vergleichen, der aber viel blasser war. Ansonsten steht Schmitt in seinem Fach völlig konkurrenzlos da, und sein Nachruhm (nicht nur bei Juristen und Rechtsphilosophen) wächst von Tag zu Tag.

Man könnte das Spiel weitertreiben und zum Beispiel, was das Stückeschreiben betrifft, Gerhart Hauptmann an Brecht oder Pirandello oder Eugene O‘Neill messen; wahrscheinlich ginge auch dieser Agon zugunsten des "Faschisten" Hauptmann aus, aber sicher ist es nicht. Die Dominanz von Pound, Hamsun, Heidegger und Schmitt hingegen ist derart eindeutig, daß man sie getrost zum Ausgangspunkt spezieller Reflexionen machen kann.

Zu fragen wäre: Was trieb diese Geistesheroen in die Nähe von politischen Bestrebungen, die heute tabuisiert und radioaktiv verseucht sind, so daß die Beschäftigung mit ihnen schwerste Beschädigungen für Leib und Leben einbringen kann? Niedrige Motive, Feigheit, Dummheit, Gewinn- oder Ruhmsucht lassen sich den Pound & Co. ja wahrhaftig nicht nachsagen. War es also "Wahnsinn", wie oft behauptet wird? Ist der Geist oberhalb gewisser, vom Zeitgeist festgesetzter Mitmache-Kriterien "Wahnsinn"?

Bevor man hier in die Diskussion steigt, muß man sich klarmachen, daß sich Geist und Politik grundsätzlich nicht miteinander verrechnen lassen; dies gilt für alle Zeiten und für alle Systeme. Etwa zu behaupten, Marx sei für den real existiert habenden Kommunismus verantwortlich gewesen und Nietzsche für den real existiert habenden Nationalsozialismus, verkürzt den Sachverhalt genau um das Wesentliche: daß sich nämlich Ideen nur um den Preis des Verrats an ihnen "verwirklichen" lassen.

Allein darin besteht der "Wahnsinn" der Ideen: sie sind mit der Wirklichkeit letztlich inkommensurabel, was zu begreifen gerade für den Ideenhaber selbst ein sehr schmerzlicher, tragischer Prozeß sein kann. Sie zeigen aber innerhalb der politischen Richtungen, die sich ihrer bedienen, ziemlich genau an, was "gemeint" war, was hätte "sein können" – und was nach dem Untergang der jeweiligen Richtung also "unabgegolten" bleibt.

Das Unabgegoltene bei Pound und Hamsun, Heidegger und Schmitt läßt sich benennen. Es ist der Protest der lebendigen Seelen und Gemeinschaften gegen ihre Verkarstung und Verwurstung, gegen ihre Verwandlung in tote Formeln und "Gewinn" bringende Kalküle. Es ist die Mahnung, jeder Art von Seinsvergessenheit zu widerstehen und sich nicht mit allem abzufinden. Es ist der Kampf gegen den Schweinehund in uns, der den Göttern Hohn spricht, es sich immer nur bequem machen will und sich dabei sogar noch im Recht wähnt, im "Menschenrecht". Es ist der Ruf der Erde in einer Welt der Apparate und Pappkulissen, der Einbildungen und bloßen Virtualitäten.

Dieser Ruf wird auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch zu vernehmen sein, ja, er wird eines Tages vielleicht sogar wieder zunehmen. Da kann es nur gut sein, sich die Erinnerung an die größten Geister des zwanzigsten Jahrhunderts wachzuhalten.


 
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