© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/00 20. Oktober 2000

 
Die Kraft der Freundschaft
Kino II: "O Brother, Where Art Thou" von Joel Coen
Werner Olles

Mitten in der tiefsten Depressionszeit, mitten im tiefen Süden der USA in Mississippi, mitten in einem blühenden Maisfeld machen sich drei Sträflinge einer "Chaingang" aus dem Staub. Everett Ulysses McGill (George Clooney), dem gewitzten Anführer des Trios, dem freundlichen, aber geistig etwas zurückgebliebenen Delmar (Tim Blake Nelson) und dem cholerischen Hitzkopf Pete (John Turturro) gelingt es zwar, mit ihren schweren Ketten auf einen fahrenden Güterzug aufzuspringen und auf der entlegenen Farm eines entfernten Cousins Unterschlupf zu finden, aber dieser verrät sie, verführt durch die hohe Belohnung, die auf ihre Wiederergreifung ausgesetzt ist, der Poliziei. Nur knapp können die drei entkommen, aber von jetzt an ist ihnen der rachsüchtige Sheriff mit seinen Gehilfen und Bluthunden auf der Spur.

Auf ihrer Flucht kommen sie zufällig bei einer kleinen Radiostation vorbei und nehmen dort spontan eine Schallplatte auf, die ihr späteres Schicksal entscheiden soll. Während eines Autostopps gerät das Trio in die haarsträubende Flucht des berüchtigten Staatsfeindes Nr.1, des Bankräubers und Killers Babyface Nelson, und kommt gerade noch mit heiler Haut davon. An einem idyllisch gelegenen Waldsee wartet jedoch schon die nächste Versuchung in Gestalt von drei verführerisch schönen Sirenen, die den hellauf begeisterten Pete offenbar in einen Frosch verwandeln. Auch ihr neuer Bekannter Big Dan Teague (John Goodman), der sich als harmloser Bibelverkäufer ausgibt, spielt den Jungs übel mit und schreckt nicht einmal vor grober Gewalt zurück. Zu allem Überfluß entpuppt er sich zu einem späteren Zeitpunkt auch noch als Ku-Klux-Klan-Anhänger.

Während Everett endlich mit der Wahrheit herausrückt und zugibt, seine Kumpels mit der Aussicht auf einen nicht vorhandenen Goldschatz zur Flucht überredet zu haben, nur um seine Ex-Frau Penny (Holly Hunter) von einer neuen Heirat abzuhalten, ist die Schallplatte der drei inzwischen zum großen Hit avanciert. Derweil fürchtet der korrupte Gouverneur von Mississippi um seine Wiederwahl, und da kann nur noch die Begnadigung des mittlerweile bei den Bürgern beliebten Trios helfen. Everett und Penny finden endlich wieder zueinander, aber dann steht plötzlich der Sheriff vor den drei Ausbrechern und präsentiert sich als strammer Anhänger der Todesstrafe. Zum Glück kommt genau im letzten Augenblick die große Flut und überschwemmt das kleine Tal ...

Schon beim Festival in Cannes wurde der kultverdächtige Streifen begeistert gefeiert. Und immerhin soll George Clooney, der einmal mehr zeigt, daß er auch herrlich selbstironische Rollen spielen kann, bei dieser modernen in das Mississippi der dreißiger Jahre verlegten Odyssee für einen Bruchteil seiner üblichen Gage angetreten sein. Nach "Arizona Junior", "Barton Fink", "Hudsucker – Der große Sprung", "Fargo" und "The Big Lebowski" haben die Gebrüder Joel (Regie, Drehbuch, Schnitt) und Ethan Coen (Produktion, Drehbuch, Schnitt) inzwischen eine derart loyale Fangemeinde, wie sie selbst Woody Allen in seinen besten Jahren nicht vorweisen konnte. Tatsächlich ist der Film, der den schönen deutschen Untertitel "Eine Mississippi-Odyssee" trägt, wie alle ihre gemeinsamen Produktionen kaum in eine Kategorie zu fassen. Am ehesten könnte man "O Brother, Where Art Thou" – der merkwürdige amerikanische Originaltitel ist übrigens eine Referenz an den Preston Sturges-Klassiker "Sullivans Reisen" von 1941 – als eine durchaus surrealistisch-humorige Leinwand-Ballade der besonderen Art bezeichnen. Es ist einfach intelligentes Kino: grotesk, originell, witzig, doppelbödig, ohne jene therapeutische Beflissenheit, die einem die meisten deutschen "Komödien" verleidet, dafür aber bestens mit einer gehörigen Portion Ironie ausgestattet.

Dennoch schimmert auch hier – allerdings völlig unaufdringlich – eine moralische Botschaft durch: Die Welt ist ein Ort der Gewalt und der verlorenen Illusionen. Wer überleben will, muß Frieden schließen mit seiner Schuld und seiner Furcht, muß aus seiner Isolation ausbrechen und auf die Kraft der Freundschaft und der Liebe vertrauen. Nur dann siegt am Ende das Gute, wie das eben so ist im Kino. Und nur von diesen Träumen, die Gott sei Dank nicht totzukriegen sind, lebt das Kino letztlich.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen