© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Was ist deutsch?
Die Parteien streiten über den Sinn einer Leitkultur
Michael Wiesberg

Eine "rassistische Kampagne" soller betreiben, der Vorsitzende des CDU/CSU-Bundestagsfraktion,Friedrich Merz. Dieser Überzeugung ist der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Volker Beck. "Mit dem Gefasel von der deutschen Leitkultur" habe Merz "die ersten Raketen gezündet". Es sei, so Beck, ein "Feuerwerk des Rassismus aus der Union" zu befürchten. Beck und mit ihm viele andere sind der Überzeugung, daß das Schicksalsthema für die Zukunft der Deutschen schlechthin, die Frage nach der Zuwanderung, weiter aus dem Wahlkampf herausgehalten werden müsse. So sieht es auch der Linksausleger der CDU, Heiner Geißler. Dieser bezeichnete den Begriff der "deutschen Leitkultur" schlicht als "mißverständlich" und "überflüssig".

Wenn die Forderung nach einer "deutschen Leitkultur" "überflüssig" oder gar "rassistisch" sein soll, wie stellen sich dann Politiker wie Beck oder Geißler, die hier nur stellvertretend für andere Zuwanderungslobbyisten stehen, die "deutsche" (?) Gesellschaft der Zukunft vor? Beck, Geißler und mit ihnen große Teile der politischen Klasse in Berlin und des linksintellektuellen juste milieu in Deutschland lassen keinen Zweifel daran, daß sie den Nationalstaat für ein anachronistisches Gebilde halten, das in einen supranationalen Bundesstaat zu überführen ist. Dieser "europäische Bundesstaat", der sich am Horizont abzeichnet, korrespondiert von Tag zu Tag mehr mit den Vorstellungen hiesiger Ideologen der "multikulturellen Gesellschaft". Der "rassische Schmelztiegel" ist in der Tat bereits jetzt fester Bestandteil des Gesellschafts- und Alltagslebens vieler Europäer.

Die Propagandisten einer Panmixie auf deutschem Boden sind erklärte Feinde des Nationalstaats. Ihr Ziel ist die Auflösung der ethnischen Homogenität der europäischen Nationalstaaten. Wenn jetzt Politiker wie Beck und Geißler davon reden, daß der Begriff der "deutschen Leitkultur" "rassistisch" bzw. "überflüssig" sein soll, liegt deren Sichtweise ganz in der Logik der Ideologie des Multikulturalismus. Laut Bassam Tibi, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen, gehört der Kulturrelativismus zum Wesen des Multikulturalismus. Tibi wörtlich: "Das Bestehen auf einer Leitkultur, aus der die verbindlichen Werte herrühren, sowie die Forderung nach einer Integration der Zuwanderer (…) werden von den Kulturrelativisten als ’Rassismus‘ verfemt."

Es ist in diesem Zusammenhang hilfreich, sich an die Ursprünge des Begriffes "multikulturelle Gesellschaft" zu erinnern. Anwendung fand dieser "typische politische Euphemismus" (Robert Hepp) erstmals bei der Umschreibung rassisch gemischter Milieus in den USA. Von Euphemismus kann deshalb gesprochen werden, weil der Begriff "multikulturelle Gesellschaft" den hochaufgeladenen Begriff "Rasse" durch den weniger verfänglichen Begriff "Kultur" ersetzt.

Was mit diesem begrifflichen Kunstgriff nahegelegt wird, hat der Osnabrücker Soziologe Robert Hepp beschrieben: Die Ideologen der "multikulturellen Gesellschaft" legen nahe, daß Rassenunterschiede im Grunde genommen nur Kulturunterschiede darstellen würden, die im Unterschied zur "genetisch fixierten, biologischen Rasse" "ein rein ’historisches Zufallsprodukt‘" seien, die "grundsätzlich veränderbar" seien. Dadurch, daß Rassenunterschiede zu Kulturunterschieden umgewidmet werden, werden diese bagatellisiert. Diese Bagatellisierung zeigt sich darin, daß Mitglieder von Volksgruppen und Nationalitäten in einer multikulturellen Gesellschaft zwar gleichberechtigt sind, aber gerade nicht als Mitglieder von Volksgruppen oder Nationalitäten, sondern als von ethnischen Merkmalen befreite Staatsbürger.

Es steht natürlich außer Frage, daß Rassenunterschiede nicht mit Kulturunterschieden gleichgesetzt werden können. Was letztlich zählt, ist die politisch-propagandistische Durchschlagskraft des Begriffs "multikulturelle Gesellschaft". So suggerieren deren Verkündiger unentwegt die angebliche "kulturelle Bereicherung", die einem Staat durch die Aufnahme von Menschen aus vielen unterschiedlichen Kulturen widerfahre. Durch die Auswahl des jeweils Besten aus der Vielzahl der regionalen Kulturen dieser Welt gelange die "multikuluturelle Gesellschaft" zu einer "Weltkultur", die allen nationalen Monokulturen weit überlegen sein soll. Diese Vorstellung von Kultur kommt aber einer kaum noch zu überbietenden Trivialisierung des Begriffs gleich. Völlig richtig stellte Hepp fest, daß "Kultur" heute ein "Catchall-Word" ist, ein "Allerweltsbegriff", der "weltoffen wie eine Straßenhure" sei. In der Tat gibt es heute nichts mehr, daß sich nicht "irgendwie" als "Kultur" verkaufen ließe. Der damit einhergehende Verlust dessen, was "Kultur" eigentlich ausmacht, erklärt, warum jeder Exot, der in deutschen Einkaufsstraßen trommelt, zur "Bereicherung" unserer Kultur werden kann. Hinter diesem "Bereicherungsgerede" steht im Grunde ein Offenbarungseid. Wo kein Gespür mehr für das Eigene, das sich ja gerade in einer nationalen Kultur manifestiert, besteht, wird quasi alles zur "Bereicherung". Oder mit Hepp gesprochen: "Wo das Eigene nicht mehr definierbar ist, gibt es nichts mehr, was noch überfremdet werden könnte."

Die "multikulturelle Gesellschaft" ist also die Endstation "einer fortschreitenden Entwertung der Werte", die über die "Zwischenstation des sogenannten Kulturrelativismus" endlich beim "puren Kulturnihilismus" (Hepp) anlangt. Welche Blüten der bundesdeutsche Kulturnihilismus inzwischen treibt, hat der erwähnte Bassam Tibi am eigenen Leib erfahren: "Ghetto-Muslime feinden mich an, weil ich mich integrieren will: deutsche Multikulturalisten grenzen mich aus, weil ich eine andere Meinung habe als sie." Tibi mahnt deshalb ein Umdenken an. Erfolgt dieses nicht, dann, so Tibi, sollte man sich auf "grausame Konflikte in absehbarer Zukunft vorbereiten".

Schon deshalb muß das Thema "Zuwanderung", das interessierte Kreise nur zu gerne aus dem Wahlkampf heraushalten wollen, um weiter ihr Süppchen kochen zu können, endlich zum zentralen Thema in Deutschland werden. Denn nur auf diese Art und Weise kann es gelingen, die folgenschweren Konsequenzen, die Deutschland bei einer weiteren unregulierten Zuwanderung drohen, einer breiten Masse der deutschen Bevölkerung bewußt zu machen. Zur Diskussion steht die Frage, ob die Deutschen in der völkerzerstörenden Nacht des ethnischen Todes verschwinden und in eine multirassische Gesellschaft einmünden, oder ob sich wenigstens noch ein Teil jener Substanz retten läßt, die mit einigen Wohlwollen als deutsche Zivilisation und Kultur identifiziert werden kann.

Allzu viel Hoffnung besteht allerdings nicht mehr. Bassam Tibi stellte fest, daß Selbstverleugnung und Selbsthaß den deutschen Umgang mit der "westlichen Werte-Krise" kennzeichneten. Dies münde "in eine pauschale Verdammung der Werte der eigenen Kultur und Geschichte sowie der eigenen nationalen Existenz".


 
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