© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Der Schüssel-Effekt
Die Wahlniederlage der steirischen FPÖ offenbart ein Dilemma
Carl Gustaf Ströhm

Die Niederlage der FPÖ bei den Wahlen in der Steiermark sollte nicht unterschätzt werden. Natürlich ist die Steiermark "nur" eines von neun österreichischen Bundesländern. Natürlich war das Charisma der ÖVP-Landeschefin Waltraud Klasnic nicht zu schlagen – einer Frau, die mit einer Mischung aus mütterlichem Charme und zielbewußter Energie beim einfachen Mann (und der einfachen Frau) "ankam", während an der steirischen Spitze der Freiheitlichen schrillere weibliche Töne die Wähler verschreckten.

Sicher, es war kein "Linksruck": die SPÖ verlor mehr, als die Grünen dazugewannen, das Liberale Forum ist in Auflösung. Trotzdem markiert diese Wahl einen Wendepunkt – sie ist ein Menetekel für die erfolgverwöhnte FPÖ, die sich ausgerechnet hatte, im Lande auf mindestens 25 Prozent zu kommen und die nun bei 12 Prozent landete (während die ÖVP auf 45 stieg). Ist dies womöglich der Vorbote ähnlicher Kalamitäten bei bevorstehenden Wahlen im Burgenland und in Wien?

War schließlich die Entscheidung Haiders, den Parteivorsitz abzugeben und sich als Landeshauptmann nach Kärnten zurückzuziehen, vielleicht doch ein taktischer Fehler? Haider überließ das Wiener Pflaster Susanne Riess-Passer und dem knapp 32jährigen Karlheinz Grasser. Vizekanzlerin und Finanzminister legten ein atemberaubendes Reform-Tempo vor: im Bereich der Sozial-, der Finanz- und Steuerpolitik blieb kein Stein auf dem anderen – "ohne Rücksicht auf Verluste". Fast alle Schichten der Österreicher wurden vor den Kopf gestoßen. Die FPÖ-Chefin nahm sich Gewerkschaften, Rentner und Beamte zur Brust. In ziemlich deftiger Manier wurde ihnen klargemacht, daß sie schmerzliche finanzielle Opfer zu bringen hätten im Zuge der Haushaltssanierung und der Erreichung des Null-Defizits.

Grasser erhöhte die Erbschaftsteuer zu einem Zeitpunkt, wo zum ersten Mal eine Generation ohne Inflation, Krieg und Enteignungen das Erbe der Väter antreten kann. Kfz-Steuer und Versicherungen wurden drastisch hinaufgeschraubt – bis hin zu den Gebühren für Reisepässe. Zum Schluß verkündete die Regierung noch die Einführung von Studiengebühren – 5.000 Schilling (etwa 700 Mark) pro Semester. Alles das und noch vieles mehr – inklusive einiger Maßnahmen, die dem Finanzplatz Wien schaden könnten (Besteuerung von Investmentfonds) – mag sachlich gerechtfertigt sein, wenn man den Schuldenberg abtragen und das Haushaltsdefizit innerhalb von zwei Jahren auf Null herunterfahren will, wie das der FPÖ-Finanzminister ehrgeizig verkündet. Die Frage ist nur, ob die FPÖ nicht damit viele Österreicher vergrault, die sich unter einer freiheitlichen Regierung etwas ganz anderes vorgestellt hatten: nämlich steuerliche Entlastung und Förderung des Mittelstandes, der ja einen nicht geringen Teil der FPÖ-Wähler stellte. Es kann gut sein, daß das steirische "Menetekel" hier seine Ursachen hatte. Die Österreicher sind – mehr noch als die Deutschen – ein konservatives Volk. Sie wollen keine ruckartigen Veränderungen, vor allem dann nicht, wenn es schmerzhaft an den eigenen Geldbeutel geht. Die SPÖ hatten sie leid und sahen durchaus, daß mit dem Schuldenmachen Schluß sein müsse. Aber was jetzt geschieht, geht ihnen zu schnell und ist für viele – in den praktischen finanziellen Auswirkungen – zu brutal.

Da liegt es dann nahe, jene Partei bei der Wahl abzustrafen, die man für all das verantwortlich macht, und das ist (interessanterweise) die FPÖ – nicht die ÖVP. Letztere samt Kanzler Schüssel zieht sich elegant und staatsmännisch aus der Affäre, verweist diskret auf die "ungestümen" freiheitlichen Brüder – und heimst den Kanzlerbonus ein. Schüssel ist der Gewinner: Der ÖVP-Chef und Bundeskanzler ist demnächst in der Lage, sich seine künftigen Koalitionspartner aussuchen zu können. Er könnte sogar zur SPÖ zurückkehren – diesmal allerdings als Senior und Chef, nicht wie zuvor als Juniorpartner. Schüssel ist überdies, was seine FPÖ-Minister offenkundig nicht sind: ein Meister der psychologischen Behandlung seiner Landsleute.

Kenner der österreichischen Szene meinen, es sei nicht weise, in einem Beamtenstaat wie Österreich, wo in fast jeder Familie ein oder mehrere "pragmatisierte" Beamte zu finden sind, frontal gegen die Beamten loszugehen. Ebenso muß man sich fragen, ob die überfallartige Einführung einer Studiengebühr nicht gerade jene Mittelschicht vor den Kopf stößt, die bisher brav FPÖ wählte und sich jetzt ausrechnet, daß die Hochschulausbildung ihrer zwei Kinder (um ein Beispiel zu nennen) zusätzliche 100.000 Schilling (15.000 Mark) kosten wird. Natürlich – es gibt Stipendien, aber die muß man beantragen und irgendeine amtliche Stelle muß sie gewähren: also zusätzliche bürokratische Hindernisse.

Ist die Ministerriege der FPÖ von der "Lust am Untergang" besessen? Läßt sie sich von der Freude an der Macht und am Regieren so weit forttragen, daß sie ihre Bodenhaftung verliert? Das einzige Glück für die FPÖ ist der desolate Zustand der Sozialdemokraten. Vielleicht aber sollte man sich auch in Wien an die alte (auf den ersten Blick paradoxe) Weisheit erinnern: "Weniger wäre mehr!" Oder, um mit weiland Franz Josef Strauß zu sprechen: Man muß nicht nur recht haben – man muß recht bekommen. Sonst bringt der schönste Defizitabbau nichts, denn der Wähler hat noch immer das letzte Wort.


 
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